In der Mitte der Gesellschaft angekommen

"linkes Lager" Was der Verfasser des folgenden Berichts bei einer Veranstaltung erlebt hat, hat bei ihm den Eindruck hinterlassen, dass die Rede von der Auflösung des linken Lagers, oder dessen, was man früher darunter verstanden hat, nicht abwegig ist.

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Ein Vortrag über Antisemitismus der Rechten in Bayern, angeboten im Anschluss an die Ausstellung der VVN-BdA „Neofaschismus in Deutschland“. Weitere Veranstalter: ein Verein junger Aktivisten, die sich u.a. in der Arbeit mit Geflüchteten engagiert haben, und das regionale Netzwerk „Bunt statt Braun“. Circa 30 bis 40 Teilnehmende, darunter viele junge Leute. Der folgende Disput, der sich an den Vortrag anschloss, hätte vermutlich auch anderswo ähnlich verlaufen können. Dass die Veranstaltung in einer Kreisstadt in der oberbayerischen Provinz stattfand, halte ich deshalb für nicht so belangvoll. Der junge Referent referierte kenntnisreich über vormoderne Judenfeindschaft und bemühte dann die Marxsche Arbeitswerttheorie, um antisemitische Verschwörungstheorien im Kapitalismus plausibel zu machen, bevor er Erscheinungsformen des heutigen Antisemitismus in rechten Organisationen und Bewegungen aufzeigte. Am Schluss ging er auf die Kontakte von AfD-Funktionären mit rechten russischen Ideologen, speziell mit Aleksandr Dugin, ein, ohne dass er klar machen konnte, welche Rolle Antisemitismus dabei spielt.

Während des Referats war auch der Begriff „israelbezogener Antisemitismus“ kurz aufgetaucht, und zwar als Bezeichnung einer von drei Varianten des Antisemitismus nach einer US-Studie. Das veranlasste mich zu einer Wortmeldung. Ich bezeichnete den Begriff als heikel, weil er die Gefahr berge, dass damit jede Kritik am Staat Israel still gestellt werde. Dabei nannte ich ein paar Beispiele für berechtigte Kritik: die rechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, tägliche Schikanen gegen die palästinensische Bevölkerung, den Umgang Israels mit UNO-Resolutionen. Meinen Hinweis auf die Gefahr (!), dass Israel-Kritik tabuisiert werde, beantworteten mehrere aus dem Publikum mit dem Ruf „Verschwörungstheorien“. Der Referent behauptete, es könne keine Rede davon sein, dass Kritik an Israel unterbunden werde, wenn man die Medien aufmerksam verfolge. Ein Teilnehmer rief dazwischen, man müsse nur schauen, welche Staaten an den UNO-Resolutionen beteiligt seien. Meine Reaktion darauf „Wenn das keine Verschwörungstheorie ist“ griff der Referent auf und belehrte alle, dass tatsächlich solche Schurkenstaaten (dem Sinn nach, wenn auch nicht sein Wortgebrauch) wie der Iran an UNO-Resolutionen mitwirken könnten. Fazit: menschen- und völkerrechtlich belanglos. Ein Teilnehmer – er erwähnte, dass er mit Bewohnern in Gaza Kontakt halte – machte empört auf die unerträgliche Lage der Menschen dort aufmerksam. Der Referent darauf, solche Emotionalisierung des Themas sei typisch und problematisch. Ich konnte mir nicht verkneifen, mich gegen die Entwertung von Emotionen für politische Kämpfe zu wehren. Empörung sei der Ausgangspunkt im Kampf gegen Unrecht und Ungleichheit. Dass Emotionen um die Analyse ergänzt werden müssen, überließ ich der Vernunft der Zuhörer. Das mir nochmals widerwillig zugestandene Rederecht nutzte ich noch dazu, die Zensurmaßnahmen wie Raumverbot für Israelkritiker zu belegen. Selbst jüdische Organisationen wie die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, sogar Aktivistinnen wie Nirit Sommerfeld, deren Vorfahren Opfer des Holocaust geworden sind, würden als antisemitisch diskriminiert. Das blieb unerwidert. Ein Teilnehmer meinte, Kritik an Israel solle man am besten der Öffentlichkeit in anderen Ländern überlassen.

Nachdem es in weiteren Wortmeldungen nicht mehr um Antisemitismus, sondern allgemein um einzelne Positionen und Strategien von AfD oder Identitären ging, verließ ich die Veranstaltung vor Schluss. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass der Referent es versäumt hatte, uns eine Definition von Antisemitismus zu liefern. Bei der Veranstaltung waren übrigens nach meinem Eindruck keine Teilnehmer aus dem Lager der Antideutschen anwesend, von denen solche Positionen wie geschildert ohnehin zu erwarten wären. Mehrmals prangerte der Referent den Antiamerikanismus, angeblich ein verbreitetes Amalgam mit dem Antisemitismus, als verwerfliche Einstellung an. Das von ihm gezeichnete Russlandbild – er hatte offen gelassen, welchen Einfluss Dugin auf die russische Führung ausübt – schien vom Publikum akzeptiert zu werden. Widerstand gegen den geopolitischen Kurs der Bundesregierung ist aus diesem Publikum kaum zu erwarten. Am liebsten hätte ich allen beim Weggehen zugerufen: Ihr seid in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Georg Auernheimer

Früher Erziehungswissenschaftler (Schwerpkt. interkulturelle Bildung), heute politische Publizistik

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