Der Krieg als Vater aller Dosen

Ablasshandel Das Dosenpfand im Lichte ökologischer Nachhaltigkeit

Im Jahre 1810 gewährte Kaiser Napoleon der Erste höchstselbst einem Monsieur Francois-Nicolas Appert für eine eben vorgestellte Erfindung die »Aufmunterung« von 12.000 Franc. Jubelnd verkündete dazu die Gazette de Santé am 22. Juli: »Welch ein Vorteil, dem durch schwere Märsche erschöpften Soldaten ein gesundes Stück Fleisch, eine erquickende Kraftbrühe reichen zu können.« Die Prämie und das überschwängliche Lob galten der die Nahrungsmittelproduktion revolutionierenden Maschine eines Süßwarenfabrikanten, mit deren Hilfe organische Substanzen durch Kochen an der Gärung gehindert werden konnten: Einkochen, einfüllen in Dosen, verlöten, mit einem Wort appertisieren, wie der Vorgang zunächst heißt.

Im Gegensatz zu den alten ließ sich diese neue Konservierungsmethode unterschiedslos auf alle Produkte anwenden, ohne dass Geschmack, Frische und Farbe sich wesentlich veränderten. Der Courier d´Europe vom 10. Februar 1809 empfahl Konserven-Kost nicht nur Militärangehörigen, sondern den »vielen Leuten«, denen »die Teuerung des Zuckers nicht erlaubt, sich mit Sirupen, Früchten und Konfitüren zu versorgen«.

Glücksverheißende Ikone der Konsumgesellschaft

Der Hautgout von Kommiss und Armut blieb insbesondere an den Fleischkonserven haften. Nicht ohne Grund. Denn Qualitätsprodukte wie Corned Beef sind bis heute Raritäten. Billigstware, bei der sich oft flachsiges Fleisch in dünner Soße tarnt, dominieren den Markt. Insofern vereinfachte Andy Warhol, wenn er 1968 eine gewöhnliche Dose, einen Zylinder, oben und unten mit einem Deckel versehen, mit rot-weißem Schriftzug Tomato Soup Campell zu Ikone der Konsumgesellschaft umfunktionierte.

Diese Ehre kommt alleine einer Dose zu, in die abgefüllt wurde, was schon in Flaschen Leitprodukt des American Way of Life war - Coca Cola. Mit der neuen Limonade verbanden sich magische Bilder von Freiheit, Lebensfreude und modernem Lifestyle. Das rot lackierte Weißblech-Ding verhieß darüberhinaus auch noch Unabhängigkeit, Beweglichkeit und jederzeitige Verfügbarkeit und steigerte so die suggestive Wirkung bei den KonsumentInnen.

An diesem positiven Outfit eines aus der Kräuterküche eines Junkies namens John Stith Pemberton stammenden Kokain-Saftes prallte eine eindrucksvolle Serie von sachlichen Bedenken fast spurlos ab:

Seine Zusammensetzung ist letztlich unbekannt. LebensmittelchemikerInnen, denen die seltene Ehre widerfuhr, leibhaftigen Coca-Cola-Sirup analysieren zu dürfen, fertigten »Gutachten« an, die naseweis konstatierten, dass die Probe »nach Zitronen und Zimtaroma rieche«, »süß-säuerlich nach Zitronenaroma« schmecke, 0,06 Prozent Coffeingehalt habe und bei Verdünnung mit Wasser ein »schwach-süßes Getränk von zimtähnlichem Geschmack« ergebe. Cola darf im Gegensatz zu Limonaden nur mit natürlichen Essenzen gefärbt werden.

Limonaden haben einen Zuckergehalt von maximal sieben Prozent, Cola-Getränke dürfen hingegen bis zu 13 Prozent Zucker enthalten. Dieser hohe Zuckeranteil, der durch den gleichzeitig hohen Phosphorsäure-Gehalt (0,1 Gramm in einem Viertel Liter) geschmacklich nicht auffällt, steht im Verdacht, eine Art von Sucht erzeugen zu können.

Wegen der Verwendung von Phosphorsäure haben KritikerInnen wiederholt gesundheitliche Bedenken angemeldet, die von staatlichen Gutachtern jedoch mit dem Argument abgeschmettert wurden, dass »Coca-Cola vor allem in Amerika von einer derart großen Anzahl von Personen getrunken wird, dass sich schon längst Gesundheitsstörungen hätten bemerkbar machen müssen, wenn die angegebene Phosphorsäuremenge solche hervorrufen würde«.

Wellness aus dem Weißblech

Dosen-Cola als glücksverheißende Ikone des schranken- und bedenkenlosen Konsumierens, deren Strahlkraft in Atlanta/Georgia bereits in einem eigenen Museum gehuldigt wird, hat nicht nur alle ernährungsphysiologisch empfehlenswerteren Limonaden mit nennenswertem Fruchtanteil in Marktnischen verbannt. CocaCola wirkte als Einstiegsdroge, um Verbrauchergewohnheiten in Richtung vollkommen denaturierter »Energy Drinks«, die angeblich Fitness und Wellness steigern, zu steuern: Sie enthalten Wasser, Zucker in verschiedenen Formen, pharmakologisch wirksame Substanzen, Vitamine und körpereigene Stoffwechselprodukte (Transmitter) - sonst nichts. Die Cola-Dose war es auch, die vielen KonsumentInnen die Abfüllung von Bier und Mineralwasser in Weißblech erst schmackhaft machte.

