Eigentlich ist es eine klare Ansage: „Der Standort Gorleben darf bei der Suche nach einem Endlager keine Rolle mehr spielen, er muss runter von der Liste der möglichen Standorte.“ Als Stephan Weil mit diesen Worten vom Norddeutschen Rundfunk zitiert wird, ist der SPD-Politiker noch im Wahlkampf. Nun ist er bald Ministerpräsident von Niedersachsen – und das macht die Sache kompliziert.
Denn auf Bundesebene wird seit Monaten um einen Konsens für die Suche nach einem Atomendlager gerungen. Peter Altmaier (CDU), Sigmar Gabriel (SPD), Jürgen Trittin (Grüne) sowie Baden-Württembergs bündnisgrüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann arbeiten an einer ganz großen Koalition für einen Suchlauf. Ihr Versprechen: Transparent und ergebnisoffen soll die Suche vonstatten gehen. Und mit einer weißen Deutschlandkarte beginnen, also keinen Standort vorab favorisieren, noch ausschließen.
Gespaltene Kritiker
Die Verhandlungen sollen möglichst schnell abgeschlossen werden. Doch das für vergangenen Sonntag angesetzte Spitzengespräch der Ministerpräsidenten ist nun erst einmal geplatzt. Der Grund: Stephan Weil ist noch nicht vereidigt und SPD und Grüne haben sich in den Koalitionsverhandlungen bisher auf keine Position zu Gorleben geeinigt. So scheint der Lösung des politischen Großkonflikts nun ausgerechnet ein rot-grüner Wahlsieg im Weg zu stehen.
Die alles entscheidende Frage lautet: Darf Gorleben von vornherein ausgeschlossen werden? Oder das Gegenteil: Muss das gar so sein? Die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, aber die Fronten sind nicht mehr klar: Längst sind auch Teile der Atomkraftgegner bereit, Gorleben in die Liste der möglichen Standorte aufzunehmen – in der Überzeugung, eine Suche nach wissenschaftlich neutralen Kriterien werde den Salzstock schnell ausschließen. Während also Greenpeace vor den niedersächsischen Koalitionsverhandlungen für ein endgültiges Aus für Gorleben demonstriert, macht etwa Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe Werbung für die „bittere Wahrheit“ und will den Standort zunächst pro forma in der Auswahl lassen.
Die Befürworter erzählen eine Geschichte von historischen Chancen, von Bürgerbeteiligung und wissenschaftlicher Expertise, vom Sieg der Vernunft über die Ideologie. Der Streit über ein Atommülllager habe Jahrzehnte lang die Republik gespalten. Nun könne er zu Ende gehen.
Die Kritiker wiederum erzählen von scheinheiligen Versprechen, von jahrelangen Lügengeschichten über die angebliche Eignung des Salzstocks, von der Vorfestlegung auf Gorleben, vom Verrat an den Idealen der Anti-Atom-Bewegung. Ihre Befürchtung: Solange der niedersächsische Salzstock auf der Liste steht, können die Suchkriterien entsprechend angepasst werden. Wie ergebnisoffen könne eine Suche sein, wenn für die Gorleben-Erkundung bereits 1,6 Milliarden Euro ausgegeben wurde – und für Alternativen fast gar nichts? Wenn schon mehr als 100 Castorbehälter in Gorleben im Zwischenlager stehen?
Ein vorzeitiger Ausschluss Gorlebens ist politisch schwer zu begründen – und möglicherweise auch rechtlich problematisch. Schließlich muss ein Gesetz in einem Rechtsstaat allgemein und für alle gleichermaßen gelten. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei der Standortauswahl in den siebziger Jahren getrickst wurde, damit Gorleben im Rennen bleibt. Diese Erfahrung beunruhigt viele. Sie fürchten, das Ergebnis könne erneut so manipuliert werden, dass Gorleben am Ende vielleicht nicht als „sicheres Endlager“, aber vielleicht als „das am wenigsten unsichere Endlager“ in Deutschland deklariert würde. Schließlich wollten die Energiekonzerne möglichst wenig Geld für die Erkundung weiterer Standorte ausgeben.
Das ist ein starkes Argument. Um eine wirklich ergebnisoffene Suche einzuleiten, muss Gorleben dennoch nicht unbedingt von Anfang an ausgeschlossen werden. Aber es braucht eine Bestimmung im Gesetz: Für die Untersuchung der aussichtsreichsten Standorte muss in etwa gleich viel Geld bereitstehen. Im aktuellen Entwurf werden die Kosten für die untertägige Erkundung von zwei Standorten auf jeweils 500 Millionen Euro geschätzt, also nicht mal ein Drittel dessen, was für Gorleben bereits ausgegeben wurde.
Ein entsprechender Paragraf hätte weitreichende Folgen: Zunächst dürfte der Salzstock in Gorleben nicht weiter erkundet werden. Erst müssten andere Standorte unter die Lupe genommen werden. Und in einigen Jahren würde sichtbar, ob die Gorleben-Befürworter aus der Atomindustrie immer noch so vehement für ihren jetzigen Lieblingsstandort streiten – oder dann doch ein anderes Atommüllendlager bevorzugen.
Kein Grund zur Beruhigung
Selbstverständlich spielen bei jeder Endlagersuche auch andere Belange als der Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit eine Rolle. Selbst wenn für die Energiekonzerne das wirtschaftliche Interesse am Endlagerstandort Gorleben entfällt, sind die Castorbehälter eben schon dort im Zwischenlager. Andererseits ist der Widerstand im Wendland so groß wie wohl sonst in keiner anderen Region Deutschlands. Das spräche eher für eine Alternative zum Salzstock. Ein Abtransport der Castorbehälter aus Gorleben zum jetzigen Zeitpunkt, etwa um Chancengleichheit in der Endlagersuche zu schaffen, wäre jedenfalls schon aus Sicherheitsgründen abzulehnen.
Wird der Endlagerstandort also am Ende doch vom Widerstand und nicht von der Geologie bestimmt? Ausschließen lässt sich das nicht, schließlich muss die Politik die wissenschaftlichen Erkenntnisse bewerten und am Ende entscheiden.
Um einen möglichst breiten Konsens zu erzielen, reicht daher eine transparente und ergebnisoffene Suche nicht aus. Für einen echten Konsens fehlen bisher nicht nur die Linkspartei, sondern auch wichtige Teile der Zivilgesellschaft. Ohne die Anti-Atom-Bewegung etwa wird es die erhoffte Beruhigung nicht geben. Dafür muss erst die Atommüllproduktion gestoppt werden, sonst gehen die Atomkraftgegner weiter auf die Schiene. Und Deutschland muss nicht nur die Reaktoren abschalten und darf nicht mehr die ganze Welt mit Atombrennstoff beliefern und mit Bürgschaften für Kraftwerks-Bauten beglücken.
Daher ist es eigentlich noch zu früh für eine neue Endlagersuche in Deutschland. Stephan Weil wird sich trotzdem an die Arbeit machen. Im Koalitionsvertrag mit den niedersächsischen Grünen wird am Ende irgendetwas zu Gorleben stehen. Weils Aussage im Wahlkampf war deutlich, aber der SPD-Politiker will es sich auch nicht mit Parteichef Gabriel verscherzen. Vielleicht hilft ja etwas Wort-Akrobatik? Oder ein Blick in die Wahlprogramme von Sozialdemokraten und Grünen in Niedersachsen. Da gibt es einigen Raum für Interpretationen.
Fritz Walders beschäftigt sich seit langem kritisch mit den Folgen der Atomkraft – auf dem Papier, auf Straßen und auf Schienen
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