Lehrer greift Amerikaner an

Der Fall Nolz Krieg und Frieden im Siegerland

Dreitausend Schüler standen in Siegen" - berichtet Bild am 21.9.von der pädagogischen Front -, doch sie waren "geschockt. Ihr eigener Lehrer hetzte gegen Amerika." So viele Schüler in einer Klasse? Und dann noch Kraft für einen Solo-Angriff auf die USA? Das weckt die Neugier der Bild-Leser - das kann doch nur eine Gesamtschule sein! Richtig: "Der Mann, der so überheblich am Rednerpult stand, heißt Bernhard Nolz, Lehrer an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule." Schaudernd lesen wir "Auszüge aus seiner Rede: ›Seit vielen Jahren beeinträchtigen die USA die Arbeit der Vereinten Nationen. Das reichste Land der Welt kommt seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach und bezahlt seine Beiträge nicht. Derselbe Staat stellt jetzt 40 Milliarden Dollar bereit, um aufzurüsten und andere Länder mit Krieg zu überziehen.‹" Dann ruft Herr Nolz auch noch zum Gebrauch der Grundrechte auf: "Er forderte seine Schüler auf, den Kriegsdienst zu verweigern".

Unter dem Bericht der Kommentar Paul Breuers, des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Der massenhafte Gebrauch von Gewissen ist ein Missbrauch von Gewissen!" Ein Satz, der in seiner wuchtigen Prägnanz über dem Portal des Reichstags stehen könnte. "Er gehört nicht in den Schuldienst", sagt Breuer später im Fernsehen. "Ein solcher Mann, der muss aus dem Verkehr gezogen werden. Er kann sich nicht gegen diesen Staat wenden, so wie er das in vielfacher Weise getan hat. Ich will die anti-amerikanischen Äußerungen, die er getan hat, gar nicht nennen." (Monitor, 8.11.)

Der deutsche Beamte hat sich jeder Kritik an den USA zu enthalten. Das ist keine Zukunftsmusik: Heute schon müssen sich Mitarbeiter von Bild und Welt vertraglich auf positive USA-Berichterstattung verpflichten, wie Freimut Duve in einem Interview des Wiener Standard berichtete (Ausgabe vom 19.11.). Wer den USA auch nur mangelnde Unterstützung der Vereinten Nationen vorwirft, ist bereits als Terror-Sympathisant verdächtig. Breuer in Bild: "Ich werfe Herrn Nolz vor, dass er eine klammheimliche Freude über das in New York Geschehene empfindet." Da hilft es dem Lehrer nicht, dass er drei Tage vor jener Rede auf der Veranstaltung "Siegen virtuell" seine Trauer bekundete. Er stellte auch auf Bitten der Stadt deren öffentliches Kondolenzbuch ins Internet und betreute es. Aber er ist Geschäftsführer des Siegener Friedenszentrums (ZFK). Da macht er sich, wenn diese Einrichtung schon am Morgen nach den Terroranschlägen - als erste in der Stadt - die Bürger zum Anzünden von Kerzen und Niederlegen von Blumen animiert, nur verdächtig. Der Stadtverband der CDU lässt sich nicht täuschen! Das ganze ZFK ist ein "Netzwerk von Gesinnungstätern" in einer "unheimlichen Allianz mit den Terroristen", verlautbart er in der Westfälischen Rundschau vom 22. September.

Hier erwartet man die empörte Solidarität der Schüler- und Lehrerschaft, um den Anschlag auf die Lehr- und Meinungsfreiheit zurückzuweisen. Doch es kommt anders. "Wieder, wie schon beim Balkan-Krieg, wurden auch vordem noch kritischere Zeitgenossen vom Fieber ergriffen und wählten es, lieber gegen Verbündete von einst zu eifern, als Beiträge wenigstens zu Inseln aufklärerischen Denkens zu liefern" (Georg Seeßlen, "Der Feind, den man nicht sieht", Jungle World vom 14.11.01).

