Böhmi und die großen Fragen der Verfassung

Eine rechtliche Analyse Ein Beitrag über Böhmi und die Grenzen der Kunstfreiheit: Wann wird Satire zur Beleidigung? Der Fall Böhmermann führt unmittelbar zu Fragen über Staat und Verfassung

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Sein Fall hat eine Menge zu bieten: Jan Böhmermann
Sein Fall hat eine Menge zu bieten: Jan Böhmermann

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Eine rechtliche Analyse – Schon als ich Böhmi's „Schmäh-Gedicht" an jenem Donnerstag Abend vernommen habe, stellte sich mir sofort die Frage: Ändert sich eigentlich etwas an der rechtlichen Einordnung eines Gedichtes als Schmäh-Gedicht dadurch, dass der Autor wiederholt darauf aufmerksam macht, bei den von ihm vorgetragenen Gedicht handelt es sich um ein Schmäh-Gedicht und damit um eine verbotene gesetzeswidrige Beleidigung? Weil es sich bei dem vermeintlichen Opfer auch noch um ein ausländisches Staatsoberhaupt handelt und sich die Bundesregierung veranlasst sah, Stellung zu beziehen, führt der Fall Böhmermann zu einer ganzen Reihe von Fragen über Verfassung und Staat. Es geht dabei um nichts geringeres als Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung.

Die Grenzziehung zwischen erlaubter Kunst bzw. Meinungsäußerung und mit Strafe bedrohter Beleidigung setzt genau dort an, wo Grundrechte wie die in Artikel 5 GG niedergelegte Kunstfreiheit (und hier nachrangig: Meinungsfreiheit) sowohl im Strafrecht (Bestrafung wegen Beleidigung, § 185 StGB; hier handelt es womöglich gar um eine Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach § 103 StGB, ein veraltetes und albernes Gesetz, was abgeschafft gehört) als auch im Zivilrecht (Anspruch auf Beseitigung und Unterlassen der Schmähung, §§ 823, 1004 BGB) auf das Rechtsgut der Ehre – in diesem Fall die Ehre von Erdogan, der wie jede andere Mensch freilich auch Träger von Grundrechten ist – trifft. Dadurch, dass gar ein ausländisches Staatsoperhaupt betroffen ist, hat der Fall zusätzlich auch noch eine außenpolitische und damit verstärkt staatsrechtliche Dimension. Wie ist das nämlich mit Blick auf das politische System unseres Grundgesetzes zu bewerten, dass das Auswärtige Amt Rechtsgutachten über die Äußerungen Böhmermanns anfertigen lässt und Frau Merkel mit türkischen Regierungsvertretern in Kontakt tritt, um sich von Böhmermann zu distanzieren? Hat das ZDF irgendwelche Grenzen überschritten, als es das vermeintliche Schmäh-Gedicht aus der Mediathek verbannte?

Schmäh-Gedicht – Ja oder Nein?

Zu der schon oben skizzierten Abgrenzung zwischen erlaubter Meinungsäußerung und verbotener Beleidigung existiert eine Vielzahl von Urteilen, in denen sich vor allem der Bundesgerichtshof mit der Frage beschäftigen musste, nach welchen Kriterien und Maßstäben Meinungsäußerungen und Kunst zu bewerten sind. Der für diese Fälle maßgebliche Gesetzestext ist derart unbestimmt, dass die Abgrenzung hier alleine durch so genanntes konkretisierendes Richterrecht vorgenommen wird. Die Abgrenzung richtet sich dabei freilich nach den Motiven des sich Äußernden und der Gewichtigkeit der betroffenen Rechtsgüter. Solange die sachliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht, führt eine mit einer Äußerung einhergehende Ehrverletzung nicht dazu, dass gleichzeitig auch eine strafbare Beleidigung zu bejahen ist. Hat es die Äußerung jedoch gerade auf die Ehrverletzung abgesehen, so ist von einer so genannten „Schmäh-Kritik" auszugehen, bei der die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind. Anders als bei dem Lied von Extra 3, bei der in jeder Zeile die sachliche (und inhaltlich natürlich völlig berechtigte) Kritik an Erdogans Politik im Vordergrund stand, lässt sich selbiges bei einer Bezeichnung als „Ziegenficker" zunächst nur schwer sagen.

