Willst du mit mir gehen?

Wundersamer Alltag Man soll fragen, bevor man jemandem zu nahe kommt. Aber funktioniert das wirklich?
Kein Erfolg oder Misserfolg im Werben und Umgarnen hat dazu geführt, dass man herausgefunden hätte, was erlaubt oder verboten ist
Kein Erfolg oder Misserfolg im Werben und Umgarnen hat dazu geführt, dass man herausgefunden hätte, was erlaubt oder verboten ist

Foto: D Sharon Pruitt

Als Kinder schrieben wir Zettel, auf denen Fragen standen wie "Willst du meine Freundin sein?" Allerdings stellte sich schnell heraus, dass eher diejenigen positive Antworten auf solche Fragen bekamen, die gar nicht erst fragten, sondern handelten. Und woher sollte die Angebetete auch wissen, ob sie es wollte, bevor sie nicht wusste, wie es sich anfühlt? "Ja, ich will" – ein solcher Satz konnte sich vielleicht auf entfernte Filmstars beziehen, aber doch nicht auf die konkreten Jungs aus der eigenen Schulklasse. Ohne die praktischen Erfahrungen, in denen wir erfuhren, was eine Annäherung auf uns selbst für eine Wirkung hat, hätten wir nicht herausfinden können, ob wir sie wollten oder nicht.

Das waren die ersten Erfahrungen mit der Kraft der Erotik, und an denen hat sich im Laufe der Jahre nicht viel geändert. Kein Erfolg oder Misserfolg im Werben und Umgarnen hat dazu geführt, dass man in späteren Zeiten aufgrund rein theoretischer Erwägungen und trockenen Dialogen herausgefunden hätte, was erlaubt und angenehm oder verboten und unangenehm ist.

Selbstverständlich gibt es Fälle, in denen das Desinteresse oder die Abneigung eines Menschen so klar ist, dass sie sich in einem einfachen Nein ausdrücken lässt. Aber genauso sicher ist, dass auch ein klares Ja, wenn es jemals auf eine Frage wie "Möchtest du, dass ich dich küsse?" überhaupt ausgesprochen werden kann, sich schnell verflüchtigen kann, wenn man von der theoretischen Erörterung zur Praxis schreitet.

Das Spiel der Erotik ist immer eine Grenzverletzung, die Intimsphäre kann nicht gefahrlos betreten werden, egal, ob die Tür geöffnet war oder nicht. Wer nur tut, was zuvor ausdrücklich erlaubt wurde, und vorher immer höflich fragt, der wird nicht nur selten an sein eigenes Ziel gelangen, sondern auch die Ziele des Traumpartners verfehlen.

Sind wir rational genug?

Heute hört und liest man oft, dass, wer Interesse an intimen Kontakten zu einem anderen Menschen hat, vorher fragen soll, ob dem das genehm ist, und die Antwort des Anderen streng zu akzeptieren hat. Wir sind autonome, selbstbestimmte Menschen und haben ein Recht, unsere Intimsphäre jederzeit zu schützen, und nur den hineinzulassen, der ordentlich angefragt und eine freundliche Einladung erhalten hat. Dieser Ansicht liegt das moderne Menschenbild vom rationalen Wesen zugrunde, wir können für alles, was wir tun, Argumente angeben, Schlussfolgerungen ziehen und uns in Abwägung einer klar erkannten Situation sicher und frei für das Richtige, das Gewünschte entscheiden. So wählen wir den Ausbildungsplatz, den Wohnort, die Freunde, den Tisch im Restaurant und natürlich auch den Sexualpartner.

Dieses Menschenbild hat jedoch nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun, wir überfordern uns vielmehr ständig selbst, wenn wir diesem Ideal auch nur nahe kommen wollen. Da wir eben in einer konkreten Situation nicht genau wissen, was wir wollen, entscheiden wir uns schließlich dafür, nichts zu wollen.

Auf diese Weise ersparen wir uns eine Menge Erfahrungen, natürlich auch die schlechten. Das Problem ist ja nicht nur, dass wir zu oft "Nein" sagen, sondern auch, dass ein hin und wieder geäußertes "Ja" kein Garant für ein schönes Erlebnis ist. Nur ein "Vielleicht" und ein "Probier's doch mal" hilft da weiter. "Versuch macht klug" – das heißt, man muss die Grenzverletzung wagen und auch zulassen. Wir sind eher praktische als theoretische Wesen, wir müssen uns einer Gefahr auch aussetzen, um Freude zu erleben.

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Veränderung mit einem Wundern.

Vergangene Woche wunderte er sich über die vielfältige Verwendung des Wortes "Souveränität".

Jörg Friedrich twittert auch philosophische und politische Gedankensplitter. Im Sommer erschien sein Buch Kritik der vernetzten Vernunft.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

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