Rot-Rot-Grün: Ein Blick in die Zukunft

Fiktion Berlin, August 2021: Die nächste Bundestagswahl steht an. Das rot-rot-grüne Lager liegt uneinholbar vorne. Der Grund: Die Koalition hat sich als Erfolgsstory erwiesen

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Gute Aussichten, Frau Merkel!
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Bild: Andreas Rentz/Getty Images

Berlin, August 2021: Die Stimmungslage im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahl ist klar: Das Rot-Rot-Grüne Lager liegt in den Umfragen klar vorne. Das verwundert angesichts der positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen seit der letzten Wahl im Jahre 2017 kaum. Dabei startete die neue Koalition mehr als holprig. Nachdem die neu gebildete SPD-Führung – bestehend aus Martin Schulz und Marco Bülow – ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag „Soziales Deutschland" mit den Grünen und der Linkspartei signalisierte, reagierten die Börsen sehr nervös.

Der vorläufige Höhepunkt war erreicht, als die Rating Agentur Standard & Poor's die deutsche Bonität nur wenige Tage nach Verkündung der neuen Koalition herabstufte und die Eliten eine äußert wirksame Medienkampagne zur vorläufigen Beendigung der neuen Partnerschaft in Bewegung setzte. Bild und co. sahen die deutsche Wirtschaft in Gefahr und forderten Neuwahlen. Und auch der Weg zu Rot-Rot-Grün selbst gestaltete sich als äußerst schwierig.

So war bei den Grünen lange unklar, ob sich ein linker Parteikurs angesichts der Gegenstimmen von Özdemir und Kretschmann durchsetzen lassen wird. Die Tür für eine linke Bundespolitik öffnete sich – ein wenig überraschend – durch die Wahl von Anton Hofreiter (heute: Bundesumweltminister) als Spitzenkandidat der Grünen, der schon vor der Bundestagswahl das Slogan #SozialesDeutschland ins Spiel brachte. Ähnliche Flügelkämpfe konnten die Parteilinken in der SPD erst nach der Wahl für sich entscheiden.

Nach dem desaströsen Abschneiden der SPD mit dem Spitzenkandidat Sigmar Gabriel löste das Duo Martin Schulz und Marco Bülow die bis dahin vom Seeheimer Kreis dominierte Parteiführung ab. Man könnte sagen: Trump ebnete #R2G den Weg, weil die Streitpunkte TTIP und NATO durch Trump vorerst vom Tisch waren und weil man auf dem eilig zusammen gerufenen SPD Parteikonvent insbesondere mit Blick auf den Wahlerfolg von Trump und den anhaltenden Wahlerfolgen der AFD zu der Einsicht gelangte, man müsse nun die Lebenswirklichkeit der Menschen spürbar verbessern und die Wirtschaft nicht länger auf Kennziffern, sondern auf das Wohlergehen der Menschen ausrichten, um dem rechten Spektrum den Nährboden zu entziehen und um alles zu unternehmen, um die Rassisten zu stoppen.

Leichter gesagt als getan: Die bereits angesprochenen Turbulenzen auf dem Finanzmarkt setzten die neue Koalition schnell unter Druck. Wie sich später zeigte, hatte Rot-Rot-Grün aber die passende Antwort parat. Der Neu-Kanzler Schulz kündigte an, die Lohnnebenkosten zu senken, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen. Der DAX beruhigte sich. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie gab schnell Entwarnung und versprach, dem deutschen Standort treu zu bleiben. Die Ankündigung der Koalition wurde schnell und in spektakulärer Art und Weise in die Tat umgesetzt.

Hierfür verantwortlich zeichnete sich der neue Bundesminister für Arbeit und Soziales, Dr. Gregor Gysi, der in den Koalitionsverhandlungen 2017 übrigens genauso wie den späteren Regierungsberater, Prof. Christoph Butterwegge, eine wichtige Vermittlerrolle einnahm. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden leicht gesenkt. Finanziert wurde das Paket durch die Einbeziehung der Gutverdiener/innen, Selbstständigen und Beamt/innen in das deutsche Sozialversicherungssystem. Nunmehr wurden nicht nur die sozial Schutzbedürftigen in das Solidarsystem der Sozialversicherung einbezogen, sondern alle in Deutschland lebenden Personen – egal ob arm oder reich.

