Wenige Tage nach dem jüngsten Euro-Krisengipfel reiste der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos zu Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington. Sein US-Kollege Timothy Geithner nutzte die Gelegenheit, um von den Griechen noch mehr Anstrengungen bei der Sanierung der Staatsfinanzen zu verlangen. Der Druck auf die griechische Regierung, harte Sparprogramme und Privatisierungen durchzudrücken, hat nicht im Geringsten abgenommen. Im Abschlusskommuniqué des Brüsseler Gipfels wird betont, dass der IWF beim zweiten, bis 2014 geplanten Programm wieder eine zentrale Rolle spielt. Auch für die Zeit danach wird angekündigt, die griechische Politik überwachen zu wollen.
Schon im Mai hatte Olivier Blanchard, seines Zeichens Chef-Volkswirt des IWF, von einer mindestens zehnjährigen Anpassungsphase gesprochen. Mit der geplanten sanften Umschuldung soll nun die Rückzahlung der umgetauschten Griechenland-Anleihen in 15, 20 oder 30 Jahren vom Rettungsfonds EFSF garantiert werden. Mit anderen Worten: Es zeichnet sich klar ab, dass Griechenland über Jahrzehnte hinweg politisch kontrolliert werden wird.
Auf dem Beifahrersitz
Die Frage nach dem Wie und Wer dieser Überwachung hat in der Eurozone von Anfang an für Konfliktstoff gesorgt. Im Frühjahr 2010 hatte Wolfgang Schäuble die Idee eines Europäischen Währungsfonds ins Spiel gebracht. Doch Angela Merkel wischte das Konzept vom Tisch und setzte sich – gegen den Widerstand der meisten Euroländer und der Europäischen Zentralbank (EZB) – damit durch, den IWF einzuschalten. Mit seinen jahrzehntelangen Erfahrungen als Disziplinierungsinstrument für Schuldnerländer schien er besonders qualifiziert, Athen zu harter Austeritätspolitik zu zwingen und deutsche Steuerzahler-Stammtische zu beruhigen. So kam es, dass sich EU-Kommission und EZB auf dem Beifahrersitz eines klassischen IWF-Programms wiederfanden, dessen soziale Härten durch die Hardliner in der deutschen Regierung noch verstärkt wurden. Doch sind die Methoden des IWF wirklich geeignet, europäischen Steuerzahlern beruhigende Aussichten zu bieten? Und welche Perspektiven eröffnet das nun wiederbelebte Projekt eines Europäischen Währungsfonds?
Das unabhängige Evaluierungsbüro des IWF kam bereits im Jahr 2003 zu der Erkenntnis, dass in den meisten IWF-Programmen die fiskalischen Ziele verfehlt werden. Die rezessiven Auswirkungen der Programme machen oft alle Sparanstrengungen zunichte, vorrangig deshalb, weil die Steuereinnahmen unter den Erwartungen bleiben. Das ist genau die Erfahrung, die Griechenland heute widerfährt. Nach all den Kürzungen bei Löhnen, Sozialleistungen, öffentlichen Investitionen und Gesundheitsausgaben – und trotz mehrfach erhöhter Verbrauchssteuern – blieben die Steuereinnahmen im ersten Halbjahr 2011 um 18 Prozent hinter den Planungen zurück. Auf der anderen Seite erhöhten sich die Ausgaben für Arbeitslosigkeit und die nötigen Zuschüsse zu den staatlichen Rentenkassen unerwartet stark.
In der Logik des IWF gilt in solchen Fällen die Regel – noch mehr Druck ausüben. Entsprechend dem üblichen Procedere werden die benötigten Kredite in Tranchen an das Schuldnerland ausgezahlt, verbunden mit einer vierteljährlichen Überprüfung des vereinbarten Programms. Sind die Fortschritte ungenügend, wird die nächste Tranche vorenthalten. Die Drohung mit der Staatspleite gehört zum Programm – sie ist das Mittel der Disziplinierung.
Im Mai nun ließ der IWF verlauten, wegen mangelnder Fortschritte bei der Haushaltssanierung könne die nächste Kreditrate nicht an Athen ausgezahlt werden. Die darauf folgenden Turbulenzen und politischen Interventionen setzten die Regierung Papandreou solange unter Druck, bis sie ein neues, härteres Sparprogramm auflegte und versprach, geplante Privatisierungen zu beschleunigen. Soweit hat das übliche Spiel funktioniert. Doch die Beunruhigung der Märkte hielt an. Sie setzte eine Krisendynamik in Gang, die erst durch die Beschlüsse des jüngsten Euro-Gipfels gestoppt werden konnte. Mit der Pleitedrohung gegen ein Mitgliedsland schadete Europa niemandem sonst als sich selbst.
