Das Leben danach

#deletefacebook Für soziale Netzwerke schlägt die Stunde null. Her mit den Alternativen!
Ausgabe 13/2018
Wie wollen wir im digitalen Zeitalter unser Leben gestalten?
Wie wollen wir im digitalen Zeitalter unser Leben gestalten?

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Nach den neusten Enthüllungen über den großen Datenklau bei Facebook wollen viele nur noch weg. Aber Facebook zu löschen ist eine Sache, was danach passiert, eine andere. Viele haben Angst, ohne Facebook in ein soziales Loch zu fallen. Diese Angst mag irrational sein, aber wir sollten sie ernst nehmen, statt lediglich Offline-Romantik zu predigen. Es geht hier ja nicht um einen Persönlichkeitstest, sondern um die Frage, wie wir im digitalen Zeitalter unser Leben gestalten, politisch agieren, unsere Information erhalten und zusammenarbeiten.

Wie könnte eine Welt jenseits von Facebook aussehen? Die Community Unlike Us befasst sich schon seit 2011 mit der Frage: Was tun nach dem Ausstieg? Die älteste Alternative zu Facebook stammt aber schon von 2010 und heißt Diaspora. Nachdem sie als kommerzielles Unternehmen floppte, macht man jetzt als non-profit weiter und hat sich in den letzten Jahren mit ein paar Millionen Benutzern etabliert. Dennoch hat sich eine kritische Masse, die Diaspora gegenüber Facebook konkurrenzfähig machen würde, nicht eingestellt. Ohnehin wird diese Konkurrenz dezentral sein und nicht länger die Hegel’sche Plattformsynthese bevorzugen. Fragmentierung ist kein Bug, sondern ein Feature. Und dennoch sieht man eine dialektische Bewegung: zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück.

Also her mit den Alternativen! Es gibt Raftr, wo gemeinsame Interessen im Vordergrund stehen, so wie damals im Usenet und in den virtuellen Gemeinschaften. Und Litsy für Buchliebhaber („Where books make friends“). Oder wäre eine deutsche Version von Blind vielleicht etwas für euch? Anonyme Kommunikation unter Arbeitnehmern. So was machen wir eh nicht über Facebook oder Twitter. Für das Magazin Wired hat Louise Matsakis ihre eigene Liste zusammengestellt: Nuzzel für Social News, Signal für Instant Messaging, Paperless Post und Doodle für die Planung, den Kalender für Geburtstage, Nextdoor für lokale Tauschbörsen, GroupMe für Gruppendiskussionen und ein Password-Manager für das Login. Habt ihr Ello schon versucht, oder Digg und Vero (eine App gegen die digitale Ablenkung)? Die NSA hört eh alles ab, also warum nicht Putins Telegram Messenger (mit 200 Millionen Benutzern) ausprobieren, als Alternative zu Zuckerbergs WhatsApp? Wenn es radikal anders sein muss, dann Mastodon, ein dezentrales, föderales Netz.

Obwohl die Infrastruktur privatisiert und der Verkehr zentralisiert ist, bleibt das Internet vorerst ein Netz der Netze. Noch ist es nicht zu spät dafür, die organisierte Langeweile aufzuhalten. Dafür brauchen wir Brüssel, eine Regulierung made in Germany, aber vor allem eine soziale Bewegung, die nicht um ihre Privatsphäre bangt, sondern lokale Vielfalt für sich beansprucht. Und sie gestaltet.

Wir haben genug von den coolen Berliner Start-ups gehört und der wunderbaren Kreativwirtschaft vor Ort (oder war es arm und sexy?). Also hört endlich auf zu heulen, fangt an zu coden und überrascht uns alle. Europa braucht eure Alternativen. Für soziale Netzwerke schlägt die Stunde null. Nie wieder Freunde, nie wieder Likes. Her mit den neuen Konzepten. Wie immer wird das Soziale eine technische Komponente haben. Die Welt braucht eine neue technosoziale Einbildungskraft. Wie definiert ihr das Soziale im 21. Jahrhundert?

Geert Lovink ist Medientheoretiker, Internetkritiker, Leiter des Amsterdamer Instituts für Netzkultur und Autor von Das halbwegs Soziale und Im Bann der Plattformen

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