Bisher waren es meist afrikanische Kinder mit Kulleraugen, nun sind es Damen und Herren in feinen Anzügen: Für die 620 Abgeordneten des Deutschen Bundestags werden Paten gesucht. Um "netzpolitische Entwicklungshilfe" zu leisten, wie Markus Beckedahl von der Digitalen Gesellschaft sagt. Die NGO sucht auf adoptier-deinen-abgeordneten.de nach Leuten, die monatlich zwischen vier Euro (Hinterbänkler) und 19 Euro (Ministerin) spenden und ihren Politiker in Internetpolitik beraten.
Dass NGOs ihre Unterstützer dazu aufrufen, mit Bundestagsabgeordneten aus ihrem Wahlkreis zu diskutieren, ist nicht ganz neu. Der Protest von hunderten Bürgern kommt meist glaubwürdiger rüber als teure Lobbyistenveranstaltungen. Und viele NGOs verfügen über mehr ideelle Unterstützer als Geld. Die Basis wird aber meist nur mobilisiert, wenn besonders wichtige Entscheidungen im Parlament anstehen. Aber eine dauerhafte Lobbyarbeit durch Ehrenamtliche? Das hat nun die Digitale Gesellschaft vor. Die Paten sollen regelmäßig mit Informationen versorgt werden, damit sie diese dann mit ihren Abgeordneten bereden. Wird nun also drauf los getwittert? Oder nutzen sie dafür die Chatfunktion bei Facebook? Sicherheitshalber will man lieber eine Stufe drunter anfangen: anrufen, Briefe schreiben oder – ganz avantgardistisch! – eine E-Mail schicken.
Facebook-Partys mit Politikern
Nur ob dieses Engagement die Politik verändert, ist fraglich. Netzpolitiker haben ohnehin mit der Digitalen Gesellschaft zu tun, wenn deren Mitglieder etwa als Experten in Ausschüsse geladen werden. Und die anderen Abgeordneten, die möglicherweise Nachhilfe bräuchten, interessieren sich vor allem dafür, wie sie über Facebook möglichst viele Wähler mobilisieren. Nicht jeder ist da ja so erfolgreich wie Horst Seehofer mit seiner Facebook-Einladung in die Münchner Promi-Disco P1.
Die beste Entwicklungshilfe dürfte daher die Macht des Faktischen bleiben. Es wird sich zukünftig kein Abgeordneter, der nicht völlig aus der Zeit gefallen wirken will, leisten können, die drängendsten Fragen des Netzes zu ignorieren. Was auch einen Nachteil haben könnte: Werden wir uns weiter über unbeholfene Politiker amüsieren? Wenn Kulturstaatsminister Bernd Neumann glaubt, Google habe bestimmt ein Konzept, was man mache, wenn das Internet "voll" ist. Oder Angela Merkel im Jahr 2011 zur Erkenntnis gelangt: "Das Internet ist mit Sicherheit keine Modeerscheinung." Sollte das Patensystem solche Aussagen demnächst verhindern, wäre es zwar erfolgreich – aber auch eine schreckliche Spaßbremse.
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