Fünftausend Arbeitslose hat der Volkswagenkonzern in eine Art Geiselhaftung genommen: Die Arbeitslosen erhalten eine neue Stelle - aber nur, wenn die IG Metall (IGM) sich bereit erklärt, wesentliche Ziele ihrer Politik aufzugeben. Die Gewerkschaft hat jetzt dem von VW verfolgten Konzept mit der Überschrift »5000 mal 5000« zugestimmt. Der öffentliche Druck war nach dem Scheitern der ersten Verhandlungsrunde so groß geworden, dass sie sich im zweiten Anlauf der Unterwerfung nicht länger entziehen konnte. Fast alle setzten die IGM unter Druck: Arbeitgeber und ihre Verbände ohnehin, in fast umfassender Einigkeit die Medien, und selbstverständlich auch die Politik - von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Niedersachsens Regierungschef Gabriel bis hin zu Oppositionspolitikern von CDU/CSU und FDP. Sie alle jubeln jetzt, dass die IG Metall doch noch den Weg zu einer angeblich vernünftigen Politik zurückgefunden hätte.
Selbstverständlich spricht die IG Metall nicht von Unterwerfung, sondern streicht nach der Einigung mit der VW-Spitze ihre Erfolge heraus: Bis zu 5000 neue Arbeitsplätze, vor allem für geringer Qualifizierte ohne große Chancen auf Dauerarbeitsplätze sind ein Erfolg für die Menschen, die bei durchaus ordentlicher Bezahlung in Lohn und Brot kommen. Und auch die vier unterzeichneten Tarifverträge enthalten Regelungen, um die andere Beschäftigte und Gewerkschaften in ihren Branchen bislang vergeblich kämpften: Beteiligungsrechte bei der Gestaltung von Arbeitsabläufen und Arbeitsbedingungen, Ansprüche auf einen individuellen Entwicklungs- und Qualifizierungsplan zum Beispiel.
Klaus Volkert, Vorsitzender des VW-Konzernbetriebsrates, schwärmte schon vor der Einigung davon, nicht nur für VW öffne sich nun ein »neuer Pfad zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit«, sondern die Abschlüsse böten auch »ein enormes strategisches Potenzial zur Weiterentwicklung tarifpolitischer Perspektiven für die IG Metall«. Das Wörtchen »enorm« könnte sich als treffend erweisen: Die VW-Einigung lässt hart errungene »Normen« gewerkschaftlicher Politik hinter sich.
Zum Beispiel den Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Er soll nicht mehr für die vorerst 3.500 Beschäftigten der eigens gegründeten Auto 5000 GmbH gelten, die ab Oktober nächsten Jahres in Wolfsburg in einem neuen Werk Autos montieren sollen (möglicherweise kommen später noch 1.500 weitere Arbeitsplätze in Hannover hinzu). Sie erhalten nicht die Tariflöhne und Schicht- und sonstige Zulagen wie die VW-Arbeiter im Stammwerk, sondern 5000 Mark brutto im Monat (einschließlich eines »Bonus«) und damit bis zu 40 Prozent weniger als die Alt-Kollegen im Stammwerk. Kritik an dieser Regelung hat es schwer, liegt doch die Summe nicht nur weit über den Bezügen von Arbeitslosen, sondern in vielen Fällen auch noch über dem Arbeitseinkommen vieler Beschäftigter in anderen Branchen.
Zum Beispiel der Grundsatz der 35-Stunden-Woche. Sie war über viele Jahre zusammen mit den Buchstaben IGM und dem Symbol der aufgehenden Sonne zum Bild einer leuchtenden Zukunft mit mehr Freizeit verbunden, in der Beschäftigte eine größere Freiheit erhalten sollten, über ihr eigenes Leben selbst zu bestimmen. Jetzt jedoch soll laut Tarifvertrag eine »Flexibilitätskaskade« sprudeln, die alle Planbarkeit für die Beschäftigten fortschwemmt: Stets sollen sie zur Verfügung stehen an wechselnden Tagen je Woche, zu wechselnden Schichten, zu unterschiedlichen Stunden per Tag, gesteuert per »wöchentlich festzulegender Feinabstimmung« in Abhängigkeit von der Auftragslage. Zwar darf die regelmäßige Arbeitszeit nicht mehr als 42 Wochenstunden betragen, aber die Beschäftigten sind bei »Leistungsmängeln« verpflichtet, »auch über das festgesetzte Schichtende hinaus Nacharbeit zu leisten«, wenn sie in der vereinbarten Arbeitszeit nicht eine bestimmte Zahl von Autos in festgelegter Qualität gebaut haben.
Tom Adler, Betriebsrat in einem Daimler-Chrysler-Werk, argwöhnt, dass die VW-Regelungen einen »Domino-Effekt« in Gang setzen, der in »eine Abwärtsspirale für die VW-Standorte mit Haustarifvertrag und die gesamte Branche« münden könnte. Am Ende könnte es zu einem Umbau der klassischen, unbefristeten Arbeitsverhältnisse in Werkverträge kommen, heißt seine grundsätzliche Kritik. Als »Werkvertragsnehmer« würden dann Beschäftigte die unternehmerischen Risiken für eine bestimmte Zahl von Autos mit festgelegter Qualität tragen müssen. Die Arbeitszeitregelungen liefen darauf hinaus, »die gesamten arbeitszeitpolitischen Erfolge der IG Metall der letzten 40 Jahre zunichte zu machen«, so Adler.
Zumal zur Arbeitszeit eine Verpflichtung zu anderthalb Stunden unentgeltlicher Qualifizierung für die Arbeit hinzukommt, eine »Verkehrung der Verantwortung des Unternehmens zur Ausbildung in einen Eigenbeitrag der Beschäftigten«, wie der baden-württembergische Tarifsekretär Jörg Hofmann kritisiert. Die geplante Art der Qualifizierung (mit einem Abschluss als »Fachkraft für Automobilbau«) laufe darauf hinaus, die - bislang wesentlich von Facharbeitern geleistete - Arbeit zu einer »Angelerntentätigkeit« zu machen. Hofmann hält das für eine grundsätzlich falsche Strategie. Seine Alternative: Deutschlands Stellung in der Weltautomobilindustrie beruhe nicht auf niedrigen Löhnen und einer grenzenlosen Flexibilisierung der Arbeitszeit, sondern sei geprägt »durch die innovative Rolle, die der qualifizierten Facharbeit und Wissensproduktion zukommt«.
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