Die in diesem Zusammenhang alles entscheidende Frage ist daher in der Tat: Rechtfertigt der wiederholt von Böhmermann geäußerte Hinweis, bei dem Gedicht handelt es sich um eine verbotene Schmäh-Kritik und um eine Überschreitung der Grenzen der Meinungsfreiheit (eigentlich: Kunstfreiheit), eine Interpretation des Gedichtes, wonach hier nicht die Herabwürdigung des türkischen Staatspräsidenten, sondern viel mehr die satirische Auseinandersetzung mit der Grenze der Meinungsfreiheit oder auch das vorangegangene Verhalten Edogangs im Vordergrund steht? Wo liegt also der Schwerpunkt des Gedichtes? In der unbedingten Herabwürdigung des türkischen Präsidenten als Ziegenficker aus Publicity-Gründen oder doch eher in der satirischen und deshalb auch nicht ganz ernst gemeinten (an der Sache orientierte) Aufbereitung einer öffentlichen Diskussion über den Umgang der Presse mit ausländischen Staatsführern? Für die Interpretation entscheidend ist, wie der Inhalt des Gedichtes – natürlich im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die verbotene Schmäh-Kritik und der vorangegangene Extra3 - Debatte – aus Sicht eines objektiven Dritten zu verstehen ist. Sähe man den Schwerpunkt in der sachlichen Auseinandersetzung, läge eine strafbare Handlung nicht vor; es bestünde auch kein zivilrechtlicher Anspruch Erdogans auf Beseitigung und Unterlassen der Äußerungen. Man mag das aber auch anders sehen können. Bräuchte man nämlich in Zukunft eine Beleidigung nur noch mit dem Zusatz zu versehen, dass es sich bei der Äußerung um eine Schmäh-Kritik und Überschreitung der Grenzen der Kunstfreiheit handelt, so wäre der Schutz der Ehre weitgehend aufgegeben. Vor dem Hintergrund überrascht Böhmis Reaktion, immerhin hätte er sich im klaren darüber sein müssen, dass es sich bei seinen Äußerungen durchaus um eine strafbare Handlung handeln könnte.

Merkel versus Gewaltenteilung

Der Fall Böhmermann hat aber noch mehr zu bieten. Die deutsche Bundesregierung sah sich in einem ohnehin angespannten und heiß diskutierten Verhältnis zur türkischen Regierung offensichtlicht genötigt, sich von Böhmermann zu distanzieren. Das auswärtige Amt hat gar ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob hier eine Straftat vorliegt oder nicht. Letzteres kann in der Tat nur für Erstaunen sorgen, so dürfte es kaum in den Zuständigkeitsbereich des auswärtigen Amtes fallen, die Strafbarkeit von deutschen Grundrechtsträgern prüfen zu lassen. Sowohl die Bundesregierung als auch das auswärtige Amt hatten offensichtlich das Bedürfnis, ihrer Haltung zu der Sache eine Grundlage zu geben. Äußerungen gegenüber der türkischen Regierung dürften schließlich leichter fallen, wenn man – wenn auch unverbindlich – über die rechtliche Bewertung des Gedichtes Gewissheit erlangt hat. Besonders souverän ist das indes nicht. Denn tatsächlich ist es die alleinige Aufgabe der deutschen Justiz, die Strafbarkeit der Äußerungen zu prüfen. Das wäre übrigens auch die richtige Antwort der Bundesregierung auf eine etwaige Anfrage seitens der türkischen Regierung gewesen: Das muss die – hier im Übrigen unabhängige – Justiz klären. Eine darüber hinausgehende Einlassung der Bundesregierung war unnötig und ungeschickt, wenngleich es natürlich nicht die deutsche Bundesregierung war, die für die Beseitigung des Gedichtes aus der Mediathek gesorgt hat. Das ZDF ist als eigenständiges und im Übrigen auch mit Grundrechten ausgestattetes Presseorgan freilich selbst berechtigt, über die Publikation von Inhalten zu entscheiden. Rechtliche Grenzen hat Merkel jedoch wohl nicht überschritten. Die im Grundgesetz angelegte Gewaltenteilung hat nicht zur Folge, dass die deutsche Regierung sich nicht von Publikationen von deutschen Künstlern distanzieren oder die Ansicht äußern dürfte, dass es sich bei dieser Publikation um eine verbotene Handlung handelt.Das gilt umso mehr, als § 104a StGB die Ermächtigung der Bundesregierung verlangt, um die entsprechende Strafverfolgung betreiben zu können. Die Bundesregierung ist letztlich genauso wie die für die Strafverfolgung zuständige Staatsanwaltschaft Bestandteil der Exekutive, sodass genau genommen von einer Durchbrechung der Gewaltenteilung keine Rede sein kann.

Wie so oft offenbart die deutsche Bundesregierung aber auch hier, dass sie gegenüber anderen Staaten, die einen zweifelhaften Umgang mit der Presse pflegen, nur wenig Rückgrat zeigt. Es ist nicht die Aufgabe der deutschen Bundeskanzlerin, sich von dem Gedicht eines deutschen Satirikers zu distanzieren. Nicht zum ersten mal lässt das Verhalten Merkels deutlich erkennen, dass ihr die Beziehungen zu diesen Staaten dann aber doch wichtiger sind, als das Anliegen, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung einzustehen. Hierzu gehört, dass die Justiz über die Strafbarkeit einer Handlung entscheidet und nicht die Regierung.

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