Früher war alles einfacher: Man ging in einen Laden, kaufte eines der beworbenen Produkte, ging damit nach Hause und freute sich. Doch manchmal folgte auf die Reklame die Reklamation. Wenn die Ware also fehlerhaft war, ging man zurück in den Laden, beschwerte sich freundlich bei dem Verkäufer und bekam dann die Ware repariert oder ausgetauscht. Am Markt setzten sich am Ende oft die Produkte durch, die qualitativ hochwertig, langlebig und deshalb empfehlenswert waren.
Das war früher. Heute werden Waren und Produkte oft mit weniger Sorgfalt, schon gar nicht mit Liebe produziert. Das würde nur den Gewinn schmälern, außerdem verlangen die Kunden nach billigbilligbillig. Produktentwicklungszyklen werden kürzer, ständig ist etwas „jetzt neu!“ oder „noch besser!“ oder einfach „20 Prozent mehr!“.
Der vielleicht aber wichtigste Trend ist seit einigen Jahren das Ausliefern eigentlich unfertiger Produkte an die Kunden. Die Internet-Welt spricht dann gern von beta-Versionen, bei Software hat sich schon länger der Begriff Bananenprodukt etabliert: es reift beim Kunden. Wir Käufer testen also ein Produkt, dessen Hersteller weiß, dass es noch unfertig ist. Und wir akzeptieren das auch noch und machen sogar freiwillig Verbesserungsvorschläge.
Viele Nutzer und Kunden stellen den Produzenten ihre Erfahrungen mit dem Produkt zur Verfügung, sie bewerten, verändern, verbessern. Das ist schön – für den Produzenten. Denn er bezahlt nichts für diese Weiterentwicklung. Der Kunde hat allerdings erst etwas von den Verbesserungen, wenn er seine Software updatet oder den Nachfolger kauft. Er muss also einem eigentlich unausgereiften Produkt weiterhin treu bleiben, damit er am Ende eventuell mit einem guten, wahrscheinlich aber nie dem besten Produkt belohnt wird.
Mittlerweile gilt das beta-Prinzip für viele Lebensbereiche, selbst manche Bundestagsgesetze hinterlassen den Eindruck der Beta-gtheit: die diskutierten Netzsperren, der Gesundheitsfonds oder Steuergesetze mit Schlupflochgarantie. All dies spricht dagegen, dass die Verantwortlichen immer wissen, was sie tun. Sie überblicken die Konsequenzen nicht mehr. Dabei sind die Probleme nicht unbedingt komplizierter geworden, nur fallen die Lösungen oft zu schlicht aus.
Das beta-Prinzip ist das Herzstück des Web 2.0. Wir Netznutzer probieren früh aus, was später vielleicht einmal ein ganz anderes, aber erfolgreiches Produkt werden könnte: eine Software, eine Plattform, eine Community. Alles ist im Fluss, uns wurde dieser Flow ins Ohr gesetzt. Wir spielen also das Spiel mit, sind in diesen Feldversuchen die Versuchskannichen.
Aber sind wir nicht alle ein bisschen beta? Der Mensch an sich und die Menschheit sind noch weit entfernt vom optimalen Zustand. Wie auch die Evolution eigentlich ja nur eine beta-Version nach der anderen herausbringt: Es regiert das Prinzip von „Trial and Error“. (Manchmal auch zusammen in nur einem Wort: Terror - aber das ist eine andere Geschichte.) Ein ständiges Hinzulernen und Verbessern prägt unseren Alltag und unser Leben. Machen wir also das Beste daraus.
Aber leider wird eben nicht alles gut, es wird alles immer nur beta...
Kommentare 21
Ist beta die Weiterentwicklung von bluna?
Auf "Der Weg ist das Ziel" folgt also nun "Beta sein ist das Ziel"
Außer einigen, die sind ein bisschen bluna.
Es bizzelt sogar ein bisschen...
Mein letzter Satz ist auch etwas beta.
Gibt's eigentlich einen Text über die Wirkung der Dadaistischen Blunawerbung auf Konsumenten und Verkauf? Würd' ich gern mal was drüber lesen...
Der letzte Schrei ist: Bluna LimoLimo Apple+Kick
Nun ja, die Konsumenten waren so bluna, dass sie Fanta gekauft haben.
Ich war neulich auf einer Konferenz - dem Scoopcamp - da fiel auch der Begriff vom "permanent beta" für das Web 2.0. Vielen Dank also, lieber Friedland für diesen augenzwinkernd kritischen Text. Aber wie Du auch schreibst: Überwiegen nicht für beide Seiten die Vorteile, wenn man die Entwicklung und den Prozess mitdenkt? So bluna finde ich das gar nicht. Aber beta bleiben, das kann auch nicht das Ziel sein. Das sieht man dann an wahnsinnig überladener Software oder anderen Angeboten, die mehr Funktionalitäten vereint, als man im Leben braucht, nur um allen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Hier trage ich mal ein, was ich in einem Augstein Thread schon mal verklickert habe.
Das Geheimnis der Beta-Version
Forscher haben herausgefunden, las ich in einer Berliner Zeitung, dass sich die Bewegungen von Menschen verlangsamen, wenn man die Aktivität einer bestimmten Art von Gehirnwellen erhöht.
Die für diese "erzwungene Langsamkeit" verantwortlichen Waves heißen "Beta-Wellen".
Nun weiß man wenigstens Bescheid und flucht nicht ob langer Ladezeiten, sondern sagt sich:
Deshalb also heißt das Beta Version.
Siehe auch "Die Entdeckung der Beta-Wellen" von Sten Nadolny...
