Bitte keine Menschenopfer – nirgendwo

Flüchtlingsproteste Der Hungerstreik der Asylbewerber in München wurde zwangsweise beendet. Jetzt wollen Politiker die Situation der Flüchtlinge etwas verbessern. Sie haben nichts verstanden
Ausgabe 27/2013

Es gibt ein Mittel im politischen Kampf, das ist fast jeder Kritik moralisch erhaben: der Hungerstreik. Wenn Menschen eine Situation als so schlimm empfinden, dass sie bereit sind, ihr Leben dafür aufs Spiel zu setzen, dann muss man das ernst nehmen. So ist es auch kein Wunder, dass die Politik die hungernden und durstenden Flüchtlinge in der Münchener Innenstadt nicht ignorieren konnte. Inzwischen hat selbst CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer erklärt, die Landesregierung wolle die Wohnungssituation der Asylbewerber verbessern. Den Wahlkampf hat Seehofer verstanden, die Flüchtlinge nicht.

Denn ihre Forderung war stets die Gewährung von Asyl. Sie wollen in Deutschland leben und nicht ständig von einer Abschiebung bedroht sein. Ihnen geht es darum, dass sie nicht mehr von einem gnädigen Akt der Nächstenliebe abhängig sein wollen, ob sie hier bleiben dürfen oder nicht.

Es geht um die Münchener Innenstadt

Natürlich ist die Forderung nach Asyl – unabhängig vom Schicksal des einzelnen Flüchtlings – für einen Politiker nicht unmittelbar umzusetzen, wenn er nicht Rechtsbruch begehen will. Laut Gesetz müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Man muss die Hungerstreikenden aber auch nicht zu „realistischen Positionen“ drängen, wie es der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude tut – natürlich mit dem Verweis: „Es darf nicht zu Menschenopfern kommen!“

Korrekt müsste es heißen: Es darf nicht zu Menschenopfern in der Münchener Innenstadt kommen. Denn dass Tausende Menschen an den Grenzen der Festung Europa umkommen, das ist bekannt, aber niemand tut etwas dagegen. Wenn dann aber der Protest endlich ein-mal sichtbar wird, wie jetzt in München, muss er wegen der Gesundheitsgefahr für die Hungerstreikenden schnell wieder beendet werden. Am Sonntag wurde das Zeltlager zwangsgeräumt, die Flüchtlinge wurden in Krankenhäuser gebracht.

Wäre das 24 Stunden später passiert, hätte die Räumung eine besondere Symbolik bekommen. Denn an dem Tag jährte sich die faktische Abschaffung des Asylrechts zum 20. Mal. Wer in Deutschland Schutz vor Verfolgung sucht, hat seitdem keine Chance mehr, wenn er aus einem sogenannten „sicheren Drittstaat“ einreist – und zufälligerweise ist Deutschland von lauter sicheren Drittstaaten umgeben. Zugestimmt haben damals übrigens auch die meisten SPD-Abgeordneten im Bundestag.

Die Bewegung braucht ein klares Ziel

Dass 20 Jahre später die Flüchtlinge selbst für ihre Rechte protestieren – nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg und Berlin – , hat auch mit ihren radikalen Forderungen zu tun. Der Kampf für kleine Verbesserungen ist richtig, aber zu wenig. Eine politische Bewegung braucht ein klares Ziel. Es lautet: Gleichberechtigung mit den deutschen Staatsbürgern. Ohne dieses Ziel würden sich viel weniger Menschen an den Protesten beteiligen.

Die Flüchtlinge haben in München zwar für ihre eigenen Rechte gekämpft, aber wenn ihnen nur egoistische Motive wichtig gewesen wären, hätten die Hungerstreikenden sicherlich nicht ihr Leben riskiert.

Viel zu selten diskutiert die Politik über dieses Thema, von Ausnahmen wie jetzt im Fall Edward Snowden einmal abgesehen. Ansonsten wird die permanente humanitäre Katastrophe ignoriert. Der Hungerstreik der Flüchtlinge in München trägt dazu bei, dass sich das endlich ändert.

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