Eine Landpartie

industrielle Landwirtschaft Der Chiemgau gehört zu den Gegenden mit großer touristischer Anziehungskraft. Die Berge und das Alpenvorland mit den Seen, dazu noch etwas Folklore, das lässt sich gut verkaufen. Aber es ist ein trügerisches Idyll.

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Dass die Idylle trügt, zeigt sich oft schon am Geruch, dem man beim Radeln kaum entkommt. Die Wiesen waren Mitte Mai in Jauche getränkt. Vorher hatte man sie gemäht – zu früh, sagen Öko-Freaks und alternative Landwirtschaftsexperten; denn damit geht die Artenvielfalt verloren. Blumen können nicht mehr ihren Samen verbreiten, soweit es noch Blumen gibt. Wiesen, die noch nicht gemäht sind, erstrahlen in Gelb. Sie sind übersät mit Löwenzahn und oft auch mit dem für Kühe und Pferde giftigen Jakobskreuzkraut, zwei offenbar sehr durchsetzungsfähigen Gewächsen, der Blumenschmuck der industriellen Landwirtschaft. Die Landwirte – „Bauern“ sind eine ausgestorbene Art – müssen früh im Jahr mähen, damit sie nicht so viel Futter zukaufen müssen für ihren gewachsenen Viehbestand. Die Betriebserweiterung hat ihnen die Landwirtschaftsberatung dringend nahegelegt hat, damit der Betrieb „zukunftsfähig“ ist. Das erklärt die frühe Mahd und die überdüngten Wiesen. Die Jauche bringt man nicht mehr in Jauchefässern aufs Feld, sondern in Tankwagen, von riesigen Traktoren gezogen. Die Räder sind mannshoch, und wenn einem so ein Gefährt entgegenkommt, heißt es absteigen oder in die Wiese ausweichen.

Die Wiesen und Felder haben solche Ausmaße, dass man im welligen Gelände nicht sehen kann, wo sie enden. Felder solcher Größenordnung haben mich vor zwanzig Jahren in Mecklenburg-Vorpommern erstaunt. So etwas hat man früher hier nicht gesehen. Die Landschaft war kleinräumig, weil die Höfe nur eine mittlere Betriebsgröße hatten. Bei der Fahrt durch die Weiler, die über das Voralpenland verstreut sind, bemerkt man die Veränderung. Von vier Höfen ist, sagen wir, einer noch landwirtschaftlich genutzt. Bei den anderen drei hat sich die Familie eine andere Einkommensmöglichkeit gesucht. Oder der Hof verfällt. Die, die aufgegeben haben, haben ihre Wiesen und Felder verpachtet oder verkauft. So kann der übrig gebliebene Betrieb im Ort nach „modernen“ Maßstäben wirtschaften. Auf einem Hof, wo ich vor dem Regen unters Scheunendach geflüchtet bin, habe ich mit dem Bauern geredet und ihn gefragt, wie es wirtschaftlich geht. Ja, die Schulden wären schon drückend. Er hatte sich wie viele in der Gegend auch nebenan einen neuen großen Laufstall für die Kühe bauen lassen. Der alte Stall stand leer.

In dieser touristisch attraktiven Gegend hilft die Vermietung an Gäste oft, den Hof zu erhalten, und für die, die die Flinte, nein die Sense ins Korn geworfen haben, bieten Fremdenzimmer eine alternative Einkommensmöglichkeit. Die Vermietung deckt zumindest einen Teil des Einkommens. Der Tourismus bewahrt die Weiler und Dörfer in dieser Gegend vor Vernachlässigung. Ich habe nur wenige Häuser ohne Blumenschmuck gesehen. Im Übrigen lässt sich über manche Gestaltung streiten. Sie ist vielfach vom Baumarktangebot bestimmt. Wenn die Landwirtschaft keine Perspektive mehr bietet, nutzen vor allem die Jungen den Hof für andere Gewerbe. Das letzte Mal habe ich in einem Weiler eine Autowerkstatt gesehen, anderswo einen Wohnmobilverleih, eine Glaserei und öfters schon eine Schreinerei. Dieses Handwerk scheint ziemlich beliebt. Sogar einen Instrumentenmacher, und zwar speziell für Blasinstrumente, habe ich einmal neben einem Einödhof entdeckt. Dank Internet kann man heute auch ein ausgefallenes Geschäft für eine spezielle Kundschaft im Hinterland aufmachen.

Um die Stille des Landes zu genießen, muss man Glück haben. Je nach Jahreszeit donnern die schweren Traktoren und Maschinen über die Felder. Auf den Straßen ist stoßweise viel Verkehr. Die Frauen bringen die Kinder zum Schulbus oder fahren einkaufen. Wer auswärts einen Job hat, braucht das Auto. Das Auto ist auf den verstreuten Weilen unverzichtbar. Oft braucht jedes Familienmitglied ein eigenes. Deshalb ist der frühere Bauerngarten jetzt in einen gepflasterten Stellplatz verwandelt. Überhaupt macht die Flächenversiegelung vor dem flachen Land nicht Halt. Rings um die Höfe sehe ich oft die Einfamilienhäuser der Jungen, die nicht mehr in dem alten Gemäuer wohnen wollen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, dass sie sich modernen Wohnkomfort gewünscht haben. Aber dass der Platz um das Haus manchmal so steril ist, kann ich nur mit Kopfschütteln quittieren.

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Geschrieben von

Georg Auernheimer

Früher Erziehungswissenschaftler (Schwerpkt. interkulturelle Bildung), heute politische Publizistik

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