Mit dieser neuen Bürgerversicherung wurden erhebliche Umverteilungspotentiale aktiviert. Flankiert wurde die Reform durch die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, die bislang dazu führte, dass die Einkommen von Gutverdienern nicht im vollen Umfang zur Ermittlung der Beitragshöhe herangezogen wurden. Der massive Ausbau der Sozialversicherung in eine Bürgerversicherung, in der zusätzlich nunmehr auch Kapitalerträge und weitere Einkommensarten einer Beitragspflicht unterliegen, konnte nicht nur eine Senkung der Lohnnebenkosten, sondern auch die Erhöhung der Rentenleistung insbesondere für Geringverdiener finanzieren.

Gleichzeitig wurde der Verteilungsschlüssel in der deutschen Rentenversicherung nach schweizerischem Vorbild geändert. Die Folge: Die Höhe der Rente war nun weit weniger von der Verdiensthöhe abhängig als es bislang der Fall war. Anders gesagt: In das Rentensystem wurde ein zusätzlicher Umverteilungsmechanismus eingebaut. Damit konnte schon frühzeitig ein wesentliches Ziel von #R2G umgesetzt werden: Hunderttausenden Rentnern, deren Renten trotz zum Teil beachtlicher Arbeitsleistung bislang unter dem Grundsicherungsniveau lagen, wurde der Weg zum Sozialamt erspart. Gleichzeitig konnten die Kommunen entlastet werden, die bekanntermaßen für die Grundsicherung von Menschen im Rentenalter zuständig sind. Endlich konnten sich die Kommunen wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen.

Rot-Rot-Grün signalisierte damit deutlich: Wir kümmern uns auch um die „Abgehängten" der Gesellschaft. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Werte der AFD seit diesem Reformschritt stetig abfallen. Die neuen Finanzierungsquellen der Sozialversicherung konnten endlich auch eine adäquate Bezahlung von Pflegekräften und Krankenpfleger/innen gewährleisten. Der Spuk im Gesundheits- und Pflegebereich war vorbei.

Die Bürgersicherung hat das deutsche Sozialversicherungssystem gleichzeitig auch für die kommenden, auf die demografische Situation zurückzuführenden Entwicklungen gewappnet. Dabei wurde die Bürgerversicherungsreform zunächst von einem großen Aufschrei begleitet. Zahlreiche Personen wie auch die privaten Krankenversicherer hatten zunächst den Versuch unternommen, die Reform vor dem Bundesverfassungsgericht zu stoppen. Vergeblich, wie sich zeigte - denn Karlsruhe gab in dem inzwischen berühmt gewordenen „April-Beschluss“ Entwarnung und gestatte dem Gesetzgeber einen großen Spielraum zu, das Sozialstaatsziel des Grundgesetzes auch mittels einer Bürgerversicherung umzusetzen.

Von Protesten der Eliten begleitet wurde auch die neue Steuerreform, die einen neuen Spitzensteuersatz für Einkommen über 90 000 EUR vorsah und auch Erbschaften in einem deutlich größeren Umfang als bisher einer Steuerpflicht unterwarf. Diese Reformen erwiesen sich indes als goldrichtig, wie die Milliardenmehreinnahmen des Bundes zeigten, die insbesondere auch zur Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes eingesetzt werden konnten. Diese zusätzlichen Einnahmen gehen vor allem auf das Konto der Linkspartei, die sich in Gestalt von Katja Kipping (Bundesfinanzministerin, Linkspartei) mit ihrem Vorschlag durchsetzen konnte, die Steuerpflichtigkeit – ähnlich machen es die USA schon seit langer Zeit – zusätzlich an die Staatsbürgerschaft zu koppeln, um Steuerflucht zu unterbinden. Im Ausland ansässige Spitzenverdiener müssen nun die ersparte Steuer an das neu eingerichtete Finanzamt Deutschland-International abführen.

Wurde in der letzten Legislaturperiode noch um die schwarze Null gestritten, konnte ausgerechnet die Rot-Rot-Grüne Koalition einen satten Überschuss im Bundeshaushalt verbuchen. Nicht zuletzt das verschaffte Deutschland wieder das wertvolle Triple-A Ranking. Die Länder konnten ihre Verwaltungen nach jahrzehntelangem Stellenabbau endlich wieder mit neuem Personal besetzen. Für einen Coup sorgte der neue Bundesjustizminister, Matthias Miersch (SPD). Dieser koordinierte ein Programm für die Einstellung von neuen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in den Ländern, die sich ausschließlich um die Sicherstellung von Vermögenswerten kümmern, die aus strafbaren Vorgängen stammen. Das neue Personal finanziert sich ebenso wie die neu rekrutierten Steuerfahnder/innen problemlos von selbst.

Die durch die Steuermehreinnahmen finanzierte erhebliche Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes führte im Zusammenspiel mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 11 EUR zu einer deutlich spürbaren Stärkung des Binnenmarktes. Die deutsche Industrie verzeichnete entgegen aller Befürchtungen gute Wachstumsraten. Rot-Rot-Grün konnte aber auch auf internationaler Ebene erste Erfolge verbuchten. Dank des neuen Spitzenduos Martin Schulz (Bundeskanzler, SPD) und den von den Grünen reaktivierten Jürgen Trittin (Bundesaußenminister) gelang es, die Europäische Union in einem Bündnis mit weiteren links-dominierten Regierungen aus Spanien, Griechenland, Italien und Frankreich zu einer sozialen Union umzubauen, in der die sozialen Mindeststandards und Mindeststeuersätze gleichberechtigt neben den wirtschaftlichen Grundfreiheiten in den europäischen Verträgen etabliert werden konnten.

Das Steuersparmodell von Irland war damit Geschichte. Unternehmen, die am europäischen Markt teilnehmen wollen, müssen bei Überschreiten bestimmter Umsatzgrenzen nunmehr nachweisen, dass sie die von der EU geforderten Mindeststeuersätze abführen. Nach dem Austritt von Großbritannien fand sich zudem eine Mehrheit in der Union, den Banken- und Finanzsektor weitgehend zu regulieren und eine Transaktionssteuer zur Vermeidung von Spekulationsgeschäften einzuführen. Die durch diese Maßnahmen erwirtschafteten Mehreinnahmen wurden in ein europäisches Investitionsprogramm gesteckt, welches als Marshall Plan 2.0 der südeuropäischen Wirtschaft zu Gute kommen wird.

Für Aufsehen hat aber vor allem auch die neue europäische Entwicklungshilfepolitik gesorgt, die vom neuen Bundesminister für Entwicklungshilfe Marco Bülow (SPD) angestoßen wurde. Statt auf Entwicklungsgelder setzte die EU auf einen zollfreien Zugang von Unternehmen aus demokratischen Entwicklungsländern. Diesen Staaten wird gleichzeitig gestattet, ihre Wirtschaft mit Hilfe von Handelsbarrieren vor Importen aus dem Ausland zu schützen. Bülow und seine europäischen Kollegen nahmen derweil davon Abstand, besonders gut qualifizierte Fachkräfte gezielt – etwa mit Hilfe von den zuvor eingeführten „EU-Greencards“ – aus den Entwicklungs- und Schwellenländern abzuwerben. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Diverse Staaten in Asien und Afrika konnten Rekordwachstumsraten erzielen. Die Zahl der Flüchtlinge aus diesen Regionen sind gesunken, obwohl sich die Mitgliedsstaaten der EU letztes Jahr – nach dem Rausschmiss von Ungarn aus der Union – auf eine verbindliche Verteilungsquote von Asylbewerber/innen einigen konnten.

