Demnächst noch intimer

Medientagebuch Statt Bildschirm-Trash nun "Good-TV": Gute Menschen kennen keine bösen Formate

Die Diskussion um das so genannte "Unterschicht-Fernsehen" zeigt Folgen. Kein Macher möchte solches Unterhemden-Badenschlappen-TV mehr machen, auch nicht in den kommerziellen Sendern. Die Werbewirtschaft mault nämlich, wenn ihr Produkt in allzu schmuddeliger Umgebung auftaucht. Deshalb macht sich Unbehagen breit, ob man nicht in letzter Zeit etwas viel Fernseh-Müll auf Sendung geschickt haben könnte. Also geht jetzt ein neuer Begriff in der Branche um: "Good-TV", gutes Fernsehen. Im Mediensprech wird das Phänomen "Good-TV" genannt, damit überhaupt jemand zuhört und einen Trend erkennt. Aber sonst hört es sich ernst an. Ist jetzt "Schluss mit lustig" im lustigen Medium Fernsehen?

Statt neuer Folgen von Die Burg oder Big Boss kommen jetzt die Ratgeber. Zwar gibt es Ratgeber-Sendungen, seit es das Fernsehen gibt, mancher Vorabend in den Dritten Programmen ist ein einziger Ratgeber. Aber jetzt kommt doch Tempo in die Sache. Good-TV will nämlich nicht nur guten Rat geben, es will ganz handgreiflich zeigen, wo´s langgeht. Good-TV ist Interventions-Fernsehen.

Die Super-Nanny gilt als das in diesem Sinn derzeit ideal gelungene Format. Wer mit seinen Kindern nicht zurecht kommt, ruft beim Fernsehen an - manchmal erledigt das auch das Jugendamt - dann kommt die natürlich ausgebildete Psychologin mit dem Kamerateam vorbei und wird´s schon richten. Über den Erziehungseffekt der Aktion, die lieben Kleinen vor die Kamera zu zerren, herrscht offenbar Einigkeit - die Wiederkehr einer autoritären Pädagogik. Die bessererziehenden Zuschauer können dagegen wohlig erschauern, was es in der Erziehungswelt alles so gibt.

Das Modell von Good-TV kennt man schon vom Heimwerken, Wohnungseinrichten und Gartenumgraben. Da können es Erwachsene gar nicht erwarten, sich als Do-It-Your-Self-Deppen vor der Kamera lächerlich zu machen, und daran sind sie dann wiederum selbst schuld. Aber demnächst geht es in intimere Gefilde. Demnächst wird das Gute Fernsehen noch ganz andere Dinge verlangen: Weg mit dem Übergewicht. Runter von den Schulden. Schluss mit dem Rauchen. Kampf dem öden Blümchen-Sex.

Einer der guten Menschen, die jetzt zwischen den Werbeblöcken nicht nur irgendeines, sondern eben gutes Fernsehen machen wollen, ist Martin Hofmann. Früher Geschäftsführer von SAT.1, steht Hofmann jetzt der Produktionsfirma MME vor, die das deutsche Fernsehen beispielsweise mit Sendungen wie Schmeckt nicht, gibt´s nicht, Richterin Barbara Salesch oder grade eben erst mit der Belanglosigkeit Sarah Marc in Love (Mediensprech: eine Celebrity-Docu-soap) bestückt hat. Hofmann hat auf der Kölner Cologne Conference das "Unbehagen" formuliert, vor allem das kommerzielle Fernsehen werde an Bedeutung verlieren, wenn es sich nicht ändere. Er hat seine Kollegen ernsthaft ermahnt, auf handwerkliche Qualität zu achten, die Zuschauer ernst zu nehmen, einen Bezug zum Leben der Zuschauer zu suchen, in allem dem seriös zu sein und das alles bereits in der Konzeption von Sendungen einzuplanen. Kein Voyeurismus mehr, keine schlampig hingeschmissenen Drehbücher. Mit fünf Goldenen Regeln, so Hofmann, müsste das doch zu machen sein: "Good-TV ist Fernsehen auf Augenhöhe, ist seriös und interessiert sich für die Protagonisten, greift alle Lebensbereiche auf, beachtet die neue Form der Dramaturgie und ist cross-medial".

Nun könnte man sagen, wer solche Selbstverständlichkeiten mit Bedeutungsschwere hinaustrompetet, muss es nötig haben. Nach welchen Kriterien haben diese Leute bisher Programm gemacht? Es handelt sich auch keineswegs um eine Umkehr in Zerknirschung. Die Branche wird nicht von Altruismus getrieben. Es gehe, sagt Hofmann, "nicht nur um ein rein ethische Frage", sondern "um ökonomische Erfolgspotenziale, die im Selbstinteresse der Produzenten berücksichtigt werden sollten.". Auch gut - wenn das Interesse an stabilen Profiten dazu führt, den schlimmsten Müll vom Bildschirm zu fegen, dann eben so.

Was einen jedoch an der Ernsthaftigkeit der neuen guten Menschen vom "Guten Fernsehen" zweifeln lässt, ist die Sicherheit, mit der sie ihre Agenten losschicken, sich in alles und jedes einzumischen, mit keinem anderen Auftrag, als dem selbst gegebenen und mit keiner anderen Qualifikation als der Chuzpe, auch noch die letzten privaten Regungen in den öffentlichen Bildschirmkarneval hineinzuziehen.

Dabei reichen die Antworten von Good-TV grade mal so weit, wie Fernsehen sie geben kann: schnell, überschaubar, leicht konsumierbar, in Serie, emotionalisiert. So verspricht das Good-TV seinen Problemkindern rasant alles Mögliche, aber das möglichst schnell. Fast-Food-Sozialisation: In drei Wochen bringen wir Ihre Familie in Ordnung. In einem Monat sind Sie Ihre Schulden los. In einem Tag renovieren wir Ihre Wohnung. In sechs Wochen glüht Ihr Sexualleben wieder auf Hundertzwanzig. Wenn es nicht so ernst wäre - man müsste die Anmaßung als ausgesprochen lächerlich empfinden.

Man kann die Sache freilich auch so sehen: Der Erfolg der Super-Nanny hat auch gezeigt, dass die Themenscouts ein Defizit der Gesellschaft in Erziehungsfragen aufgetan haben. Überhaupt weisen die Themenvorschläge des künftigen Guten Fernsehens auf das Versagen gesellschaftlicher Institutionen hin. Im Zentrum aller Sozial-Formate geht es um menschliches Verhalten, das auf den Prüfstand des Fernsehpublikums kommt, Jedenfalls werden gerade in diesen Sozialformaten auch die neuen deutschen Sekundärtugenden eingeübt: Flexibilität, Veränderungsbereitschaft, Anpassung an veränderte soziale Lagen, Bescheidenheit in den Ansprüchen, Teamgeist und soziale Kompetenz. In diesem Sinne orchestrieren sie die Lage der Gesellschaft zwischen Hartz IV und Pisa.


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