Der fortschreitende Durchbruch der Dosenverpackung, angestachelt vom quälenden Heißhunger nach wachsenden Renditen durch sinkende Transportkosten, führte in den letzten 20 Jahren zu einer Produktionssteigerung der deutschen Weißblech-Industrie um mehr als 100 Prozent. Gleichzeitig bemühte man sich intensiv darum, das Gewicht dieses klassischen Wegwerfproduktes, das von 1951 bis 1987 bereits um 70 Prozent herabgesetzt worden war, noch weiter zu reduzieren.

Ökologische Gründe spielten dabei eine völlig untergeordnete Rolle. Entscheidungsrelevante Motivation war die Angst, die PET-Flasche würde die Dose ebenso verdrängen wie der Plastik-Container die Mülltonne aus Blech. Die Materialreduktion verschärfte jedoch die Umweltproblematik. Ein regelrechter Wettlauf zwischen Miniaturisierung und Recycling setzte ein. Wird nämlich der Zinnanteil der Dosen verringert, dann ist die Wiederverarbeitung nur mit noch höherem Aufwand und daher geringerem Profit möglich.

Sobald die Rentabilitätsuntergrenze im gnadenlosen Konkurrenzkampf erreicht war, blieb die Komponententrennung auf der Strecke. Die fast völlig »entzinnten« Dosen landeten als Produktionsschrott direkt in den Hochöfen der Stahlindustrie. In einer von der Deutschen Weißblechindustrie herausgegebenen Schrift versuchten die cleveren Werbemangager dieses Wirtschaftszweiges 1992 noch, dieses Vorgehenssweise als »Wiederverwertung inklusive« darzustellen und die Weißblechdosen den KonsumentInnen als geradezu exemplarische »Kreislaufverpackung« aufzuschwatzen.

Dosenpfand: Die finale Problemlösung?

Doch die Schwierigkeiten mit der Dose ließen sich auf die Dauer auch durch Marketing-Voodoo nicht wegreden. Mit dem Pfandsystem sollte deshalb eine neue, finale Problemlösung kreiert werden. Wird sie funktionieren? Erfahrungen aus Bereichen, wo solche Pfandsysteme oder Pflicht-Entsorgungsbeiträge schon länger existieren, machen skeptisch.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird nur das schlechte Gewissen bisher dosenkaufabstinenter Schichten durch den neuen Obolus beruhigt, mit der absehbaren Konsequenz, dass der Weißblechmarkt nach einer kurzen Phase der Beunruhigung durch den administrativen Eingriff noch weiter expandieren wird. Im Lichte dieser Entwicklung wird sich das Pfand- (wie das zuvor propagierte Kreislaufsystem) in wenigen Jahren als profitbringende Ablasszahlung für weitere, noch verheerendere Umweltsünden herausstellen.

Für eine nachhaltige Lösung müsste die Ressourcenproduktivität ökologisch optimiert werden. Das bedeutet, dass Güter nicht mehr mit eingeplantem Ablaufdatum hergestellt werden dürften, sondern solche Waren, deren Nutzung sich verlängern und intensivieren lässt. Auf den Getränkedosenmarkt bezogen heißt dieses Prinzip der Nachhaltigkeit schlicht und einfach: das schrittweise Verbot aller Getränke-Dosen und die Rückkehr zum traditionellen System der wiederabfüllbaren Pfandglasflaschen in Normgrößen.

Gesetzliche Restriktionen dieser Art wären keine Novität. In Österreich existierte bereits einmal ein behördlicher Zwang zur Abfüllung von Mineralwasser ausschließlich in Glasflaschen - allerdings nur bis zum EU-Beitritt. Danach beurteilte der Europäische Gerichtshof diese Flaschen-Verordnung der Alpenrepublik als Handelshemmnis, das die sakrosankte Freizügigkeit des Wirtschaftsraumes zu beeinträchtigen droht.

Die Freiheit des Genusses aus der Dose müsse für alle gewährleistet sein und bleiben. Sonst könnte jemand auf die absurde Idee verfallen, die Abgabe von vakuumverpackten Wurstwaren in Selbstbedienung zu verbieten, weil sie für jeden, noch nicht von Geschmacksverstärkern (Glutamat) zerstörten Gaumen abartig schmecken. Oder man müsste den Verkauf von Frischfisch in Folien untersagen, weil diese Ware nur in ständig erneuertem Crash-Eis einigermaßen haltbar ist; oder plastikfolierte Champignons aus der Selbstbedienung verbannen, weil die Verpackung die Bildung von Schimmelpilzen geradezu fördert ... Am Ende könnten all diese Maßnahmen noch mit Arbeitsplatzbeschaffung begründet werden. Nicht auszudenken! Die freie Marktwirtschaft würde in ihren Grundfesten erzittern! WTO und GATS müssten Vertragsbrüchigkeit reklamieren! Und davor möge uns Hermes, euroreicher Schutzpatron der Kaufleute und Diebe sowie Begleiter aller toten Seelen in den Hades, bewahren!

Der Autor ist im Wiener Marktamt tätig.

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