Nein, keine Schönheitsoperation!

Thailand Die Geschäfte der großen Khun Kung

Klatsch - ein Eimer von vorn. Mir bleibt die Luft weg. Schwapp - noch ein Kübel von hinten. Beinahe wäre ich vorn über gekippt.

Ich bin tropfnass. Unbändige Freude bei den jungen Thailändern, die mit Töpfen, Schüsseln, Schläuchen und quietschbunten Wasserpistolen Jagd auf jeden machen, der ihnen über den Weg läuft. Weil an mir kein Faden mehr trocken ist, verzichten die Nächsten darauf, mich erneut unter Wasser zu setzen. Dafür wird mir das Gesicht mit einer weißen Paste beschmiert, alle lachen zufrieden, und ich werde ins Glück entlassen - gesegnet nach alter Tradition, wie es sich gehört.

Bangkok feiert das Wasserfest oder Sonkran, wohl das fröhlichste buddhistische Fest, das man sich denken kann. Wie in Thailand herrscht auch in Kambodscha, Myanmar und Sri Lanka an einigen Tagen zwischen April und Mai Ausnahmezustand.

Selbst die Animiermädchen von der nächsten Straßenbar sind ausgelassener als sonst, werfen sich gegenseitig Blumengirlanden um den Hals und winken mich lachend an die Theke. Wir kennen uns. Ich komme jeden Tag hier vorbei, noch bevor das Heineken zu fließen beginnt, auf meinem Weg in das winzige Internet-Café an der nächsten Ecke, bleibe immer eine Weile stehen und sehe zu, wie die Mädchen das Geisterhäuschen "füttern": den kleinen Altar, der das Böse auf Abstand halten soll.

Der Altar steht auf dem Tresen und ist geschmückt mit Blumen, Früchten und duftenden Kerzen. Nach und nach treffen die jungen und nicht mehr ganz so jungen Schönheiten in knappen Kleidern und auf astronomisch hohen Hacken ein. Und bevor sie sich zu ihren stelzbeinigen Hockern emporschwingen, stehen sie eine Weile andächtig, mit geschlossenen Augen, die Stirn auf die gefalteten Hände gelegt, vor ihrem Altar. Vielleicht kommt heute das große Glück in Gestalt eines weißen Prinzen, der sie ins europäische Schlaraffenland entführt. Die Schönen lächeln verführerisch, obwohl sie ahnen, dass sich keiner der notgeilen Sex-Touristen in einen Prinzen verwandeln wird und sie vom ersehnten Elysium bestenfalls ganze 50 Dollar zu sehen kriegen.

Wenn zwischendurch die Prinzen mit dem Kopf auf dem Tresen ihren Rausch ausschlafen, machen sich die Mädchen über ihre mitgebrachten Essensbehälter her, tratschen ein bisschen oder vertreiben sich die Zeit bei einem Brettspiel. Dann sind sie ganz in ihrer eigenen Märchenwelt.

Für mich war Bangkok nie die Liebe auf den ersten Blick, dieser Moloch aus Verkehrschaos und Wolkenkratzern unter einer Dunstglocke atemberaubender Abgase ist keine Empfehlung. Aber bald wurde mir die Stadt doch vertraut, das galt besonders für die kleinen Seitenstraße nicht weit vom Vergnügen der Nana Road, in denen mein winziges Hotel ein zurückhaltendes, aber angesehenes Dasein fristete, eingeklemmt zwischen Reisebüros, Massagesalons, Modegeschäften und 24-Stunden-Restaurants. Hier wechselte ich jeden Tag einen freundlichen Gruß mit dem Inder von der Maßschneiderei, kaufte mir morgens die Bangkok Post und meine tägliche Portion Wassermelonen oder frisch gepressten Orangensaft bei einem dieser Händler, die mit ihren Wägelchen durch die Stadt zogen. Hier konnte ich meine Koffer deponieren, wenn ich nach Kambodscha oder Malaysia musste. Und in dieser Gegend war ich auch zum ersten Mal mit Somporn verabredet.

