Die Folgen ökonomischer Ungleichheit

Wissenschaft Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse belegen insbesondere gesundheitliche Schäden durch relative Ungleichheit. Ursache: Psychosozialer Stress

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Verteilungsgerechtigkeit (Trump-Style)
Verteilungsgerechtigkeit (Trump-Style)

Foto: Timothy A. Clary/ Getty Images

Ursache für viele gesellschaftliche Probleme ist vor allem der durch die Ungleichheit ausgelöste psychosoziale Stress. Vor diesen objektiven und wissenschaftlichen Erhebungen kann niemand die Augen verschließen. So gesehen braucht linke Politik kein ideologisches Fundament. Die Zahlen reichen völlig.

Die Untersuchung von Richard G. Wilkinson

Der Gesundheitswissenschaftler Wilkinson hat im Rahmen der TED-Konferenz 2011 einen sehr interessanten Vortrag gehalten, der auf der Datenbasis der Industriestaaten herausstellt, wie sehr das Wohlergehen einer Gesellschaft von der Wohlstandsverteilung abhängt. Wilkinson betrachtet dabei das Ausmaß gesundheitlicher und sozialer Probleme etwa in Form der Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Kriminalität, Teenagerschwangerschaften, Übergewicht und psychischen Erkrankungen, wozu auch Alkohol- und Drogenabhängigkeit gehören. Diese Parameter vergleicht er zwischen den verschiedenen Industrienationen unter Berücksichtigung der jeweiligen relativen Wohlstandsverteilung.

Das Ergebnis: Die sozialen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Probleme hängen erstaunlicherweise nicht davon ab, wie vermögend eine Gesellschaft als Ganze ist; eine Kausalität ist schlicht nicht festzustellen. Reiche Länder wie etwa die USA oder Großbritannien schneiden bei den Untersuchungen also nicht signifikant besser ab als ärmere Industrienationen. Ganz anders sieht der Befund aus, vergleicht man die Staaten danach, wie unterschiedlich der Wohlstand innerhalb der jeweiligen Gesellschaft verteilt ist (relative Ungleichheit). Das, was mit gesundem Menschenverstand zu erwarten war, hat Wilkinson mit Daten in belastbarer Weise belegt: Gesellschaften mit großen Einkommen- und Vermögensunterschieden weisen signifikant schlechtere Werte im Hinblick auf soziale und gesundheitliche Probleme auf als Gesellschaften, in denen der Wohlstand deutlich gerechter verteilt ist. Das gilt für jede von Wilkinson untersuchte Kategorie, es ist immer das gleiche Muster. Große Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung führen zu einem Anstieg von folgenden Parametern: Krankheiten, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Kriminalität, Kindersterblichkeit, Teenagerschwangerschaften und psychische Erkrankungen. Der gleiche Zusammenhang ist auch festzustellen im Hinblick auf die Bewertung des Wohlbefindens von Kindern („Child well being index"). Wilkinsons Resümee: Wer den American Dream leben will, sollte nach Dänemark gehen. Das sollte die zentrale Argumentation von linker Umverteilungspolitik sein. Keine abstrakten Ideologien können die Vorteile von linker Umverteilungspolitik so gut veranschaulichen, wie Wilkinsons Zahlen.

Auch das Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft hängt von dem Grad der ökonomischen Ungleichheit ab

Bemerkenswert ist auch der Einfluss ökonomischer Ungleichheit auf das Vertrauen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft. Eine größere Ungleichheit führt zu einem Verlust an Vertrauen. In Staaten mit großer Ungleichheit, etwa die USA oder Portugal, geben nur um die 15 - 20 % der Menschen an, anderen Menschen grundsätzlich zu vertrauen. In Ländern mit einer verhältnismäßig geringer ausgeprägten Ungleichheit, das sind vor allem die skandinavischen Länder und Japan, beträgt der Anteil hingegen 60 - 65 %. Soziale Ungleichheit führt demnach zu einer kalten, kriminellen, ungesunden und von Konkurrenz und Konkurrenzdenken geprägten Gesellschaft. Das sollte allen klar sein, die sich gegen eine Umverteilungspolitik aussprechen.

Ein Erklärungsansatz

Wilkinson, der sich diesem Thema aus der medizinischen Perspektive genähert hat, verweist auf den ernormen psychosozialen Stress, der durch Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft entsteht. Ein Leben lang ausgeschüttete Stresshormone, die das Immunsystem belasten, sind insoweit Folge der heutigen Schere zwischen arm und reich. Die Menschen werden belastet durch die Angst vor dem sozialen Abstieg, Statuswettbewerb und den permanente Konkurrenzdruck am Arbeitsmarkt. Sie ist Folge eines Marktes, in dem nicht das Wohlergehen des Menschen selbst im Vordergrund steht, sondern die Rendite.

Die Position der Umverteilungsgegner

„Initiative neue soziale Marktwirtschaft", so nennen sich die Macher dieses Imagefilms. Dort heißt es: „Wenn wir in Deutschland die Spitzenposition behalten wollen, müssen [...] Dinge wie die Rente mit 63, die Mütterrente oder auch der Mindestlohn und sonstige bürokratische Hindernisse beseitigt werden". Der Name „soziale Marktwirtschaft" kann nur als reine Ablenkung gewertet werden. Diese Argumentation ercheint vor dem Hintergrund der oben genannten Zahlen als geradezu grotesk. Die Spitzenposition Deutschlands soll zulasten der Gesundheit der Gesellschaft verteidigt werden. Die Politik, allen voran die Union, folgt dieser vermeintlich wirtschaftsfreundlichen Argumentation. Die naheliegende Fragestellung: Wie wirtschaftsfreundlich kann eine Wirtschaftspolitik eigentlich sein, die kranke und kriminelle Menschen produziert?

Für das menschliche Wohlergehen, für das Glücklichsein der Menschen ist eine gerechte Wohlstandsverteilung zentral. Anstatt diese wissenschaftlichen Erkenntnisse aufzunehmen, folgt die etablierte Politik lieber den Empfehlungen von Wirtschaftsverbänden, die allzu oft eben nicht das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft, sondern das Profitinteresse der Elite im Blick haben.

Deutschland in der Untersuchung von Wilkinson

Wer meint, Deutschland stünde im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht da, sollte sich vergegenwärtigen, dass auch hier die reichsten 0,1 % ganze 23 % des Gesamtvermögens besitzen. Die reichsten 10 % vereinen 66,6 % des Wohlstandes auf sich. Gerade das Vermögen in Deutschland ist im internationalen Vergleich krass ungleich verteilt. Im Übrigen hängt in Deutschland der soziale Status mehr als in allen anderen Industriestaaten von dem der Eltern ab. Selbst das Bundesbildungsministerium erklärte: Es „entscheidet in keinem anderen Industriestaat die sozio-ökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen wie in Deutschland.” (Link) Die skandinavischen Länder, die in Wilkinsons Untersuchung vergleichsweise gut abschneiden, können dabei als Vorbild dienen.

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