Chemiezimmer zu verkaufen

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Als ich neulich in der Lokalausgabe der "Sächsischen Zeitung" las, dass sich die Gemeinde Oderwitz um den Zuschlag eines gebrauchten Chemiekabinetts - aus der geschlossenen Neugersdorfer Mittelschule - bewirbt, bin ich in Gedanken etwas über zwei Jahre zurückgegangen. Damals, als ich die Oderwitzer Mittelschule verließ, wurde unter den Lehrern darüber diskutiert, wie wohl der Unterricht während der kompletten Renovierung der Schule aussehen wird - ob zum Beispiel in Containern auf dem Schulhof unterrichtet werden muss. Als ich meiner ehemaligen Schule ein Jahr später, zum Tag der offenen Tür, einen Besuch abstattete, hatte sich - mit Ausnahme einiger Wanddekorationen - nichts verändert. Auf Nachfragen wurde mir gesagt, dass das Land Sachsen die nötigen Fördergelder noch nicht bewilligt hätte - aber lange könne es nicht mehr dauern.

Im Januar diesen Jahres besuchte ich erneut den Tag der offenen Tür - und siehe da, alles noch beim alten. Ich spazierte durch die verschiedenen Zimmer, aß Kuchen und kam mit meinen ehemaligen Lehrern ins Gespräch - wenn ich auf den Umbau der Schule zu sprechen kam, konnte ich in ihren Gesichtern ein leicht ironisches Lächeln, teilweise sogar ein wenig Verzweiflung erkennen. Erneut wurde mir gesagt, dass noch kein Geld bewilligt sei - und, was mich in Erstaunen versetzte, dass die Sicherheit des Schulstandortes Oderwitz für die nächsten Jahre erst überprüft werden müsse. Nicht das 10 Kilometer Anreiseweg für einen Schüler der 5. Klasse schon viel wären. Zum Schluss war ich dennoch überrascht, als erstes fand ich ein Zimmer in dem Zeichnungen, Modelle und Pläne des Schulumbaues zu bestaunen waren - sogar die Architekten standen für Fragen zur Verfügung, und als ich die Toilette aufsuchte, fand ich sie frisch gestrichen und erneuert vor - die Arbeiten waren von Bauhofmitarbeitern der Gemeinde und Schülern durchgeführt worden...

Im Februar schließlich, erklärte ein Landtagsabgeordneter der CDU die miserable Lage des sächsischen Landeshaushalts dem Oderwitzer Gemeinderat - es wirkte wie eine verzweifelte Erklärung.

Jetzt, im April 2010, heißt es in den "Oderwitzer Nachrichten": "Die Stadtverwaltung Neugersdorf bietet wegen Schließung ihrer Schule ein komplettes, fast neuwertiges Chemiekabinett zum Verkauf an. Der Preis entspricht 10% des Neuwertes und beträgt 3.626,60 €. Im Zuge der Sanierung der Mittelschule Oderwitz muss perspektivisch auf jeden Fall ein neues Chemiekabinett angeschafft werden, allerdings wird der Preis dann etwa das 10-fache betragen und muss zu 100% finanziert werden, da Ausstattung nicht förderfähig ist. Angesichts dieser Tatsache befürwortete der Gemeinderat mit Beschluss-Nr.: 12/10 einstimmig das Bemühen um den Erwerb des angebotenen Kabinetts und legte fest, dass die Finanzierung im Falles des Zuschlags aus der Rücklage erfolgt."

Wie viel sagt ein so kurzer Text doch über die finanzielle Lage vieler deutscher Gemeinden und den Stellenwert der Bildung aus. Ich freue mich jedenfalls auf den nächsten Tag der offenen Tür an der Oderwitzer Mittelschule.

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Geschrieben von

Garbo

»Die Zeit der Kunst ist eine andere Zeit als die der Politik. Das berührt sich nur manchmal, und wenn man Glück hat, entstehen Funken«

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