Bis Juni hatten die Kommandos von ETA (Euskadi Ta Azkatasuna/*) nach dem Ende ihres Waffenstillstandes, das am 27. November 1999 verkündet wurde, monatlich einen Anschlag verübt. Seit Anfang Juli nun gibt es mindestens zwei Aktionen pro Woche und die nicht nur im Baskenland. Am 12. Juli explodiert im Stadtzentrum von Madrid eine Autobombe vor einem Kaufhaus der Kette El Corte Inglés. Obwohl nach einer ETA-Warnung das Gelände geräumt ist, fordert der Anschlag neun Verletzte. Eine Woche später, am 18. Juli, detoniert nahe der nordspanischen Stadt Soria ein Sprengsatz vor einer Kaserne der paramilitärischen Guardia Civil. Noch am gleichen Tag meldet sich Premier José María Aznar von seinem Staatsbesuch in Algier mit einer unmissverständlichen Botschaft zu Wort: »Sie werden uns nicht in die Knie zwingen ...« Keine Kompromisse, die harte Linie ohne Wenn und Aber.
Bis zum Bruch der Waffenruhe vor knapp einem Jahr war der Regierungschef von den oppositionellen Sozialisten des PSOE und etlichen Regionalparteien immer wieder dafür kritisiert worden, mit ETA nur for show zu verhandeln und keine wirkliche Versöhnung anzustreben. Aznar parierte, eine Abkehr vom Terrorismus belohne man nicht mit politischen Zugeständnissen.
»Revolutionssteuern« eintreiben
Bevor die Anschläge im Baskenland in ein wahres Trommelfeuer übergehen, zielt die Eskalation zunächst nicht nur auf Konfrontation und Polarisierung. Der Explosion eines mit Dynamit vollgepackten Daimlers am 25. Juni in Getxo (bei Bilbao) gehen zwei Vorwarnungen voraus. Dabei erklärt ein Anrufer, die Aktion richte sich »gegen die Finanzoligarchie«. Der Quartier Neguri in Getxo gilt als beliebtes Refugium der baskischen Haute Volée. Dort logieren mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates der Bank von Bizkaia (BBVA), des zweitgrößten Geldinstituts in Spanien, unter ihnen Präsident Emilio Ybarro. Zur Elite von Neguri zählt auch Alfonso Basagoiti, Sprecher des Rates Baskischer Unternehmer.
Die Regionalregierung beeilt sich, das Attentat scharf zu verurteilen. Innenminister Javier Balza wittert hinter der »Bombe von Getxo« eine ETA-Erpressung, um »Revolutionssteuern« einzutreiben. Seit Mai soll es Briefe an Unternehmer gegeben haben, in denen eine je nach Firmengewinn festgelegte Abgabe reklamiert wird. ETA bringt offenbar einen eigenen Inkassobetrieb auf Touren, um versiegende Finanzquellen wieder sprudeln zu lassen.
Der zerfetzte Daimler von Getxo lässt vor allem den Dinosaurier der baskischen Parteienlandschaft - den 1898 gegründeten Partido Nacionalista Vasco (PNV/Baskische Nationalistische Partei) - unter Druck geraten. Die moderaten Nationalisten des PNV kooperieren in etlichen Rathäusern noch immer mit den Linksnationalisten des Euskal Herritarrok (EH/Partei Baskische Bürger), die mit ihrem Kern Herri Batasuna (HB/Einheit des Volkes) als ETA-nah gilt. Bald zeigt der PNV Wirkung und kündigt Ende Juli fast überall die kommunale Zusammenarbeit mit dem EH auf. Doch den zentralspanischen Parteien in Madrid genügt das nicht - der PNV solle sich wieder mehr gesamtnationalen Interessen unterordnen, heißt es. Der in Madrid regierende Partido Popular (PP), der bis zu deren Rausschmiss vor einem Jahr noch mit den baskischen Nationalisten in einer Fraktion des Europaparlaments saß, gebärdet sich besonders nassforsch. Kaum ein Regionalpolitiker der Volkspartei, der sich nicht zum Ritter gegen ETA aufschwingt. Für Alberto Fernández Díaz, den PP-Residenten in Katalonien, steht völlig außer Frage, dass Euskal Herritarrok »die politische Kapuze der ETA« hergibt. Folglich seien die PNV-Autoritäten gut beraten, endgültig »mit all jenen Formationen zu brechen, die Gewalttätigkeit unterstützen«.
Parallel dazu verschärft die spanische Justiz etliche Gesetze, um die soziale Basis von ETA zu treffen. Das Alter für die Strafmündigkeit wird gesenkt, so dass schon gegen 16-jährige Urteile bis zu 20 Jahren Haft wegen »terroristischer Betätigung« gefällt werden können, wenn sie am Straßenkampf teilnehmen und beispielsweise einen Bus anzünden.
ETA den Schneid abkaufen
Als ETA am 18. September 1998 einen unbegrenzten Waffenstillstand verkündete, war fünf Tage zuvor die Erklärung von Lizarra veröffentlicht worden, die neben der ETA-nahen Herri Batasuna (HB) sämtliche baskisch-nationalistischen Parteien - einschließlich des PNV - sowie die Izquierda Unida (IU/Vereinigte Linke) als gesamtspanische Formation signiert hatten. Für Lizarra galt der Friedensprozess in Nordirland als Modell, auch wenn nie an eine Kopie gedacht war. Alle Beteiligten votierten für einen Verhandlungsprozess, an dessen Ende ein Referendum stehen sollte, mit dem die Bevölkerung des Baskenlandes - nach einer Einigung mit Madrid - über die Zukunft des Landes entscheiden würde.
