Ende August hatte Vaclav Havel ein Treffen mit 50 Schülern auf der Prager Burg genutzt, um für die Jahrestagung von IWF und Weltbank Ende September in Prag zu werben: »Das ist eine ungeheure Chance als Gastgeber dabei zu sein und mitreden zu können. Andererseits gibt es vielfach die Neigung zu sagen, hoffentlich geht das Ganze bald zu Ende - sehr schade«, meinte der Staatschef enttäuscht über die Skepsis seiner Landsleute. Möglicherweise kann der »Bürgerpräsident« diese Skepsis nach den Prager IWF-Scharmützeln inzwischen besser nachvollziehen. Tschechien hat sich als Gastgeber vor allem dank der Fähigkeit seiner Polizei empfehlen können, den Kongress und die Cocktailempfänge der Banker so perfekt abzuriegeln, dass sich die Teilnehmer in einer Festung gut untergebracht fühlen durften. Eine Jahrestagung unter Quarantäne, deren Redeschwall vorzeitig versiegte, weil den Delegierten der Sinn nach Heimreise stand. Dabei hätte die Tschechische Republik im Lichte ihrer EU-Aspirantur natürlich gern anderweitig Ehre eingelegt und sich als aufstrebender Transformationsstaat präsentiert. Schließlich fand man sich durch den IWF zuletzt recht wohlwollend evaluiert. Anfang September noch hatte das Gremium der Prager Regierung ein gefälliges Wachstum prophezeit: eine Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts noch in diesem Jahr um 2,5 Prozent - 2001 gar um ein Prozent mehr. Ein Grund dafür sei - so der IWF-Check - das günstige außenwirtschaftliche Umfeld, womit die vermeintlich krisenresistente Konjunktur in den EU-Staaten gemeint war. Der IWF weiß es zu schätzen, dass unter der sozialdemokratischen Regierung von Milos Zeman weitere Staatsbetriebe privatisiert wurden, auch wenn diese Transformation in Washington noch immer als zu phlegmatisch gilt. Allerdings rechnen die IWF-Analysten bei fortgesetzter Deregulierung mit einem sozialen Aufpreis, sprich: einem Anstieg der Arbeitslosenquote von derzeit 9,0 auf 10,5 Prozent Ende 2000 sowie ähnlichen Ausschlägen im nächsten Jahr. Dies war übrigens der einzige Punkt, bei dem das Prager Finanzministerium dem IWF widersprach: Es werde im Dezember höchstens 9,7 Prozent Beschäftigungslose geben! IWF-Empfehlungen für die Haushaltspolitik 2001 ist die von der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) des Ex-Premier Klaus gestützte sozialdemokratische Minderheitsregierung schon nachgekommen: Der Trend geht in Richtung einer restriktiven Fiskalpolitik bei einem erkennbaren Ausgabenschwund im Sozialsektor wie bei den Renten - das diesjährige Haushaltsdefizit von über 35 Milliarden Kronen (eine Milliarde Euro) soll so auf 20 Milliarden herunter geschraubt werden - die Verbeugung vor einer starken Krone, um die eigenen Exportunternehmen unter Druck zu setzen. Die sollten dazu gedrängt werden, »ihre Restrukturierung fortzusetzen und die Produktivität zu erhöhen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen«, spekuliert die Prager Zeitung. Rolf Dieter Beck, Generaldirektor der BNP-Dresdner Bank Tschechien, sieht denn auch keinerlei Handicap für eine engere Tuchfühlung mit der EU: »Tschechien ist prädestiniert, diesen Markt kostengünstig und - von den Industrienormen her - vergleichbar zu bedienen, beste Bedingungen für eine Erfolgsstory ...