Das Projekt Rot-Rot-Grün hat jedoch noch einiges vor. Anton Hofreiter forciert derzeit ein Milliardenprogramm für die Weiterentwicklung und Förderung von „In-vitro-Fleisch“, um der Massentierhaltung endgültig ein Ende zu setzten. Bundeskanzler Schulz verhandelt indes mit seinen europäischen Kolleginnen und Kollegen ein Programm zur Verbannung sämtlichen Plastiks aus dem europäischen Wirtschaftsraum. Spätestens 2035 soll Europa eine plastikfreie Zone werden. Nur fünf Jahre vorher soll das Ende der Diesel- und Benzinautos eingeläutet werden. Weil hierdurch insbesondere in Deutschland voraussichtlich zehn- oder gar hunderttausende Arbeitsplätze wegfallen werden, will die Rot-Rot-Grüne Koalition in der nächsten Legislaturperiode ein neues Arbeitsmarktprogramm aufsetzen. Vorgesehen ist die Einführung einer maximalen Arbeitszeit von 35 Stunden, um die durch die Digitalisierung der Arbeit weggefallenden Arbeitsplätze auf die immer noch vorhandenen 1,7 Mio. Arbeitslosen zu verteilen. Diese Maßnahme soll mit einem gigantischen Ausbildungsprogramm (Titel: „Deutschland bildet aus“) unterstützt werden. Auch Personen im fortgeschrittenen Alter soll durch die Errichtung von neuen, spezialisierten Ausbildungseinrichtungen ermöglicht werden, einen - ggf. weitergehenderen - Schulabschluss zu erwerben und im Anschluss eine Berufsausbildung zu absolvieren. Die Koalition setzt sich zum Ziel, die Arbeitslosenquote auf unter 3 % zu senken. Mit den erhofften Einsparungen im Sozialbudget soll die Steuerbelastung gesenkt werden, um etwaige Lohneinbußen durch die Reduzierung der Arbeitszeit ausgleichen zu können.

Die Politik von Rot-Rot-Grün hat erstmals für eine Verkleinerung der Schere zwischen arm und reich geführt. Die Armut in Deutschland wurde ein Stück weit bekämpft. Dafür sind insbesondere auch die wieder eingeführte Vermögenssteuer und die Streichung der pauschalen Besteuerung von Kapitalerträgen („Abgeltungssteuer“), die nun anhand des jeweiligen Einkommenssteuersatzes besteuert werden, verantwortlich. Die Arbeiten von dem Gesundheitswissenschaftler Richard Wilkinson haben sich als richtig erwiesen: Die Zahl der Straftaten in Deutschland ging genauso wie die Anzahl der auf die berufliche Belastung zurückzuführenden Krankschreibungen zurück. Hells Angels und Konsorten wurde der Boden entzogen. Einkommens- und Vermögensunterschiede spielen aber genauso wie das Statusbewusstsein weiterhin eine wichtige Rolle in der deutschen Gesellschaft. Die Ziele von Rot-Rot-Grün sind noch längst nicht erreicht – da sind sich die Koalitionspartner einig.

Die nächsten Reformen werden verhandelt. Linkspartei und Grüne plädieren in ihren aktuellen Parteiprogrammen für die Einführung eines Lohnrahmens. In der SPD hat sich hierzu noch keine klare Position herausgebildet. Die Koalitionsparteien sind sich allerdings einig, in der nächsten Legislaturperiode die Gründung von Genossenschaften zu subventionieren und für ein entsprechendes europäisches Gesetz einzutreten. Heiß diskutiert wird die Forderung der Grünen, das Konzept der Circular Economy zu etablieren. Uneins sind die Koalitionsparteien weiterhin in der Frage des NATO-Austritts. Die Bedeutung dieser Frage hat jedoch seit Trump und dem Rückzug der USA aus dem Bündnis und der Errichtung einer europäischen Streitkraft stetig an Bedeutung verloren. So überrascht es nicht, dass die Rot-Rot-Grüne Koalition auch über Deutschland hinaus als Erfolgsmodell gesehen wird. Die Arbeit ist noch lange nicht getan. Aber die Geschichte von #R2G zeigt: Visionen lassen sich realisieren. Sie verwirklichen sich jedoch nicht von alleine. Man muss für sie werben und sie formulieren. Der gesellschaftliche Gegenentwurf der Linken muss wahrnehmbar werden. Die vergangene Legislaturperiode zeigt aber auch, was die Politik der letzten Jahrzehnte versäumt hat und was für Folgen sie auslöst. Dafür reicht der Blick auf das Wahlergebnis in den USA von November 2016 und dem Aufstieg eines Multimilliardärs, der nicht davor Halt machen wird, Errungenschaften in den USA wie Obamacare schnell möglichst wieder umzukehren.

#R2G2017 #SozialesDeutschland

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