Die Gustloff ist vor kurzem erst spektakulär im ZDF untergegangen. Die Flucht vor der Roten Armee aus Ostpreußen liegt schon etwas zurück, blieb aber im Gedächtnis, weil sich der Zweiteiler unter den Quoten-Top-Ten platzieren konnte, zwischen Sport, Sport, Sport, Wetten, dass... und Sport. Geschichte und Zeitgeschichte sind in den vergangenen sieben, acht Jahren für das Fernsehen ein gefragter Sujetlieferant geworden. Das gilt besonders für das so genannte Event-Fernsehen, in dem gleich zwei Ereignisse zusammentreffen sollen: das historische Ereignis und das Fernsehaufführungsereignis. Die große Katastrophe und die hohe Quote. Die kollektive Erinnerung und das kollektive Gefühl, noch einmal dabei gewesen sein zu können. "Fernsehen macht Geschichte", hieß kürzlich denn auch doppeldeutig das Thema auf den renommierten Tutzinger Medientagen.
Das Augenmerk gilt dabei immer den auffällig großen, meist mehrteiligen Geschichtsdramen. Sie haben inzwischen Dokumentationen ins Schlepptau genommen, mit großem Erfolg. Plötzlich zeigt sich, dass die Zuschauer sich durchaus fürs Dokumentarische interessieren. Sie können sehr wohl unterscheiden zwischen Fiktion und Fakt. Aber weil gerade diese Fiktion verspricht, historisch wahrhaftig, ja authentisch zu sein, wollen die Leute es offenbar genau wissen. Und dann treffen sie wie im Fall Gustloff wiederum auf die gleichen Spielszenen, deren Beglaubigung eigentlich durch die Historiker erhofft worden war.
Was zeigt: das Geschichtsfernsehen ist in der Postmoderne angekommen. Alles ist machbar, alles gilt gleich viel. Für schlichtere Gemüter laufen Militaria auf den kommerziellen Nachrichtenkanälen (männeraffines Programm genannt). Die verbürgten Schiffsuntergänge richten sich an die sensibleren Gemüter. Man findet gelungene filmische Verarbeitungen von Historie wie Adolf Winkelmanns Contergan oder kläglich missratene wie die SAT.1-Story um Troja-Ausgräber Schliemann, der als eine Art deutscher Indiana Jones auf Schatzsuche geschickt wurde. Bei welcher Gelegenheit man übrigens Heino Ferch als den ideellen Gesamtgeschichtsdarsteller bewundern konnte, der auch schon als Tunnelbauer, US-Luftbrückengeneral und Mauerflüchtling unterwegs war. Inzwischen werden Schauspieler auch schon als Experten in die Talkshows eingeladen, Veronika Ferres etwa als Kennerin von DDR-Lebensverhältnissen, oder Benjamin Sadler, der Filmvater eines Filmcontergan-Kind als Contergan-Experte. Gefühlte Experten sozusagen.
Geschichte im Fernsehen heißt: Fernsehen hält Geschichte stets gegenwärtig. Mit angeblich zeitlosen Liebesgeschichten verpappt, fühlt sich die Berliner Luftbrücke an, als wäre sie gestern errichtet worden. In diesem Jahr sind die Achtundsechziger dran und der Deutsche Herbst. Dessen filmische Produktion ist in die Hände von Bernd Eichinger geraten, der im Untergang Hitlers letzte Tage irgendwie ohne Nationalsozialismus inszeniert hat. Einige größere zeitgeschichtliche Katastrophen stehen noch aus, die Explosion der Hindenburg, der Untergang der Luconia. In Arbeit ist ein Dreiteiler über Die Krupps. Der hoffentlich nicht vor der Komplexität des Stoffes einknicken wird.
Denn Geschichte im Fernsehen ist so sexy, dass es auf Genauigkeit nicht immer so ankommt. Der Trend wird bedient mit allen Mitteln, vor allem denen der Emotionalisierung. Dass das Medium in Sachen nationalsozialistischer Vergangenheit als Spiegel wie als Motor einer revisionistischen Erinnerungspolitik agieren kann und teilweise auch agiert, wird öffentlich meist ebenso ausgeblendet wie gesellschaftlicher Kontext bei der Verspielfilmung der RAF-Geschichte: der Trailer zum RAF-Film der ARD kommt daher wie ein rasanter Videoclip und fetzt die Leichen der Terroristen in Stammheim wie in einem CSI-Format nur so über den Bildschirm. Welche Formen von Ästhetisierung und Dramatisierung sind angemessen, welche nicht? Muss man akzeptieren, dass die gelungene Emotionalisierung eines Stoffs inzwischen fast einziger Maßstab in den Redaktionen ist? Reicht es als Grundidee für Die Gustloff, ihren Untergang als eine Art deutsche Titanic zu inszenieren, nur viel schlechter?
Offenbar ja. Daneben hat der Geschichtsboom sein Gutes. Geschichte ist stets präsent. Fragt sich nur, was das Histotainment am Ende davon übrig lässt. Der Historiker Eric Hobsbawn schreibt in seinen Erinnerungen: "Die moderne Mediengesellschaft hat der Vergangenheit zu einer beispiellosen Bedeutung und zu einem enormen Marktpotenzial verholfen. Heutzutage wird Geschichte mehr denn je von Leuten umgeschrieben oder erfunden, die nicht die wirkliche Vergangenheit wollen, sondern eine, die ihren Zwecken dient. Wir leben heute im großen Zeitalter der historischen Mythologie. Die Verteidigung der Geschichte durch ihre Experten ist heute in der Politik dringlicher denn je. Man braucht uns."
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