Der nächste Krach mit dem IWF ist programmiert. Der IWF-typische Mix aus Finanzhilfen, Austeritätspolitik, Drohung und Erpressung wirkt zwar sehr disziplinierend – aber er beschert den Griechen eine Dauerkrise und Europa beständige Destabilisierung. Wegen solcher Erfahrungen sind dem IWF die „Kunden“ aus den Reihen der Entwicklungs- und Schwellenländern im vergangenen Jahrzehnt scharenweise davongelaufen. Selbst Ägypten hat vor kurzem einen IWF-Kredit dankend abgelehnt. Der Währungsfonds, der seinen Apparat überwiegend aus den Zinszahlungen der Schuldnerländer finanziert, stand 2007 selbst kurz vor der Pleite, weil kaum noch ein Land seine Kredite in Anspruch nehmen wollte – die Weltfinanzkrise 2008 war seine Rettung. Griechenland ist für den Fonds nun ein prestigeträchtiger Fall, mit dem er sein internationales Ansehen wieder aufpolieren will.
Allerdings regen sich grundsätzliche Zweifel an der ökonomischen Kompetenz dieses Finanzinstituts inzwischen auch in dessen offizieller Evaluierungskommission. In ihrem diesjährigen Bericht stellt sie der IWF-Politik im Vorfeld der Finanzkrise ein vernichtendes Zeugnis aus. Island beispielsweise wurde vom IWF noch als solide gelobt, als der Bankensektor bereits auf das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts aufgebläht war. Und selbst Investmentbanker mahnten, dass Island wie ein Hedgefonds funktioniere. Dagegen wurde Ländern wie Kanada, Deutschland oder Indien der gefährliche Rat erteilt, ihre Finanzsektoren nach dem Vorbild der USA zu liberalisieren, weil dort höhere Renditen erzielt wurden. Kurz darauf platzte in Amerika die Blase.
Im Antragsdschungel
Auf anderen Kontinenten sind längst regionale Alternativen zum IWF entwickelt. In Asien wird seit 2000 ein asiatischer Währungsfonds aufgebaut. Die Lateinamerikaner gründeten 2007 ihre Bank des Südens. Insofern liegt das Projekt eines Europäischen Währungsfonds voll im Trend, auch wenn bis jetzt unklar bleibt, welche politischen Optionen sich die Europäer damit eröffnen wollen.
Immerhin wird seit dem Brüsseler Gipfel viel über positive Impulse für die griechische Ökonomie geredet. Freilich beschränkt sich das groß angekündigte „Aufbauprogramm“ im Wesentlichen darauf, eine Task Force nach Athen zu schicken, die den dortigen Behörden helfen soll, die ganz normalen EU-Fördermittel zu nutzen. Circa 80 Prozent der Griechenland zustehenden Gelder konnten nämlich bis jetzt nicht abgerufen werden, weil sich die Beamten vor Ort im Antragsdschungel verloren, und die Athener Regierung den nötigen Eigenanteil schuldig blieb. Ist das in all den Jahren eigentlich niemandem in Brüssel aufgefallen? Das Beispiel macht deutlich, wie sehr selbst Euroländer mit ihren Schwierigkeiten allein gelassen werden. Ähnliches gilt für das Problem der massiven Steuerhinterziehung, durch die – nach Schätzungen des obersten griechischen Steuerfahnders Nikolaus Lekkas – dem eigenen Fiskus jährlich 40 bis 45 Milliarden Euro entgehen. Hier sind nicht Sparprogramme und finanzieller Druck gefragt, sondern solidarischer Beistand und gemeinschaftliche Initiativen.
Immerhin besteht die Chance, dass der anhaltende Druck der Schuldenkrise auch in Europa einen Lernprozess auslöst. Bis jetzt ist der IWF ja auch ein Garant dafür, dass die wirtschaftlichen Strukturprobleme der Eurozone als Ganzes nicht thematisiert werden. Seine Philosophie lautet wie eh und je: Der Schuldner ist der Schuldige. Ein Europäischer Währungsfonds ist dann sinnvoll, wenn sich diese Perspektive ändert, wenn die Regierungen einen Abbau der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone angehen und dabei auch die erfolgreichen Exportnationen einbeziehen. Eine solche Neuorientierung könnte er finanzpolitisch stützen. Und dem IWF könnte man dann endlich die Auszeit gönnen, die er braucht, um sich gründlich zu reformieren.
Gabriela Simon ist Ökonomin und Journalistin
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