Wolf Biermann ist ein Wendehals

Zum 9. November Der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer ist über Wolf Biermanns Auftritt im Bundestag wütend, wo der Liedermacher auf seine Rolle als politischer "Drachentöter" pochte
Ausgabe 46/2014

Er hat eines seiner schönsten Lieder für die Feierstunde im Bundestag zum 9. November ausgesucht. Jahrzehntelang war seine Ermutigung eine große Ermutigung gewesen. Ja, „die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich“. Nun aber, 25 Jahre nach dem Mauerfall, bot Wolf Biermann eine unwürdige, theatralisch vorbereitete Aktion, in der er regelwidrig-mutig die ihm nicht passende Fraktion der Linkspartei herunterputzte. Norbert Lammert, der Parlamentspräsident, war offensichtlich darauf vorbereitet, dass der zum Singen bestellte Barde würde reden wollen. Er hatte nämlich sofort den entsprechenden Paragraphen der Geschäftsordnung des Bundestages parat.

Dabei war er auf alles gefasst gewesen, denn besonders die Konservativen, aber auch Sozialdemokraten, genossen den Ausfall des Giftgnoms und einstigen Kommunisten, der nun mit besonderer Lust angebliche Kommunisten mit Verachtung beschmeißt. Da zeigte sich – um es in seine Sprache zu übersetzen – ein hasserfüllter Wadenbeißer mit rhetorisch-bildreicher Begabung zur Polemik. Nun ja, was der Bundespräsident darf, darf der Villon-Nachfolger offenbar erst recht. Kalkulierte Ausfälle politischer Paranoia mit größtmöglicher publizistischer Begleitmusik und noch eine Überdosis Renegatengift. Und die Behauptung, er – vielleicht sogar er allein – hätte als Drachentöter die Macht zersungen. In Wahrheit war er ein sich einschmeichelnder Krächzer, der sich die Freiheit nahm, viel bösartigen Unsinn zu reden. Er habe es den Übermächtigen immer gegeben, erklärte er kasperlehaft gegen den Einspruch des Bundestagspräsidenten. Nun müssen wir um ihn bangen, denn in Bautzen ist die Zelle Nr. 1 frei und Gregor Gysis Geheimpolizei hat Deutschland von Thüringen aus bereits zu unterwandern begonnen.

Wolf Biermann ist wandlungsfähig und erinnerungsscheu, hatte er sich doch noch am 2. Dezember 1989 in Ostberlin vehement für eine mit der Bundesrepublik friedlich konkurrierende DDR ausgesprochen. Er hatte zu Zeiten, da es gefährlich war, befreiende Spottlieder gegen bornierte Apparatschicks geschrieben. Er war mal für einen freiheitlichen Sozialismus, findet sich nun aber im konservativ-antikommunistischen Milieu wieder. Biermann 1989: „Ich kann ich das Wort WIEDER nicht ertragen. Ich meine Wiedervereinigung. Aber ich hab hier nichts zu bestimmen, aber ich will deutlich sagen, was ich mir wünsche: dass zwei Deutschländer da sein können, die einen edlen, friedlichen und demokratischen Wettstreit versuchen. Einen Wettstreit, bei dem man den anderen nicht in die Pfanne haut, nicht ihn heruntermacht und ihm miese Motive unterstellt und ihn zum Schwein stempelt, denn wer andere zum Schwein stempelt, will es auch abschlachten. Er hat das Messer schon hinter dem Rücken.“ Ja, Wolf! „Ich hab Leute sich ändern seh’n, das war manchmal nicht mehr schön.“

Biermann war früher klug, konsequent und scharf wie besonnen. Aber er erleidet das Schicksal so vieler in der Vergangenheit Steckengebliebener, die eine böse Vergangenheit unersättlich immer wieder wachrufen und dadurch ihre Bedeutung zu behalten erstreben. „Wer zu lange gegen Drachen kämpft, wird selbst zum Drachen“, hat August Strindberg einmal gesagt.

Friedrich Schorlemmer hat zuletzt Die Gier und das Glück. Wir zerstören, wonach wir uns sehnen veröffentlicht

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