Der Irrsinn und seine Folgen

Corona Pandemie-Zeit ist Angst-Zeit. Aber 5G-Verschwörungstheorien sind nicht nur krude, sondern gefährden Menschen und Wohlstand

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„5G tötet“ steht an einer Bushaltestelle in London. In Großbritannien wurden bis Anfang Mai 77 Funknetzmasten angezündet
„5G tötet“ steht an einer Bushaltestelle in London. In Großbritannien wurden bis Anfang Mai 77 Funknetzmasten angezündet

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Auch wenn die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie allmählich gelockert werden, ist die Krise noch lange nicht ausgestanden. Der neu eingeführte Grenzwert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche soll deshalb dafür sorgen, dass das Gesundheitssystem in den nächsten Wochen unter den neuen Umständen nicht überfordert wird.

An und für sich sind dies vorsichtig optimistisch stimmende Nachrichten. Doch die Neuartigkeit dieser Situation ist nicht nur die Tatsache, dass zur Virusbekämpfung tiefgehende Einschnitte in die Zivilgesellschaft getätigt werden mussten. Von viel größerer Bedeutung ist, dass diese Maßnahmen zur Grundlage irrsinniger Verschwörungstheorien wurden, als Überlegungen bezüglich Recht und Ordnung auf eine unter permanenter Informationsflut stehende Gesellschaft traf.

Hysterie und Angst

Der bisher vermutlich abstruseste Auswuchs dieser Kollision zwischen diffuser Virus-Angst und Zugriff auf Unmengen an Information, ist die angebliche Verbindung zwischen 5G-Technologie und Virus-Ausbreitung. Schwedischen Forschern zur Folge erschien das erste Video, das Coronavirus direkt mit 5G in Verbindung brachte Anfang Januar und behandelte den Einfluss elektromagnetischer Strahlung auf Pandemien.

Gleichzeitig, aber besonders ab Februar, verbreitenden sich eine ganze Reihe von Falschmeldung über das Coronavirus, gesteuert vor allem von Russland. Die überwältigende Flut von Desinformation, Halbwahrheiten und blanken Lügen – so wurde zum Beispiel die Nachricht in die Welt gesetzt, dass Microsoft-Gründer Bill Gates bei der Schöpfung und Verbreitung des Coronavirus eine Rolle gespielt habe – zwang schließlich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu, vor den Gefahren dieser „Infodemie“ zu warnen.

Somit traf die 5G-Theorie auf fruchtbaren Boden, auch wenn ein wichtiger Unterschied zu anderen Verschwörungstheorien, wie die der „9/11-Truther“ oder „Anti-Vaxxer“, besteht. In diesen Verschwörungen sind die im Hintergrund agierenden dunklen Figuren unerreichbar was es unmöglich macht, ihrem Wirken aktiv und effektiv entgegenzutreten. Die 5G-Coronavirus-Theorie weicht von dieser Schablone ab: Die Quelle des Bösen ist für jeden sichtbar und zugänglich in Form von physischer Infrastruktur, bestehend aus Sendemasten und Antennen.

Behörden vs die Unbelehrbaren

Die ersten Sendemasten brannten in Großbritannien, aber der Trend breitete sich mit derselben erschreckenden Geschwindigkeit wie das Virus aus. Angriffe auf die öffentliche Telekommunikationsinfrastruktur werden derweil auch in Deutschland, den Niederlanden, Irland und Zypern gemeldet. Und wieder einmal musste die WHO einschreiten und in klaren Worten darlegen, dass Covid-19 „sich nicht über Funkwellen/Mobilfunknetze“, sondern über Tröpfchen verbreitet.

Andere Institutionen und Behörden kämpfen ebenfalls auf Hochtouren gegen den Irrsinn. Die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) betonte bereits Mitte April, dass 5G gesundheitlich absolut unbedenklich ist. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz hat dies unmissverständlich klar gemacht.

Dass Erklärungen von renommierten Institutionen und Behörden bei bestimmten Menschen auf taube Ohren stoßen, ist nicht nur ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, sondern auch im höchsten Maße erschreckend – und bedroht Leben. So warnte Vodafone-Deutschlandchef Hannes Ametsreiter: „Diese Aktivitäten können Leben gefährden“, denn in Großbritannien wurde schon ein Mobilfunkmast in der Nähe eines Krankenhauses zerstört, wodurch Notrufe nicht mehr möglich waren – unter normalen Umständen eine nicht akzeptable Gefahr. In Zeiten einer Pandemie umso mehr.

An 5G führt kein Weg vorbei

Trotz allem geht es auch um mehr. Die Anhänger der 5G-Corona-Theorie mögen kurzfristig denken und sich kaum um die größeren, systemrelevanten Fragen, die mit 5G-Technologien und deren Ausweitung zusammenhängen, scheren. Aber um es auf den Punkt zu bringen: 5G ist unverzichtbar, will dieses Land weiterhin international wettbewerbsfähig bleiben und seinen Wohlstand bewahren. Deutschland steht in Sachen Innovation und Technik ohnehin schon länger auf immer wackeligeren Füßen und sieht tatenlos dabei zu, wie andere Länder der Bundesrepublik in High-Tech Sektoren den Rang ablaufen.

Dies ist äußerst tragisch, weil der deutsche Reichtum zum Großteil auf Branchen in diesen Sektoren beruht. Für sie würde 5G zum lang erwarteten game changer – natürlich nur solange es umgesetzt wird. Zum Glück hat sich seit der Auktion von 5G-Mobilfunkfrequenzen im Sommer letzten Jahres schon einiges getan. 5G-Anbieter wie Vodafone, Telefonica und Telekom haben den Ausbau ihrer Netze in Deutschland gestartet und bieten ihren Kunden teilweise schon 5G-Serivce an. Verschwörungstheorien könnten weitere Fortschritte in diesem Bereich erheblich stören, besonders wenn die Bereitschaft der Akteure zu Sachbeschädigung weiterhin anhält oder sogar zunimmt.

Darum dürfte es wenig überraschend sein, dass derer Präsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg, ein hartes Vorgehen der Polizei gegen Anschläge auf Sendemasten forderte – und das nicht nur im Kontext der Pandemie. Erst im April hatten Autonome in Berlin einen Brandanschlag auf ein Telekommunikationsnetz verübt. Aufgrund der weiten Fläche, die eine 5G-Infrastruktur benötigt, werden sich solche Gewaltakte wohl kaum verhindern lassen.

Wo ist das differenzierte Denken?

Auch wenn die meisten Menschen verstehen, dass kein Zusammenhang zwischen 5G und Corona-Infektionen besteht, so bleibt die generelle Skepsis gegenüber 5G relativ hoch. Eine Bitkom-Studie fand heraus, dass 22 Prozent der Befragten zwar den Mobilfunkausbau befürwortete, aber keinen Funkmasten in der Nähe haben möchte, mehrheitlich aufgrund gesundheitlicher Bedenken.

So ist der Boden, auf dem Deutschland den nächsten Schritt in Sachen Internet tun will. Verschwörungsängste mal außen vor gelassen, sind auch altbackene Ängste bezüglich Schäden elektromagnetischer Strahlung – oder grundsätzlich allem, was „Strahlung“ in irgendeiner Form beinhaltet – eine Bremse für Deutschlands Innovationsfähigkeit: Auswuchs einer Wohlstandgesellschaft, die meint, sich so ein Verhalten leisten zu können, weil sie nicht mehr versteht woher dieser Wohlstand eigentlich kommt.

Ob man es will oder nicht: Realistisch betrachtet geht an 5G kein Weg vorbei.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden