Eine Polemik
„Über Tote nichts als Gutes“ hört und liest man mitunter, wenn Personen dahinscheiden, die sehr umstritten waren, als sie noch lebten. Der Spruch geht bekanntlich mindestens auf die alten Römer zurück („De mortuis nil nisi bene“ – oder so ähnlich).
Doch was, wenn über den Verstorbenen ehrlicherweise nichts Gutes zu vermelden ist? Was, wenn der Verstorbene ein Arschloch war? Vielleicht nicht gerade ein gemein gefährlicher Verbrecher, aber doch ein intelligentes und durchaus talentiertes Arschloch. Eines, das seine Talente zynisch, geschickt und mit Erfolg zum eigenen Wohl einsetzte, dabei skrupel- und morallos die Menschen manipulierte. Sie missbrauchte, verdummte oder gegeneinander aufhetzte. Wenn er seine Fahne so wendete, wie der Wind wehte und dabei ohne Wimperzucken Montag das Gegenteil dessen von sich gab, was er am Sonntag noch für richtig hielt. Einer, der in seiner zynischen Intelligenz kritische Einwände, Ermahnungen oder differenzierende Empathien allenfalls für moralinsaures Geschwätz hielt.
Und dann stirbt das Arschloch – für die Anhänger zu früh und für die Gegner viel zu früh, weil sie ihn gerne noch länger hätten leiden sehen wollen.
Muss ichmich jetzt dem Chor der Unwahrhaftigen anschließen, der lügt wie das Arschloch zu Lebzeiten und verschleiert und trickst, damit „über den Toten nichts als Gutes“ gesagt wird und werden kann?
Nein, ich habe keine Lust. Das Arschloch ist tot? – Gott sei Dank! Schade, dass er nicht früher ging! Um wie viel friedlicher könnte die Welt sein, wäre er früher schon gestorben! Trinken wir auf seinen Tod und hoffen, dass er wenigstens den Bruchteil des Kummers erfährt, den er anderen zufügte!
Über Tote nichts als Wahrhaftiges!
Kommentare 17
Liebe Zachor,
ja, mit denen Toten ist es oft ein Kreuz. Vor einigen Tagen war Allerheiligen, wo man auf dem christlichen Friedhof ganz katholisch hört: Nach dem Glauben unserer Kirche ist unser Gott kein Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn es gibt nur Lebende, im Diesseits und im Jenseits.
Abgesehen davon, daß ich solche Ammenmärchen kurzerhand für blödsinnig halte, habe ich mich schon immer mehr für die Lebenden interessiert, weshalb ich auch mit Grauen und Schauder nicht an die Toten denke, sondern an die Feste, die man ihnen zu Ehren zu veranstalten pflegt — und ich rede nun nicht nur davon, daß das Requiem bei den Katholiken erstaunlicherweise die feierlichste aller Messen ist und nicht etwa eine Taufe oder eine Hochzeit, sondern davon, daß sogar diejenigen, die sich allen Ernstes Kommunisten nennen, am allerliebsten den Gebeinen hinterhertrauern, das nächste Mal im Januar.
Ein Arschloch ein Arschloch zu nennen, auch wenn's tot ist, kann nur da verstören, wo Werturteile als solche schon unter Verdacht stehen: Wir leben nämlich nicht nur im Land der Eigentlichkeit, sondern auch im Land, wo die berühmte »Wertfreiheit« erfunden wurde. Und in einem, in dem die Kommunisten lieber die Toten »mahnen« lassen als offen auszusprechen, daß eine Gesellschaft, in der das Sterben noch mit einem Zweck affiziert werden kann, schlicht und ergreifend: die falsche ist und eine vernünftige Einrichtung der Gesellschaft erforderlich mache, daß kein Mensch mehr für etwas stürbe.
Viele Grüße und einen schönen Sonntag
J. A.-P.
Achja, noch etwas: Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, Zachor, dann bessern Sie beim Latein etwas nach. Es heißt nämlich »ni(hi)l nisi bene«.
So, wie es im Augenblick da steht, bedeutet es nämlich das glatte Gegenteil.
Über Tote nichts als Wahrhaftiges!
Und über Lebende? Nichts wäre schlimmer für das einigermaßen gedeihliche Zusammenleben, sagten wir nur Wahrhaftiges. Zumal diesem Wahrhaftigen das Subjektive angeheftet bleibt. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu äußern, zeugt nicht von hoher sozialer Intelligenz.
@ achtermann:
Stimmt ja auch alles - in Bezug auf die Lebenden. Doch ist dies erst recht ein Grund mehr, über sie ehrlich und authentisch zu reden, wenn sie verstorben sind. Denn wann soll man es denn sonst tun, wenn man es zu Lebzeiten ob der eigenen "sozialen Intelligenz" nicht tut und danach aus "Pietätsgründen"?