« Etwa 80 Prozent der Exporte gehen bereits in die Eurozone, die wiederum für 70 Prozent der Einfuhren sorgt. Noch einmal Beck: »Jetzt müssen die Währungsparitäten richtig definiert, jetzt muss den Weltmarktpreisen Raum gegeben werden. Der Kommunismus ist wirtschaftlich deshalb gescheitert, weil er weder Weltmarktpreise akzeptiert, noch reale Wechselkurse zugelassen hat.« Dank des von der Regierung forcierten zweiten Privatisierungsbooms konnten sich viele Betriebe auch durch den Wechsel des Patrons auf den EU-Beitritt einstimmen. Vor Monatsfrist hat Volkswagen vom tschechischen Staat dessen restlichen 30-Prozent-Aktienbesitz an den SÂkoda-Autowerken in Mladá Boleslav erworben: Für 12,3 Milliarden Kronen (320 Millionen Euro). Das Finanzministerium hatte voreilig 19 bis 20 Milliarden Kronen für einen reellen Preis gehalten, musste sich aber eines Besseren belehren lassen. Der VW-Konzern ist zum größten externen Investor avanciert, seit er 1991 die Aktienmajorität bei SÂkoda erwarb und heute als alleiniger Eigentümer des Unternehmens immerhin zehn Prozent des tschechischen Außenhandels kontrolliert. Zur »Privatisierung des Jahres« kürte die Prager Zeitung jüngst die Absicht des Staates, 51 Prozent von Ceské radiokomunikaze zu verkaufen. Die zweitgrößte Telekommunikationsfirma Tschechiens verbuchte 1999 einen Reingewinn von 15,5 Millionen Euro - neben Telecom Italia und TeleDanmark bietet derzeit auch die Deutsche Telekom kräftig mit, nachdem sie sich erst im Juni des City-Netzbetreibers PragoNet versichert hatte - für 23 Millionen Euro wurden dadurch rund 30 Prozent des tschechischen Telekommunikationsmarktes gebunden. Außer an PragoNet ist die Telekom auch noch zu 41 Prozent am Mobilfunknetzbetreiber Radiomobil beteiligt. Ebenso war der RWE-Konzern aus Essen, der im Februar die Beteiligung an einer Strom- und Gasholding für den Raum Prag bekannt gab - ein Geschäft, das allerdings noch von der tschechischen Behörden genehmigt werden muss. Neben derartigen Kerngeschäften sorgen sich Deutsche auch um Meinungsbildung und Kultur: 90 Prozent der Zeitungen im Westen Tschechiens gehören inzwischen deutschen Medienkonzernen, darunter firmiert die Passauer Neue Presse mit dem besten Ranking. Fazit: Schon vor dem avisierten EU-Beitritt stehen große Teile der tschechischen Ökonomie unter deutschem Einfluss. Insgesamt gab es Ende 1999 etwa 10.000 deutsche und 6.000 tschechisch-deutsche Firmen. Dabei sind allerdings Branchen wie der Bergbau oder die Eisen- und Stahlverhüttung im Norden Tschechiens komplett abgeschrieben, so dass in dieser Region die Erwerbslosenquote teilweise jenseits der 20-Prozent-Marke liegt. Tschechiens Weltmarktanpassung hat trotz einer Erholungsphase Mitte der Neunziger zu Einbrüchen geführt, die in der Wirtschaftsgeschichte des Landes ohne Beispiel sind: der Industrieausstoß lag 1998 um 22, die Agrarproduktion um 30 Prozent, der Wohnungsbau um zwei Drittel unter den Werten von 1989. Am Rande des IWF/Weltbank-Treffen hatten sich weitere Firmen zum Verkauf angeboten, und Czech Invest und Czech Trade warben mit Präsentationen um neue Investoren. Innenminister Stanislav Gross hatte den Gästen Prags kurz vor dem IWF-Spektakel den prophetischen Rat spendiert: Wer keine Firma kaufen wolle, solle als Tourist lieber Zuhause bleiben - »in diesen Tagen werden umfassende Sicherheitsmaßnahmen getroffen, die das Leben in der Stadt stark beeinflussen. Wenn Sie ein ruhiges Prag erleben wollen, sollten sie Ihren Besuch auf einen anderen Termin legen.«
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