Daueroptimierung ist doch auch nichts anderes als internalisiertes Leistungsdenken.
Von daher: hoch lebe beta, genug ist das, was ist.
Alles wird betta, alles wird betta,...
www.youtube.com/watch?v=o4hZmU7Rdkk=related
Das passt dann auch wieder zum Schiff, das vor der Küste kreuzt...nur das mit dem Eis und dem festfrieren bringe ich nicht unter.
Ich habe mal eine zweite Version herausgekramt: Silly mit Silbermond Live...
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Wenn man genau hinhört, kann man hören:
Wir wollen schön sein, aber auch klug!
Geht einfach so über die Bühne.
Und wo führt uns dieses uralte Besser- und niemals Gutwerden wohl noch hin?
Eine Alpha-1a-Doppelplus-Super-Premium-Version der Freitagssoftware wäre eben auch bloß besser. Und nicht gut. Darum geht es m.E.
Vielleicht hilft "Intelligent Design" ?
Email 2.0, nicht mehr beta
Und was war dann mit weiland Sexy- Mini-Flower- Pop-op- in Afri-Cola?
Hallo Friedland,
schön geschrieben!
Dass das Bessere der Feind des Guten ist... - ja, das hat mir auch grad wieder mal jemand überzeugend entgegengehalten -
Und was mach ich jetzt mit meinem CD-Player - nicht so teuer, was für einfache Gemüter, aber irgendne Marke, und jetzt geht nur noch Radio und Kassette, die CD hüpft alle paar Sekunden auf der Stelle, es ist ein Graus, und natürlich finde ich die Garantie nicht, falls es je eine gab, man sollte vielleicht grundsätzlich den Mediamärkten fernbleiben? Und selber Musik machen? Dann aber nicht beta, sondern - allenfalls - gamma. Immerhin! Die Kinder singen.
Beta sind ja auch - wie der Name schon sagt - die "Beziehungen", und oft bleiben sie das dann auch, weil keine Alphamännchen mehr auffindbar sind - ha!
Schaun wir doch mal, wie beta die schwarz-gelbe Beziehung wird, die uns da jetzt allerlei Regierungspolitik auftischt. Alles im Fluss? Oder von Anfang an festgefahren? Wie lange droht uns Kohl light, sozusagen inder nachgereichten Beta-Version der Frau Kanzlerin? Stockt? Stockbrot macht man aus Hefeteig, wickelt es um Holzstöcke, vergisst alles, was man von krebserregenden schwarzen Grillstellen gehört hat, hält den Stock ins Feuer, also: in ein Alpha-Feuer, eines, das brennt, weil Holz nunmal brennt, ohne Anzünder oder so, und isst dann gemeinsam mit den Kindern das Knusprige, heiß-heiß, pust-pust, und auch das noch Matschige innen, das ergibt ein warmes, dickes GEfühl im BAuch, mit dem man dann den ABend in die Nacht übergehen lassen kann, gehen muss der Teig ja auch, und das vollendet er im Bauch, insofern: Beta. Stockbrot ist quasi die Naturform von Beta.
Schluss jetzt, ich verquassle mich, deinem Text zu ehren.
Herzlich
klara
Lieber Friedland.
Ich danke für den Blick aus diesem Winkel, der inzwischen in der Tat "viele Lebensbereiche" umfasst. Meine Überlegung dazu ist: Sollten wir uns damit abfinden? Ist das so in Ordnung?
Bei den "früher war alles besser"-Vertretern kann ich dementsprechend eine gewisse Skepsis gegenüber den meisten "Tendenzen" und Entwicklungen heutzutage nachvollziehen. Bestes und gravierendstes Beispiel dafür ist die Bildungsentwicklung unter Bachelor und Master, der in deinem Artikel noch fehlt.
Sich auf Dauer mit etwas rumzuärgern, was nicht fertig wird, weil die Verwaltung das so vorgesehen hat, ist ein schlechtes Prinzip und hat meiner Ansicht landauf landab von den Verhältnissen Macht ergriffen.
Früher, um mich in den Singsang dieser Stimme einzureihen, war ich froh und vielleicht stolz, wenn etwas fertig wurde und damit ein Produkt entstanden war, an dem ich gemessen werden konnte. Diese Zeiten scheinen vorüber.
Lieber Friedland,
ich finde das schön gesagt, nur am Ende ist es mir zu versöhnlich. Auf der universellen Ebene sind wir alle nur vorläufig, klar. Aber auf meiner individuellen Ebene habe ich nur dieses eine Leben, und da soll von Anfang an alles richtig sein: Arbeit, Liebe, Krankheit, Enttäuschung, das volle Programm. "Na ja, deine Eltern sind etwas doof, aber wenn du in die Schule kommst, installieren wir das Update", habe ich nie gehört. Meine Eltern waren gleich die endgültigen. Das nur als Beispiel.
Bei dem ganzen Beta geht es ja nicht nur um ständiges Verbessern, es geht darum, dass z.B. Gesetze von Anfang an besser sein könnten, wenn sich die AutorInnen mehr Mühe gegeben hätten, oder? Das Problem sehe ich also darin, dass sich Mühe zu geben und Mühe zu verlangen nur noch im Sport üblich ist.
Da könnte im nächsten Schritt einer Zeitdiagnostik die Frage ansetzen, inwieweit wir mit unseren gestiegenen Ansprüchen ans Leben (Sättigung, Gesundheit, Frieden, Sicherheit, Komfort) unsere Ansprüche an uns selbst und aneinander gesenkt haben.
Grüße,
Peripatetik