Glutäugiger Saudi mit Blumenkette

Sie kam angefedert wie eine Gazelle. Chinesisches Gesicht, wippender Pferdeschwanz, roter Rucksack auf schmalen Schultern. "Hi, I´m Porn", flötete sie den Beginn einer phantastischen Begegnung zwischen Asien und Europa ein. Somporn war ein Star hinter den Kulissen der thailändischen Medienwelt, der Dutzende ausländischer Produzenten und Regisseure zu verdanken hatten, dass sie ihre Filme so abdrehen konnten, wie sie das wollten.

Abends saßen wir oft im Garten eines Teehauses, und sie erzählte mir vom Segen, aber auch von der Last ihres chinesischen Erbes. Somporns Großmutter war in den zwanziger Jahren nach Thailand gekommen und hatte bis zu ihrem Tode vor einem Jahr in Thonburi, jenem Stadtteil am Rande Bangkoks gelebt, der einmal Thailands Hauptstadt war. "Sie war eine kluge und starke Frau, ich habe sehr viel von ihr gelernt. Bald schon werde ich nach China fahren, damit ich weiß, wo meine Wurzeln sind." Somporn vermisste die Gespräche mit ihrer Großmutter sehr, Kommunikation schien nicht üblich in der chinesisch stämmigen Groß-Familie. "Es wird nicht viel geredet, weder über Gefühle noch über Nöte, denen man manchmal ausgesetzt ist - aber so will es die Tradition."

Abends zogen wir durch das Nachtleben der Nana Road. Ein paar illustre Stylisten bauten ihre Spiegel am Straßenrand auf, hängten die langen Strippen ihrer Haartrockner ans Netz der anliegenden Shops und boten den Schönen der Nacht noch schnell eine Frisur an. Ich folgte Somporn durchs multikulturelle Gewühl bis zu einer kleinen Sok, in der sich Bars und Verkaufsstände aneinander reihten. Wir stiegen gleich auf die ersten Hocker, die wir fanden. Aus dem Rekorder dröhnten die Rhythmen der arabischen Welt, die an der Theke fest verankert schien und Thai-Schönheiten im Arm hielt. Ein Angehöriger des dritten Geschlechts - wahrscheinlich noch nicht allzu lange Frau - entblößte immerzu seine frischen Brüste. Als ein glutäugiger Saudi versuchte, mich an seine Blumenkette zu legen, wechselten wir die Kulturen. Von gegenüber lockten afrikanische Trommeln.

Somporn wohnte ganz in der Nähe des populärsten Parks von Bangkok, und wenn sie nicht gerade fremden Regisseuren Komparsen oder Studios besorgen musste, kam sie regelmäßig zum Joggen hierher. Am liebsten ganz früh. Sie konnte dann chinesische Geschäftsleute beobachten, die selbst bei ihrer Morgengymnastik das Handy am Ohr behielten. Stets umrundeten alle Altersgruppen, Gewichtsklassen und Geschlechter die Parkanlagen. Hin und wieder kamen auch Europäer oder Afrikaner vorbei. Zwischen Tai Chi und Kraftgeräten konnte man auf einer Beauty-Farm relaxen und sich den Muskelkater wegmassieren lassen. Ich war fasziniert von diesem sprichwörtlichen Volkssport und dem Ritual, das sich jeden Morgen abspielte, wenn plötzlich Musik aus einem Lautsprecher drang, alles auf der Stelle verharrte und stramm stand. Auch Somporn legte dann grinsend die Hände an die Hosennaht. "Die Nationalhymne", flüsterte sie. Die ganze Sportgemeinde des Lumpinee-Parks erwies der thailändischen Nation die Ehre, um nach Verklingen der letzten Note übergangslos weiter zu turnen. Auch wurde ich Zeuge einer weiteren sensationellen Vorstellung: Hunderte - Dicke, Dünne, Alte, Junge, Männer, Frauen - stellten sich zu einer wahren Massen-Aerobic auf, um nach den Kommandos ihrer Vortänzer die Körper in Schwung zu bringen.

