Seit 1989 hat Dieter Süverkrüp nicht mehr auf der Bühne gestanden. Nur in diesem Jahr hat er zweimal eine Ausnahme gemacht, in Düsseldorf und Berlin. Aber nicht als Auftakt und neuer Aufschwung, eher als wiederholte Schlusskadenz und als Bilanz. Der Liedermacher Dieter Süverkrüp bleibt eine linke Erinnerung. Seine Musikerjahre überblickt er jetzt in einem Buch, Süverkrüps Liederjahre, flankiert von einer vierteiligen CD Edition im Konträrverlag. Es besteht Nostalgiegefahr.
Dem beugt das Buch mit mehrerlei Tricks vor, sprachlichen und visuellen. Udo Achten als Herausgeber scheint dem Liedermacher den erzählenden Text abgelistet zu haben. Er setzte ihm die Lieder und Gedichte auf einem Laptop vor die Nase und eröffnete ihm damit die Möglichkeit, um die alten Texte herum Geschichten zu spinnen, Vor- und Nacherzählungen beizufügen, bissige oder ironische Anmerkungen anzubringen und auch Figuren aus den Liedern zu einem virtuellen Eigenleben hervorzuholen. Den Laptop verwandelt Süverkrüp kokett einen "Läpptopf" (die Assoziation zu "läppisch" muss bei einem Wortbastler als absichtsvoll vorausgesetzt werden) und tritt mit der Kiste in eine Art fiktiven Dialog, den man auch ein Selbstgespräch nennen kann. Dazu hat Süverkrüp noch 40 Grafiken aus seiner reichen Werkstatt ins Buch gestellt. Sie treten auf schöne Weise mit den Texten in Dialog, verhalten sich nicht als illustrative Beigaben, sondern behaupten sich als eigenwillige, manchmal surreale, immer kräftige Kommentare zur Lage.
Der Aufwand hat sich gelohnt. Für nostalgische Anwandlungen wird die Luft dünn und der Leser läuft schnell auf die Frage zu: Welche Texte haben gehalten, welche überlebt? Welche Gedanken tragen noch, welche nicht mehr? Auch hier hat der Autor der Neigung vorgebaut, die Fragen allzu endgültig zu beantworten. Er will die Präsentation seiner Texte eher beiläufig verstanden wissen und stellt sie metaphorisch wie Sperrmüll an den Straßenrand, etwa wie eine alte elektrische Uhr, die ihren Geist aufgegeben hat: "Aber jetzt mal angenommen, ganz zufällig, kommt in geschmackvollem Plunder-Look, eine Ausstattungskünstlerin vorbei, Schwerpunkt Fernsehdekoration. Sie erblickt die Uhr und stutzt. Genau das sucht sie seit Wochen für die Ausstattungsserie Unter unserem Tisch. Sie prüft den Fund und jubelt: Kaputt ist sie auch schon. Oder ein verspäteter Entdecker der Langsamkeit entdeckt hier endlich eine Uhr, die garantiert nicht vorgehen kann. Andere potenzielle Finder sind denkbar. Ob sie kommen werden, weiß niemand. Ausgeschlossen werden kann es grundsätzlich nicht." In diesem "Wiederverwendungsmilieu" also soll man die Texte ansehen und die Lieder anhören, ob sie sich noch anschauen und anhören lassen - ein ganz schöner Frischhaltetrick.
Sperrmüll also, Fundgrube nicht nur für die bekannten Süverkrüpiaden wie den Baggerführer Willibald und den Kryptokommunisten. Wer sich drauf einlassen will, kann hier eine kleine Reise antreten durch die Geschichte der BRD. Ein Blick in die Hallstein-Zeit, als die DDR sehr pfui und die Politik vom Wandel durch Annäherung noch nicht formuliert war. Ein Hinweis auf Heinrich Lübkes sauerländische Zwergschulkarriere. Kräftige Seitenhiebe auf den Kunstrummel der Abstrakten in der Nachkriegsjahren. Ein pointiertes Hinsehen auf das Jahr 1967, als "durch den Schah von Persien in Westberlin die deutschen Achtundsechziger Jahre eröffnet" wurden. Oder die Schließung der Phrix-Werke, einem Textil-Betrieb in Krefeld zu einer Zeit, die heute schon fast als Jahre der Vollbeschäftigung durchgehen könnten. Zeitgeschichte also, verdichtet, vergröbert, verfeinert.
Enthalten sind, wie sollte es anders sein, auch die Irrtümer der Linken. Etwa der, die BRD der siebziger Jahre für protofaschistisch gehalten und in den Notstandsgesetzen schon die künftigen KZs erblickt zu haben (Lagerlied). Aber Süverkrüp weiß, die Weltgeschichte führt immer wieder auch "die Satiriker an der Nase herum".
Je nach Sperrmüll-Bedarf mag die Wertschätzung der Fundstücke unterschiedlich ausfallen. Haltbar scheinen vor allem die aggressiven Anti-Texte, verblasst dagegen jene, die den Sozialismus loben wollen. Am schönsten glänzen die ironischen und die sarkastischen. Die Revolution ist beendet (1970) etwa - "Viele Revolutionen wurden beendet / in letzter Zeit / Muß sich doch rumgesprochen haben / Spricht sich doch sonst alles rum" - ein ironisch-satirisches Pamphlet erster Güte. Oder die Eloge aufs Mutterland, Für ein Schullesebuch gedacht (1970): Du lässest dich schamlos bebarzeln, bespringern / sie flicken dir eins unterm Zeuge. / Sie machen dir abs und zu einen Krieg, / sie halten dich blöde und feige, / ein Liebchen, das Geld gibt und je nach Bedarfe / geschlachtet werden kann."
Zu entdecken wäre auch der surrealistische, manchmal auch anarchistische Süverkrüp. Der Wortaufrührer und produktive Wortverdreher mit seinen Wortspielen von der agitproperen Kunst, den Unterwanderstiefeln, mit der "widerspruchsfrohen Ästhetik" und dem dm "Widerwortschatz". Schmerzhaft merkt man beim Durchlesen, wie sehr heute Satiriker und Sarkastiker seines Kalibers fehlen, die sich den Politsprachmüll vornehmen und den Merkels und Scholzens ihre Phrasen geschärft zurückschießen. Und, kaum geringer zu bewerten, wie sich die unangepasste musikalische Eigenart gehalten hat, noch einmal (und dringlich empfohlen) nachzuhören auf den CDs: Süverkrüps rasante Jazzakkord-Kaskaden, über die er seinen Sprechgesang türmt.
Schließlich wären noch zu erwähnen die Poesie und der lange Atem. Süverkrüp hat am Ende etwas Schönes versteckt, in einem Glossar, zu später Stunde, als seine Phantasiefiguren schon das Läpptopf-Feld geräumt haben. Das Gedicht handelt vom portugiesischen Mandelbaum und endet mit den Zeilen: "Krummer geschundener Mandelbaum / seht wie er ungebeugt ist / da habt ihr einen der nie ein Jahr / zu blühen vergißt".
Süverkrüps Liederjahre 1963 - 1985 ff. Herausgegeben von Udo Achten. Grupello, Düsseldorf 2003, 296 S., 26,80 EUR
4-CD-Box zum Buch, Conträr Musik, Lübeck 2003, 33 EUR
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