Der Strom kommt aus der Steckdose, und der Strompreis steht auf der Rechnung? Den ersten Halbsatz hat die Anti-Atomkraft-Bewegung widerlegt, den zweiten die Bundesregierung. Union und FDP haben ihr Herz für Bedürftige entdeckt und wollen ihnen noch vor der Bundestagswahl im Herbst eine sogenannte Strompreisbremse schenken, damit die Energie nicht immer teurer wird. Die Koalition verspricht sich davon einen Wahlkampfschlager. Das Problem von Schwarz-Gelb: Im Bundesrat können SPD und Grüne blockieren – die sich im Wahlkampf allerdings auch nicht als Spielverderber profilieren wollen.
Und so wird fleißig über den Strompreis verhandelt, bis am Ende niemand mehr durchblickt. An welcher Stellschraube soll gedreht werden, wenn jede Schraube ihre eigene Lobby hat
Lobby hat? Zwar haben sich Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) ausnahmsweise auf ein Konzept einigen können. Aber nach dem Energiegipfel mit den Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche ist es schon wieder hinfällig. Die Kanzlerin hat nämlich ein Machtwort gesprochen: Eine nachträgliche Kürzung der zugesagten Vergütung für Ökostrom aus bestehenden Anlagen werde es nicht geben.Angst vor den Öko-JuristenWas Altmaier und Rösler ausgedealt hatten, war auch grob fahrlässig: Das Erfolgsrezept für den bisherigen massiven Ausbau von Wind und Sonnenenergie ist ja gerade der garantierte Abnahmepreis für Ökostrom. Das sichere Investment hat tausende Bürger dazu bewogen, ihre Dächer mit Solarmodulen vollzupflastern oder Anteile an Windparks zu erwerben. Das Gesetz ist ein Exportschlager, zahlreiche Länder sind dem Vorbild Deutschlands gefolgt.Diese Garantiepreise nun nachträglich zu kürzen, wäre nicht nur politisch fatal, sonder auch rechtlich problematisch gewesen. Die Experten vom Bundesumweltministerium selbst waren in einer Studie aus dem Jahr 2009 zu dem Schluss gekommen, dass dadurch unzulässig in das Eigentumsgrundrecht eingegriffen werde.Ein ganz ähnliches Problem gibt es auch beim gesetzlich vorgeschriebenen Abschalten der deutschen Atomkraftwerke. Als SPD und Grüne 1998 an die Regierung kamen, haben sich Befürworter und Gegner des Atomausstiegs mit juristischen Gutachten bombardiert. Atomkraftgegner argumentierten, dass die Stromkonzerne ihre Investitionen durch die Gewinne bereits wieder reingeholt hätten. Letztlich blieb aber unklar, ob unzulässig in das Eigentum der AKW-Betreiber eingegriffen wird. Auch deswegen setzte Rot-Grün auf einen Konsens mit den Atomkonzernen.Heute ist es die Angst vor einem juristischen Streit mit der Ökostrom-Branche, die Merkel überzeugt haben dürfte, die Vergütung nicht nachträglich zu kürzen – auch wenn sie durch die Ablehnung des Altmaier-Rösler-Vorschlags die Bundesregierung blamiert.Die Verhandlungen über die sogenannten Strompreisbremse gehen weiter, eine Gesetzesänderung vor der Wahl ist noch möglich. Leicht wird das aber nicht: Wenn Windräder auf dem Meer künftig weniger gefördert werden, stemmen sich SPD-geführten Nordländer dagegen. Kürzungen bei der Fotovoltaik stoßen bei den Ostländern auf Widerstand – dort ist die Solarindustrie eine wichtige Arbeitgeberin.Es gäbe noch einen anderen Weg. Man könnte die Abgabe, die jeder Stromkunde für die Förderung von Ökostrom derzeit bezahlen muss, einfach auf mehr Schultern verteilen. Derzeit sind viele großindustrielle Stromverbraucher von der Umlage weitgehend befreit, Privatkunden zahlen umso mehr. Als Schwarz-Gelb die Industrieprivilegien massiv ausgeweitet hatte, protestierten SPD und Grüne. Nun sollen die Ausnahmen nach dem Willen der Bundesregierung wieder seltener werden, aber jetzt sträubt sich die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen dagegen. SPD und Grüne setzen dagegen auf eine Minderung der Stromsteuer – gegen den Willen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).Ohnehin ist das Gejammer von angeblich überhöhten Strompreisen völlig fehl am Platz. Höhere Energiekosten sind nicht per se ungerecht – wenn arme Menschen im Gegenzug mehr Geld bekommen. Von niedrigen Strompreisen profitieren nur die Verschwender. Und von Sozialtarifen profitieren nur die Verschwender unter den Geringverdienern. Von einer Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes bei gleichzeitiger Strompreiserhöhung aber profitieren vor allem die sparsamen Erwerbslosen. Das Geld für höhere Sozialleistungen ist da – wenn Energieverbrauch vernünftig besteuert wird.Ob vor der Bundestagswahl noch eine Strompreisbremse beschlossen wird, ist fraglich. Zwar haben Bundesregierung und Länder bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll gezeigt, dass Kompromisse in Energiefragen prinzipiell möglich sind. Bundesumweltminister Altmaier (CDU)und der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) räumten am Sonntag die letzten Hürden aus dem Weg, so dass ein entsprechendes Gesetz wohl noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann. Nun soll eine Kommission mit Abgeordneten, Wissenschaftlern, Vertretern von Umweltverbänden Gewerkschaften und Kirchen bis 2015 über „Grundsatzfragen beraten“: unter anderem über das Suchverfahren, über die Mindestanforderungen für einen Standort und über Ausschlusskritierien. Mit anderen Worten: Alle politisch umkämpfen Fragen sind an dieses Gremium delegiert und bis weit nach der Bundestagswahl vertagt worden. Die angeblich neue gemeinsame Atommüllpolitik ist also eher eine Alibi-Veranstaltung, um politisches Handeln vorzutäuschen. Die wirklich wichtige Frage – bleibt das derzeitige Zwischenlager Gorleben, weiterhin im Topf der möglichen Standorte? – wurde schließlich wieder vertagt. Nur ein Standortsuchgesetz, das soll vom Bundestag schon mal beschlossen werden.Gnadenfrist bis HerbstBei der Strompreisbremse wäre zwar ebenfalls ein großes Bohei mit kleiner Wirkung in den nächsten Wochen vorstellbar. Aber spätestens im Herbst, wenn die Höhe der Ökostromumlage für das kommende Jahr bekannt gegeben wird, flöge die Sache auf.Vielleicht sind die Parteien über den Strompreis als Thema im heraufziehenden Bundestagswahlkampf aber auch gar nicht so undankbar. Die schwarz-gelbe Regierung könnte die Blockierer der Opposition beschimpfen, während SPD, Grüne und Linkspartei der Koalition wiederum halbherziges Handeln vorwerfen könnten. Und während sich die Endlagersuche zumindest für Rot-Grün nicht so recht eignet, weil die Interessenlage in dieser Frage sehr kompliziert ist, eignet sich der Strompreis mit seiner sozialpolitischen Komponente sehr wohl für einen Lagerwahlkampf. Für die Ökostromer gäbe es dann eine Gnadenfrist bis Herbst. Aber danach müssen sie ganz sicher mit finanziellen Einschnitten rechnen.