Schulleiter Karbach: Hingabe und Zurückhaltung

Am 18. September schien Siegen noch eine dieser Inseln zu sein. "Hier auf dem Platz stehen heute die Schülerinnen und Schüler von zwölf verschiedenen Schulen. Es ist die größte Schülerkundgebung, die Siegen je gesehen hat", verkündet Daniel Scherer, einer der Initiatoren. "Ich bitte jetzt die Vertreter der einzelnen Schulen, symbolisch eine Kerze anzuzünden." Nach diesem Trauerritual wird der Redner vorgestellt. Kollegen von zwölf Schulen standen zur Auswahl, doch die Schüler haben sich für Nolz entschieden. Dessen Engagement für Friedenserziehung und Gewaltprävention war auch der Stolz seines Schulleiters, des SPD-Mitglieds Dr. Walter Karbach. Nach der Rede "wird applaudiert, die Presse berichtet positiv. Große Wut verspürt jedoch Joachim Pfeifer, Schulleiter der Gesamtschule Eiserfeld. Er schreibt einen Offenen Brief an die Organisatoren: ›Dass SchülerInnen sich ausgerechnet einen Lehrer als Kundgebungsredner wählen, der sie in Sachen Frieden belehrt, ist mir unverständlich. Sind Handlungsempfehlungen aus dem Friedensrezeptbuch der Siebziger eine adäquate Antwort auf den Terroranschlag?‹"

Postwendend distanzieren sich die getadelten Schüler von ihrem Redner: Er habe ihre "emotionale Betroffenheit vernachlässigt", die Veranstaltung "instrumentalisiert" und "geschmacklose antiamerikanische Akzente" gesetzt. Das sind wörtliche Formulierungen des Schulleiters Pfeifer, wie Bernhard Nolz gegenüber dem Freitag betont. Karbach, sein eigener Schulleiter, sorgt umgehend für die Veröffentlichung der "originellen" Schüler-Äußerungen - ohne Rücksprache mit dem ehemaligen Vorzeige-Lehrer. Zwei Tage nach der Kundgebung wird ein Auftritt der Schülersprecherin Mareike Beckmann im Fernsehen arrangiert. Sie wiederholt die inzwischen recht geläufigen Worthülsen. Sie ergänzt noch, dass Herr Nolz das Vertrauen der Schüler missbraucht habe : "Wir wollten gerne, dass er mehr auf die Emotionen der Schüler eingeht. Wir wollten das aber auf keinen Fall politisch." (Alle Zitate aus WDR 5, 12.10., 10.30 Uhr.)

Wieder einen Tag später, am 21. September, erscheint der bereits zitierte Bild-Artikel. Schulleiter Karbach entlastet sich: "Seit die Bild-Zeitung sich eingeschaltet hat, ist es sehr schwer, Gespräche zu führen." (Monitor vom 8.11.) Er hat viel von seiner Regierung gelernt: Selbstgeschaffene Fakten als Vorwand für weitere "Sachzwänge" benutzend, bleibt ihm keine andere Wahl, als ein Disziplinar-Verfahren anzukündigen. Und tatsächlich suspendiert die sozialdemokratische Bezirksregierung Nolz vom Dienst. Er habe die von einem Beamten geforderte "politische Zurückhaltung", außerdem noch die im Beamtenrecht verlangte "volle Hingabe" vermissen lassen. Ein staatlicher Funktionsträger müsse doch "der Achtung und dem Vertrauen gerecht" werden, das man von ihm erwarte.

Wie das gemeint ist, erklärte uns kürzlich ein Kreisschulrat aus einer ganz anderen Ecke Gesamtdeutschlands. In der Schulamtsinformation des Staatlichen Schulamts Prignitz 06/2001 lesen wir: "Mit Bestürzung wird jeder von Ihnen verfolgt haben, wozu Fanatiker und religiöse Dogmatiker in der Welt fähig sind. Menschenleben bedeuten diesen Terroristen offensichtlich nichts. Die Kinder und Jugendlichen, die uns anvertraut sind, können mit einer solchen Situation wenig anfangen. Es ist Ihre Aufgabe, konsequent die Einschätzung der Landes- und Bundesregierung zu übermitteln. Die Freiheit der Lehrkraft geht keineswegs so weit, die eigene politische Einstellung in die Erziehungsarbeit einzubringen." Schulrat Mubatsch trägt dieselbe Ermahnung noch einmal im Monitor vom 29. November vor. Nun verstehen wir die Botschaft des Beamtenrechts: Die "volle Hingabe" gilt dem Landes- und Bundesherrn, die "geforderte Zurückhaltung" den Grundrechten und dem Bildungsauftrag.