Wer tot ist, der ist nicht mehr in der Lage, Ihre Ansicht über die Person zu erfahren. Wenn Sie der Ansicht sind, es war tatsächlich ein Miststück, dann können Sie das gern anderen Leuten mitteilen - ob die das noch interessiert? Manche eventuell; andere belästigen Sie höchstens damit.
Sie können ja gern denken, was sie wollen. Und reden Sie mit denen, die es wirklich wissen wollen. Aber das könnten Sie ja vorher erforschen.
darf man lebenden die pest an den hals wünschen?
meiinetwegen .. :-)
Mir gings im Text um die Scheinheiligkeit im Umgang mit den Verstorbenen. Um diesen betroffenen Ton, um die Beschwichtigungen und das Nichtaussprechen dessen, dass der Verstorbene eben ein Miststück war. Stattdessen wird auf die Tränendrüse gedrückt. Das hat mich gestern genervt - und ich musste dieses Gefühl loswerden.
Seitdem wir uns nicht mehr davor fürchten, dass die Toten sich aus dem Jenseits an uns rächen, können wir auch die Toten mit der Wahrheit 'konfrontieren'. (Ist die Grababdeckung nicht auch eine Vorsorgemaßnahme dafür, dass der/die Verstorbene nicht aus dem Grab "aufersteht"?)
Seitdem der Glaube an das Gericht dieser höheren Instanz kräftig ins Wanken geraten ist, können wir das Gericht vorziehen und selbst urteilen.
Ich denke, dass dieser Brauch, über Tote nichts Schlechtes zu sagen, in einem Kontext, in dem Menschen sehr eng zusammenlebten (Dorfgemeinschaft, Verwandtschaft) die Funktion erfüllte, Konflikte zu drosseln/vermeiden.
Hallo Zachor!
- erlaube mir, zu meinem blog über einen teilweise als Übermenschen erscheinenden Künstler zu verlinken, der nun - logisch - auch eine Art
"Über-Toter" ist:
www.freitag.de/community/blogs/lee-berthine/kunstbrot---gedenken-3000
...und bin gespannt, ob dieser "Über-Tote" auch posthum noch die Geister (der freitagCommunity) splattert und/oder polarisiert ?!
@ Zachor!
Es hängt von der Situation ab. Eine Trauerrede zu halten und all die Schlechtigkeiten, die der Tote begangen hat, beim Namen zu nennen, würde in der Trauergemeinde, auch wenn sie keine echte wäre, größere Irritationen hervorrufen. Auch wenn die Anwesenden eher löbliche Worte hören und wissen, dass geschönt wird, erfüllt man deren Erwartungshaltung bzw. die Anforderungen, die an eine Trauerveranstaltung in unserer Kultur gestellt werden. Bin ich am Stammtisch oder treffe auf der Straße jemanden zum Plausch, ist das Herausrücken mit den Schlechtigkeiten des Verstorbenen leichter und akzeptiert.
Ähnlich ist das bei den Lebenden. Einem Berufskollegen, der sich neu orientiert oder in den Ruhestand tritt, wird man bei der Verabschiedungsfeier nichts Schlechtes an den Kopf werfen, auch wenn er es verdient hätte - und die Anwesenden erwarten desgleichen. So ist es üblich, so hat's sich kultiviert.
Wenn auf mich und meine künstlerische Leistung es einer wagt an meinem Grab derart zu schönen werde ich Ihn bis ins Jenseits jagen und verfolgen!:-)))))))))))
..es gibt nichts schlimmeres wie protestantische Beerdigungen und Ihre zu Legenden umgeformten Lebensläufe:-) schüttel..:-)
Zum besseren Verständnis:
es ging mir nicht um den Berufskollegen, den Nachbarn nebenan oder den Spielkameraden aus Kinderzeiten. Sondern um Leute etwa von der Art Haiders oder Mielkes etc.
Ja, das ist eine schöne anthropologische Erklärung, Leif, nur leben wir nun einmal nicht mehr in der afrikanischen Dorfgemeinschaft... :-))
Ja, das hatte ich auch so verstanden. Bezogen auf öffentliche Personen muß man leider manchmal diese Märchen über sich ergehen lassen. Ich schalte dann immer ab. Wenn ich richtig drei Zentner wiege, dann kommentiere ich auch mal sachlich dagegen an. Politische Korrektheit ist ja häufig nur ein albernes Ritual. I can do without it.
Gegenüber den Trauernden direkt sage ich allerdings eben nichts. Man muß sie nicht absichtlich verletzen.
...auch bei den Toten gibt es "so´ne und solche", nicht wahr?!
Verstehs zwar, aber finds trotzdem merkwürdig ; )
@banabab
ich kann mich da ja nicht so wirklich reinversetzen, könnte mir aber vorstellen, dass es nicht erst aus dem Jenseits betrachtet unerträglich ist, "ver-legendisiert" zu werden, sondern auch als lebende Legende rumlaufen zu müssen, schon eine Pest sein könnte... - gänsehaut...; )