Der Potsdamer Platz hat etwa mit dem Geschlechterverhältnis zu tun? Ein bisschen weit hergeholt, könnte man meinen. Ist es aber nicht. Vielmehr ist es ein praktisches Beispiel für die theoretischen Ansätze von Robert W. Connell. Die Gender-Perspektive des australischen Geschlechterforschers berücksichtigt Macht- und Herrschaftsverhältnisse in zwei Dimensionen: die systematische Unterordnung der Frau durch den Mann und die Dominanzverhältnisse unter Männern. Geschlecht wird als »Strukturierung kollektiver gesellschaftlicher Prozesse«, Weiblichkeit und Männlichkeit werden als Geschlechterprojekte in einem »dynamischen Prozeß konfigurierender Praxis« begriffen. Institutionen wie Staat, Arbeitsplatz und Schule gelten als solche Praxen, die nicht nur metaphorisch, sondern in ihrer Substanz vergeschlechtlicht sind.
Den Kern von Connells Theorie bildet die »hegemoniale Maskulinität«. Diese erfasst nicht nur die Relation der Geschlechter zueinander, sondern auch die Beziehung von Männern untereinander. Sie muss nicht unbedingt das am weitesten verbreitete Muster von Maskulinität sein, sondern ist kulturelles Ideal und Orientierungsmuster. Die hegemoniale Maskulinität definiert sich durch die Abwertung und Ausgrenzung gegenüber Frauen, gegenüber anderen Formen von Maskulinität sowie in Abhängigkeits- und Unterordnungsrelationen. Während Homosexualität die am stärksten ausgegrenzte Form von Maskulinität ist, wird auch die Maskulinität ethnischer Minderheiten marginalisiert. Ebenso finden Zugangsbeschränkungen aufgrund des sozialen Status statt zum Beispiel bei Herrenclubs wie Rotary oder Lions.
Welche Formen hegemonialer Maskulinität begegnen einem nun am Potsdamer Platz?
In den vergangenen Jahren präsentierte sich dort eine der größten Baustellen Europas. Heute erstrahlt die ehemalige Brachfläche in neuem Glanze. Der Ort selbst ist nicht irgendein Platz; er gilt als Mythos, als pulsierendes Zentrum einer Weltstadt. So sollte nach dem Willen der Investoren ein neues weltstädtisches, nationales und internationales Zentrum, ein pulsierendes Herz im neuen, urbanen Mittelpunkt der deutschen Hauptstadt gebaut werden.
Ein solchermaßen symbolisch überfrachteter Ort verlangte nach einer Bebauung, die seiner Bedeutung gerecht wird. Es galt, das durch die Entwicklung der letzten 60 Jahre verloren gegangene Selbstverständnis (nicht nur) einer ganzen Stadt wiederherzustellen. Berlin ist nicht mehr »Frontstadt« beziehungsweise Hauptstadt der DDR, sondern Metropole und Hauptstadt des vereinigten Deutschlands. Kurz gesagt, ging es um die Repräsentation und Demonstration wirtschaftlicher Macht, politischer Stärke, internationaler Wettbewerbsfähigkeit auch im Ranking der »global cities« etc. Um dies baulich-räumlich zu manifestieren, bedurfte es zunächst international tätiger Konzerne als Bauherren, einer Riege Stararchitekten und einer »willigen« Landespolitik und -verwaltung.
Herausgekommen ist nach Angaben der DaimlerChrysler AG ein lebendiges Stadtviertel mit einer attraktiven und vielfältigen Misch-Nutzung aus Einkaufen, Arbeiten, Wohnen und kulturellen Angeboten. Konkret besteht die Daimler-City aus zehn Straßen, neun Häuserblöcken, 620 Wohnungen, vielen Büros, 30 Restaurants und Cafés, einem Musical- und Varieté-Theater, einem Spielcasino, einem IMAX Theater, einem Kinocenter, einem Grand Hotel, den Potsdamer Platz Arkaden mit über 100 Läden und natürlich dem Hauptsitz der Daimler-Tochter debis. Die sich noch im Bau befindliche, nördlich der Potsdamer Straße anschließende Sony-City wird nicht viel anders aussehen.
Zunächst ist festzustellen, dass sich fast ausschließlich Dienstleistungsunternehmen am Potsdamer Platz niedergelassen haben, worunter nicht nur Büros und Banken zu verstehen sind, sondern auch Gastronomie und Kulturbetriebe. Hingegen ist kein herstellendes Gewerbe angesiedelt, es gibt keine Tischlereien, Schlossereien, Schuster, Schneidereien oder Maurerwerkstätten etc. - also nichts, was mit handwerklicher Arbeit, mit Lärm oder Dreck zu tun hat. Weiße Hemden, Krawatten, saubere Fingernägel, Kostüme, Pumps und die Uniformen des Wachpersonals entsprechen dem metropolitanen Ideal.