Das Fünfte Rad des Paul Breuer

In diesem Sinn hält unser Siegener Schulleiter nicht nur die Juristen, "sondern den Regierungspräsidenten höchstselbst auf dem Laufenden - er schickt ihm die Artikel aus der Lokalzeitung auf das Auto-Fax hinterher" (Frankfurter Rundschau, 25.10.). Monitor-Redakteur Ingelis Gautzmann hat diese Artikel als "massive Denunziation" bezeichnet (8.11.). Sie helfen dem Dienstherrn bei der nächsten Entscheidung: Die Suspendierung vom Schuldienst wird nach den Herbstferien unbefristet verlängert. Dabei haben sich die ursprünglichen Vorwürfe als nicht justiziabel erwiesen. Gerd Kaupenjohann, der stellvertretende Leiter des Staatsschutzes in Hagen, erklärt schon am 22. September in der Westfälischen Rundschau: "Aus dem Redemanuskript ergibt sich nichts Strafbares." Manfred Lischek, der Staatsanwalt in Siegen, sagt es konkreter: "Unser Ergebnis war eindeutig, dass in dieser Rede nicht die Straftaten in den Vereinigten Staaten gebilligt wurden." (Monitor, 8.11.)

In der erwähnten Hörfunk-Sendung (WDR 5) kommen erstmals Schülerinnen und Schüler zu Wort, die nicht unter dem Druck einer Schulleitung stehen. "Die Schüler haben nach der Rede geklatscht, sie hätten es nicht getan, wenn er absoluten Blödsinn erzählt hätte", berichtet jemand vom Moritz-Gymnasium. "Er hat gesagt, was viele denken", ergänzt die Sprecherin des Gymnasiums Weidenau. Als eine von wenigen Erwachsenen nahm Rosemarie Wenzl an der Kundgebung teil, sie sagt: "Alle Schüler haben ihre Trauer ausgedrückt, und ich fand, Herr Nolz hat es unheimlich gut gemacht."

In einer neuen Verfügung des Regierungspräsidenten wird die Rede dann auch nicht mehr erwähnt. Die Disziplinarmaßnahmen werden aber aufrechterhalten. Neue Begründung: "Störung des Schulfriedens". In den "Schützengräben dieses Krieges wird nicht mehr diskutiert", schreibt Horst Bethge, bekannt durch seinen jahrelangen Kampf gegen Berufsverbote ("Burgfrieden heute?" in etcetera ppf. Zeitschrift der Pädagogen für den Frieden 2/01). Gilt jetzt nur noch Befehl, Gehorsam, Gefolgschaft? Sollen Lehrer wie ihre Altvorderen Kriegsfreiwillige produzieren, die sich auf die afghanischen Schlachtfelder stürzen wie weiland die Kriegsfreiwilligen von Königsgrätz, Langemarck oder Stalingrad?

Prototyp der geistigen Aufrüstung ist jener Unions-Sprecher Paul Breuer. Er bezeichnet Nolz im WDR als "fünftes Rad am Wagen des internationalen Terrorismus".

"Fünfte Kolonne" hat er wohl sagen wollen. So können Schüler kein Deutsch lernen. Am 24. Oktober versucht einer, der Humor hat, das "fünfte Rad" des Paul Breuer noch weiterzudrehen: "Ich muss euch leider mitteilen, dass Bernhard Nolz unsere Schule verlassen hat. Er macht jetzt eine Ausbildung als Pilot. Wir wünschen ihm viel Glück dabei und dass er immer sein Ziel erreiche." Vom ersten Tag an wurden bei der Kampagne gegen Nolz die Schülerinnen und Schüler für politische Zwecke eingesetzt - eine massive, folgenschwere Störung des Schulfriedens. So weit stimmt die Begründung der Schulbehörde. Nur der Angeklagte ist der Falsche. Deshalb reicht es nicht, wenn die GEW nur fordert, die "disziplinarrechtlichen Untersuchungen zu beenden" (Erklärung vom 1.11.). Es geht auch um ein offensives Vorgehen gegen die Verletzung der Grundrechte, die wir nur verteidigen können, wenn wir "massenhaft davon Gebrauch machen" (Horst Bethge).

Am 3. Dezember lehnt der Bezirkspersonalrat in Siegen Nolz´ unbefristete "Zwangsversetzung" nach Kierspe im Sauerland ab. Doch die Bezirksregierung schöpft das Schulrecht aus und versucht jetzt, ihr Ziel mit Hilfe einer befristeten "Abordnung" zu erreichen. Keine Ermittlung läuft gegen die Initiatoren dieser Kampagne.

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