ETA befand sich zu dieser Zeit in keiner sonderlich komfortablen Lage. Polizeiaktionen in Frankreich und Spanien hatten die Logistik empfindlich getroffen. Die Spitze von Herri Batasuna war durch ein Urteil des Obersten Gerichtes in Madrid von Ende 1997 in corpore zu sieben Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden, weil sie versucht hatte, während einer Wahlkampagne einen von ETA produzierten Fernsehspot auszustrahlen.
Das Vorspiel zum Agreement von Lizzara ließ indes erkennen, dass es für ETA noch andere, tiefer liegende Gründe gab, den Dialog zu suchen und die Isolation zu durchbrechen. Anfang 1998 hatte der PNV in Geheimverhandlungen einen Deal angeboten: ETA-Aktionen, die das Investitionsklima im Baskenland stören, werden beendet. Im Gegenzug verpflichtet sich der PNV, wieder stärker für eine baskische Nation einzutreten. Während der PNV dabei für einen etablierten Nationalismus stand, dessen 100 Jahre alter baskischer Rassismus sich wunderbar mit Lobbypolitik vertrug, war ETA für ihren befreiungsnationalistisch definierten Kulturalismus die Grundlage weggebrochen. Die PNV-Regionalregierung hatte es über Jahre hinweg verstanden, entscheidende Elemente eines kulturalistischen Nationalismus in ihre Politik zu integrieren. Dies nicht zuletzt mit dem Resultat, dass man Baskisch als Sprache nicht mehr länger nur in entsprechenden Schulen (Ikastolas) lehren durfte, sondern baskisch-sprachige Medien vom Fernsehen über den Hörfunk bis hin zu den Printmedien legalisiert wurden. Das hieß auch, neben dem etablierten PNV mit seiner im Sinne eines baskischen Nationalismus mittlerweile weit ausgebauten Kulturpolitik gab es für nationalistische Mit- oder Gegenspieler eigentlich keine Notwendigkeit mehr. Diese Erfahrung durften bereits 1986 die PNV-Dissidenten von Eusko Alkartasuna (EA/Baskische Solidarität) machen, die heute längst wieder fest mit dem PNV liiert sind.
Es war bis dahin das Eigene und Andere von ETA, sich nach der Trennung vom PNV (1959) besonders von dessen biologistischem Blut-und-Boden-Rassismus distanziert und - zumindest deklarativ - sozialistische Forderungen artikuliert zu haben - inspiriert von der algerischen Unabhängigkeitsbewegung und der kubanischen Revolution. Davon waren Ende der neunziger Jahre nur eine starre anti-institutionelle Doktrin und der bewaffnete Kampf geblieben. Und eine erbitterte Fehde darüber, wer die baskische Nation besser vertritt.
Zu sich selbst zurück kehren
Vor dem Hintergrund des ETA-Waffenstillstandes ergab sich mit den Regionalwahlen am 25. Oktober 1998 schließlich eine bizarre Konstellation: Die klaren Sieger standen auf den entgegengesetzten Polen des politischen Spektrums. Der als gesamtspanischer Bewerber angetretene Partido Popular (PP) verbuchte einen Zuwachs von fast sechs Prozent und wurde zur zweitstärksten Partei im Baskenland (s. Übersicht). Die Linksnationalisten mit ihrer offenen Liste Euskal Herritarrok (EH) - getragen von Herri Batasuna (HB) und damit in gewisser Weise von ETA - erzielten mit 18 Prozent ihr bis dato bestes Ergebnis bei Regionalwahlen (s. Übersicht). Das bedeutete: Es gab mit den Stimmen für Euskal Herritarrok ein klares Bekenntnis zur baskischen Unabhängigkeit - und es gab mit den Zuwächsen für die spanische Regierungspartei eine ebenso klare Absage an jede Separation. Dennoch vereinte beide Wählerschaften mehrheitlich ein Axiom: Keine gewalttätige Konfrontation der Extreme.
Für ETA waren das Vorlage und Risiko zugleich. Denn Verhandeln im Sinne der Erklärung von Lizarra konnte angesichts des politischen Immobilismus der Regierung in Madrid nur bedeuten, durch weitreichende Konzessionen als Mündel des PNV anzukommen und damit als ETA zu scheitern - oder aber kompromisslose Härte zu zeigen, um in den Verhandlungen zu scheitern und als ETA wieder im Bombenkrieg anzukommen.
Baskische Patrioten hätten ein Jahr lang viel geredet, »während Spanien und Frankreich die Okkupation, die Angriffe und die repressive Herrschaft fortgeführt haben«, heißt es im Kommuniqué vom 27. November 1999, mit dem sich ETA aus der Waffenruhe verabschiedet. Besonders scharf wird darin die Missachtung einer angeblichen Übereinkunft mit den gemäßigten Nationalisten des PNV zum Bruch mit dem spanischen System verurteilt (ein Indiz dafür, wie sehr der Konflikt ETA-PNV den Lizarra-Prozess überlagert hat?). Folglich sieht ETA den Ausweg nur noch im Rückweg, in der Rückkehr zur herrischen Einsamkeit des Terrors - der Rückkehr zu sich selbst. Am Schluss des Kommuniqués wird noch einmal ein »unabhängiges und sozialistisches Baskenland« gepriesen, aber in der spanischen Übersetzung des auf baskisch verfassten Textes fehlt die Parole. Wozu auch das Ritual? Die früheren Anleihen bei sozialistischen Ideologien sind obsolet - geblieben ist nur der fanatische Wille zur selbst geschaffenen Nation.
(*) Baskenland und Freiheit
Zum Weiterlesen: Euskadi: Sozialismus in einer »Ethnie«?, in gruppe demontage: Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung, 292 Seiten, 29,80 DM, Unrast 1999.
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