Eine andere Welt ist möglich

Aktuell Weltsozialforum, von Porto Alegre über Mumbai nach Nairobi

Porto Alegre - der Name steht für die Erfolgsstory einer globalen sozialen Bewegung zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Das Weltsozialforum (WSF) als Antwort auf die jährlichen internationalen Konferenzen von Industriebossen und Politikern in Davos. Anfang 2000 entstand die Idee bei einem Treffen von brasilianischen Gewerkschaftern in den Redaktionsräumen der französischen Zeitung Le Monde Diplomatique. Im Sommer des gleichen Jahres wurde dann der UN-Sozialgipfel in Genf genutzt, um für die Idee zu werben. Mit großem Erfolg.

Der Bürgermeister von Porto Alegre, Mitglied der brasilianischen Arbeiterpartei PT, hatte seine Stadt mit Unterstützung der Regionalregierung als Austragungsort angeboten. Sie galt als Modellort für neue Wege einer partizipativen Demokratie. Die linke Stadtregierung führte eine direkte Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger über den Gebrauch der Haushaltsmittel ein. Kurzum: dem Symbol Davos für die Globalisierung "von oben" sollte das Symbol Porto Alegre für Antworten "von unten" entgegengesetzt werden.

Zum ersten Forum im Januar 2001 kamen 15.000, bei den nächsten Treffen wuchs die Zahl bis auf 150.000. Die WSF-Charta - im Juni 2001 vom Internationalen Rat des WSF angenommen - umschrieb die Prinzipien des Forums: Es sollte ein "offener, pluraler, Diversität respektierender und jede Form von Unterdrückung verurteilender Reflexionsraum" sein, um humane Alternativen zum Neoliberalismus und zu jeder Form von Imperialismus zu entwickeln.

Dieses Bekenntnis zur Transparenz blieb wohl ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Weltsozialforums, dessen Einfluss besonders auf Lateinamerika inzwischen nicht mehr zu übersehen ist. Viele sehen hier einen der entscheidenden Katalysatoren für das Wiedererstarken der Linken auf dem Subkontinent. Genau messbar ist das freilich nicht, spürbar schon. Der Verfall der Hegemonie des Neoliberalismus südlich des Rio Grande hat durch das WSF einen Schub erhalten. Das gilt - wenn auch abgeschwächt - für andere Teile der Welt gleichermaßen. Man denke nur an die Erfolgsgeschichte von ATTAC in Westeuropa. Von globaler Bedeutung waren gewiss der Anstoß zum weltweiten Aktionstages gegen den Irakkrieg am 15. Februar 2003 oder die Impulse für die internationale Kampagne gegen die Privatisierung der Wasserversorgung.

Allerdings wurde die Form einer globalen Großkonferenz Jahr für Jahr allein durch die rapide wachsenden Teilnehmerzahlen auch zum Problem. Schon beim zweiten WSF 2002 wurde über eine "polyzentrische Globalisierung" der Arbeit diskutiert. Regionale Treffen in Lateinamerika, Europa, Asien und Afrika sollten den Prozess zugleich erweitern und vertiefen, etwa durch thematische Foren wie das Weltwasserforum, das Weltkommunikationsforum, das Welterziehungsforum, ein Weltforum der Richter und ein Parlamentarier-Netzwerk. Der Entschluss, mit dem WSF im Januar 2004 erstmals nach Asien zu gehen, war eine Zäsur. Das Forum in Mumbai wurde zu über 80 Prozent von Sympathisanten aus Indien besucht - Lateinamerikaner und Europäer fanden sich erstmals in der Minderheit, was den Blick auf das Projekt korrigieren und einer dezentraleren Veranstaltungsstruktur zum Durchbruch verhalf.

Gerade nach den beachtlichen Erfolgen der Linken in Lateinamerika gab es vermehrt Debatten über ein neues Rollenverständnis des WSF. Zugleich wurde offensichtlich, dass viele regionale Foren nicht nur zur Verbreiterung, sondern auch zu neuer Unübersichtlichkeit des Prozesses führen. Auch deshalb gab es die Entscheidung, das WSF künftig nur noch alle zwei Jahre auszurichten und die Themen durch eine globale Internetbefragung der Akteure zu ermitteln. Daher wird man mit dem am 19. Januar in Nairobi beginnenden Weltsozialforum eine neue Balance finden müssen, um die Regionalisierung mit dem eigentlichen Ziel, Gegenimpulse zur kapitalgetriebenen Globalisierung zu geben, abgleichen zu können Gerade in Afrika, das in weiten Teilen weltwirtschaftlich abgekoppelt zu werden droht, ist klar zu erkennen, dass ein "Millenniumsziel" der Vereinten Nationen wie die Halbierung der Armut bis 2015 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu schaffen ist. Doch es bleibt dabei - das Weltsozialforum stellt den Kristallisationskern einer neuen Zivilgesellschaft dar, die eine schonungslose Zwischenbilanz ziehen kann und muss. Nairobi könnte dem WSF die Chance bieten, in eine neue Rolle hineinzuwachsen.

Frithjof Schmidt Freitag-Herausgeber und Europaabgeordneter der Grünen


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