Ein phantastischer Anblick vor der Kulisse der Megastadt Bangkok. Es schien, als würden die Skytrains über die Köpfe der Tanzenden hinweg rasen. Mir fiel eines Tages ein junger Mann in Schlips und Kragen auf, der seinen Aktenkoffer abstellte und sich ganz dem Rhythmus hingab, bevor er fünf Minuten später in ein Taxi sprang.

Nach diesem Happening gingen wir oft in den Lumpinee-Night-Bazar auf ein kaltes thailändisches Singha-Bier. Und eines Tages sollte mich Somporn dort fragen, ob ich mit meinem Busen zufrieden sei.

Alles erinnerte an ein Bordell

"Nein, keine Schönheitsoperation", beteuerte sie, "alles durch die Kraft der Natur." Khemika Na Songkhla, auch Khun Kung genannt, wisse, was zu tun sei. Und sie, Somporn, kenne den Ort, an dem man Khun Kung treffen könne, diese begnadete Künstlerin, die ein Geheimtipp sei in der Welt der Schönen und Unvollkommenen.

Diese Kunst hielt sich hinter unauffälliger Normalität in einem kleinen Reihenhäuschen an der Peripherie von Bangkok verborgen. Eine Bank unterm Fenster und zwischen ein paar Blumenrabatten: das "Geisterhäuschen", frisch beopfert mit Blumen und Duftkerzen, damit das Böse nicht zu nahe kam. Drinnen Plüschige Sessel, rot schwülstige Lampenschirme und ein Herr am Computer neben der Tür, behängt und beringt mit schwerem Gold und bewehrt mit mehreren Handys - alles erinnerte mehr an ein Bordell. "Das ist ihr Mann", bedeutete mir Somporn leise, "er managt den Laden."

Man servierte uns Tee und eine DVD mit der vollbusigen Gattin auf dem Cover. An den Wänden sahen wir Fotos, Poster und Zeitungsartikel, die ihre Kunst priesen. "Sogar das Gesundheitsministerium hat Werbung für sie gemacht - als Alternative zur Schönheitsoperation", erklärte mir Somporn. Als die Dame dann auftrat, schien sie die eigene Werbung verleugnen zu wollen. Der Busen verschwand in den Falten einer rosa Bluse mit breiter Goldkante, und ihr Gesicht sah aus, als seien alle Schönheitschirurgen dieser Welt zugange gewesen. Ich dachte gerade, dass ihr beim nächsten Lächeln die Haut reißen müsste, da hatte sie schon meine rechte Hand gebieterisch auf ihren Busen gelegt. "Du sollst fühlen, ganz fest, kein Gramm zu viel" - übersetzte Somporn und fuhr fort - "sie sagt, alle Frauen wünschten sich Brüste wie die Models und Stars in den westlichen Magazinen. Sie könnten sich operieren lassen, aber viele wollten das nicht, also kämen sie zu ihr. Sie habe eine spezielle Massage entwickelt, um jeder Frau zu einem optimalen Busen verhelfen zu können. Frauen müssten Brüste haben - so wie ein Boot Paddel hat."

Die Schöne zwinkerte unter ihren abgeschliffenen Augenbrauen. Sie schleppte Stöße von Fotoalben heran, mit deren Hilfe wir uns vom Vorher-Nachher überzeugen konnten. Sie habe das von ihrer Großmutter gelernt, erzählte Khun Kung noch. Seit fast 20 Jahren sei sie im Geschäft und die Einzige in Thailand und wahrscheinlich auf der Welt, die eine solche Methode beherrsche. Manche Ausländerin sei schon bei ihr gewesen und der Kalender immer voll.

Natürlich hat die Prozedur ihren Preis, und natürlich ist es nicht mit einer Massage getan. Will man den Super-Busen nach Hause tragen, muss man schon einige Male an sich herum fingern lassen. Die "Natur-Brust" ist am Ende um ein Vielfaches teurer als eine Schönheitsoperation. Dafür haltbarer. Und damit die ideale Brust auch ideal bleibt, gibt es als begleitende Therapie ein Video mit einer speziellen Gymnastik, choreographiert von der großen Khun Kung. Sie steckte uns noch ein paar Bänder zu, für alle Fälle.


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