In dem neuen Stadtviertel kann sich vermutlich keine Alltagsatmosphäre entwickeln, wie sie für andere (nicht nur) Berliner Stadtviertel typisch ist. Verantwortlich dafür dürfte auch der geringe Wohnanteil von 20 Prozent sein sowie der Zuschnitt der Wohnungen. So sind von den 620 neuen Wohnungen allein 200 Zweizimmer-Appartments mit einer Grundfläche von etwa 50 Quadratmetern. Auch die hohen Mieten beziehungsweise Kaufpreise lassen vermuten, dass hier kein multisoziales und -kulturelles Viertel entsteht. Die BewohnerInnen sind überwiegend Geschäftsleute, die hier eine Zweitwohnung besitzen und beim »jetten« durch die Welt einen Zwischenstop einlegen, eine Mischung aus kinderlosen DoppelverdienerInnen, gutverdienenden Singles, höchstens ein paar Familien mit hohem Einkommen und natürlich »Gäste«, denen die Konzerne zeitweilig eine möblierte Wohnung zur Verfügung stellen. Aber erst der Alltag der BewohnerInnen macht ein Stadtviertel lebendig - ansonsten bleibt es künstlich, ein Ausflugsziel, ein Ver gnügungspark.
Der Aspekt des Wohnens leitet direkt über zu dem Verhältnis von Reproduktions- und Produktionsarbeit. Die reproduktiven Tätigkeiten, die üblicherweise im privaten Bereich der Wohnung und Familie stattfinden, sind hier ansatzweise »entprivatisiert« und in die Öffentlichkeit verlegt. So ermöglicht die große Anzahl an Restaurants und Fast-Food-Läden den am Platz arbeitenden Menschen einen Teil ihrer Reproduktion vor Ort zu erledigen, Essen zu gehen, wodurch sie ihre privaten Haushalte »entlasten«. Dies trifft selbstverständlich nur auf jene zu, die selbst keine Angehörigen (PartnerIn, Kind(er), ältere Menschen etc.) zu versorgen haben oder für die andere Personen die reproduktiven Aufgaben im privaten Bereich übernehmen (meistens wohl Frauen, die den Haushalt besorgen und Kinder, ältere Menschen (ver)pflegen).
Entsprechend ist die hegemoniale Maskulinität gekennzeichnet durch Dienstleitungen auf Managementniveau, Reproduktionsfreiheit, Wettbewerbsfähigkeit und Internationalität, verbunden mit den Attributen wohlhabend, unabhängig, erfolgreich, kreativ und zukunftsweisend. Dies trifft sowohl auf Männer wie auf Frauen zu. Somit bestätigt sich sowohl in der Planung als auch in der Nutzung des Potsdamer Platzes Connells These, dass derzeit dem technokratischen Milieu des Managements eine gesellschaftliche Leitbildfunktion zukommt.
Da die hegemoniale Maskulinität nur durch Ab- und Ausgrenzung bestehen kann, ergibt sich erst durch das Aufzeigen der »untergeordneten« Arten von Männlichkeit ein vollständiges Bild. Wirtschaftliche Macht ist dabei ein entscheidender Faktor: zum Beispiel dürften die Wohnungen am Platze für Einkommensschwache, Arbeitslose oder SozialhilfeempfängerInnen, aber auch AsybewerberInnen oder Flüchtlinge kaum bezahlbar sein, ebenso wie die Eintrittsgelder der Kultureinrichtungen oder die Preise in den Cafés oder Restaurants. Das Portemonnaie entscheidet, ob man(n) dazugehört oder nicht. Die Trennlinie verläuft auch entlang der Erwerbstätigkeit, denn Handwerker und Arbeiter werden als untergeordnete Maskulinität ausgegrenzt. Dies bezieht sich in erster Linie auf Männer. Die Hierarchien der Dienstleistungen in Planungs- und Organisationstätigkeiten einerseits und ausführenden Arbeiten wie putzen, dienen, versorgen andererseits betreffen Männer wie Frauen. Die Ausgrenzung von Frauen geschieht vornehmlich durch die Punkte Unabhängigkeit und Versorgungsfreiheit.
Die untergeordnete Maskulinität scheint also wie folgt konstruiert zu sein: einkommensschwach oder »nur« unterer Mittelstand, körperlich arbeitend, unselbständig beschäftigt, ausführend, versorgungspflichtig, unflexibel, durchschnittlich etc.
In der Wechselwirkung von baulich-räumlicher Gestaltung und den herrschenden Gesellschafts- und Geschlechterverhältnissen zeigt der Potsdamer Platz sein wahres Geschlecht.
Gabriele Schambach ist Diplom-Politologin. Sie promoviert an der FU Berlin zum »Geschlecht der Stadtplanung«.
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