Fingerabdruck auf dem Personalausweis

Überwachung Unter dem Radar verabschiedete der deutsche Bundestag ein gefährliches Gesetz im Herbst: Ab August 2021 müssen die Abdrücke zweier Finger auf jeden neuen Personalausweis.

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Fingerabdruck auf dem Personalausweis

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Es ging in der Berichterstattung beinahe unter und erreichte die meisten Bundesbürger mutmaßlich nicht: Das Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen. [1] Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich eine Reformierung des deutschen Personalausweises - in einem Ausmaß, dass aufhorchen lassen sollte.

Fingerabdrücke werden verpflichtend

Ab dem 02. August 2021 werden neue Personalausweise nur mit der verpflichtenden Abgabe der Fingerabdrücke beider Zeigefinger ausgestellt. Die Bundesrepublik kommt damit einer höchst umstrittenen Richtlinie des Europäischen Parlaments von 2019 durch nationale Umsetzung nach.

Zur Erinnerung: Die Fingerabdrücke jedes Menschen sind einmalig und verändern sich das gesamte Leben lang nicht. Es handelt sich also nicht um sensible, sondern äußerst sensible Informationen - und Daten. Denn die Abdrücke werden digitalisiert und auf einem Chip im Personalausweis gespeichert. Angeblich ohne weitere Verwendung oder Speicherung.

Doch die Fragen, die im Raum stehen: Wird das immer so bleiben? Wie sieht es mit den Zugriffsmöglichkeiten der Polizei und Geheimdienste aus, denen erfahrungsgemäß hier nicht zu trauen ist? - man denke an die höchst umstrittene Nutzung der wegen Corona verlangten Kontaktdaten in Wirtshäusern im Frühjahr 2020 durch die Polizei für die Strafverfolgung. [2] Bayerns Innenminister Herrmann verteidigte das Vorgehen sogar und betonte, dass er die Kritik nicht nachvollziehen könne [3] - vielleicht, weil er selbst nicht betroffen war. Außerdem die Frage: Sind die Daten während ihrer Übertragung in die Zentrale wirklich sicher vor einem Datenleck (natürlich nicht, denn diese Garantie gibt es nicht)?

Die Begründung der Bundesregierung lautet, wie üblich, dass es um mehr Sicherheit für alle Bürger gehe und die erzwungenen Fingerabdrücke daher einen Vorteil darstellen würden. Wie beim Reisepass. Vor allem solle diese Neuerung gegen Terrorismus schützen [4] - das gern genommene und inhaltsleere Totschlag-Argument der letzten dreißig Jahre bei jeder neuen Methode zur Überwachung der Bevölkerung. Wie inhaltsleer, das zeigt eine kleine Anfrage der Partei Die Linke an die Regierung. [5] Darin wird unter Punkt 14 gefragt:

In welchen konkreten Fällen von als terroristisch eingestuften Straftaten hat das Nichtvorhandensein gespeicherter Fingerabdrücke auf Personal-ausweisen sowie anderen Ausweisdokumenten nach Kenntnis der Bundesregierung dazu geführt, dass die Taten nicht verhindert bzw. nicht aufgeklärt und die Täter nicht ermittelt werden konnten?

Die Antwort der Bundesregierung:

"Es sind keine konkreten Fälle von als terroristisch eingestufter Straftaten bekannt, in denen das Nichtvorhandensein gespeicherter Fingerabdrücke auf Personalausweisen sowie anderen Ausweisdokumenten mutmaßlich dazu geführt hätten, dass die Taten nicht verhindert bzw. nicht aufgeklärt und die Täter er-mittelt werden konnten."

Dennoch stimmten die Abgeordneten der CDU, der CSU und der SPD für das Gesetz. Die AfD begrüßte die Neuerungen, enthielt sich dann aber der Abstimmung - es ließe sich von der gespaltenen Zunge sprechen oder dem Schachzug, dass man hinterher ja nichts dafür könne. Dagegen stimmten die FDP, die Grünen und Die Linke. [6]

Negative Kritik bleibt wirkungslos

Außerdem gab es sehr viel negative Kritik aus verschiedenen Lagern zu hören, ob Datenschützer oder Verbände. Das prallte an der Großen Koalition allerdings ab. Unter anderen wies der Verein Digitale Courage e.V. vielfach auf die Gefahren einer solchen Reformierung des Gesetzes hin. Nun will der Verein juristische Wege gehen, um das Gesetz als verfassungswidrig zu kippen und ruft zu einer Beteiligung aller Bürger auf. [7] Es geht wohl vor allem darum, ob Fingerabdrücke als sehr sensible personenbezogene Daten besonders schützenswert sind und daher unter die Europäische Datenschutz-Grundverordnung fallen und den Artikel 2 des Grundgesetzes: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. [8] Außerdem verweisen verschiedene Seiten darauf, dass neue Personalausweise bis zum Stichtag angefordert werden können, die noch ohne Abdruck ausgestellt werden und zehn Jahr gültig sind. Ein weiteres wichtiges, warnendes Organ ist der Chaos Computer Club, der schon 2008 wegen des ePass zu bedenken gab [9]:

"Fingerabdruck-Biometrie ist nicht so sicher, wie die Politik beteuert. Sie gehört in keine sicherheitsrelevante Anwendung – und erst recht nicht in den ePass."

Viele Kritiker fürchten, dass die Fingerabdrücke missbraucht werden können, um Menschen genau zu verfolgen [10] oder sogar anzuschwärzen für eine Tat, die sie nie begangen haben. All das sind realistische Szenarien.

Deutsche Presse verkennt die Brisanz

Das Gesetz flog sozusagen unter dem Radar der Berichterstattung, denn aktuell scheint es für die meisten Medien kaum etwas anderes wirklich wichtiges zu geben, als einen Artikel nach dem anderen zur Corona-Krise zu veröffentlichen. So hielten es die eigentlich angesehenen Blätter in Deutschland - die Zeit [11], die Süddeutsche Zeitung [12] [13], der Focus [14], der Spiegel [15] - nicht für nötig, mehr Aufwand zu betreiben, als die dpa-Meldung - manchmal leicht im Schriftbild angepasst - abzudrucken. Der Sender n-tv [16] [17] [18] [19] und das Redaktionsnetzwerk Deutschland [20] gingen ebenfalls so vor. Das ZDF brachte nur eine kurze Meldung. [21] Die FAZ und die große deutsche Tagesschau - weder online noch im Fernsehen - berichteten nicht.

Umfangreiche Artikel, worin sich die Journalisten mit der Reformierung auseinandersetzen finden sich nur in vielen kleineren und alternativen Medien, wie Telepolis von Heise, netzpolitik.org oder dr-datenschutz - und interessanterweise beim MDR [22]. Das ist sehr schade und bedauerlich, weil gerade die reichweitenstarken Medien hier einem Thema nicht genug Platz einräumen - oder es sogar unter den Tisch fallen lassen, wie die öffentlich-rechtliche (!) Tagesschau - das jeden Deutschen dringend etwas angeht.

Leider hat sogar der Freitag vergessen, diese Schlagzeile aufzugreifen. Die Suchmaschine bringt keinen Artikel zum Vorschein. Auch aus diesem Grund entsteht dieser Text, um die Lücke zu füllen.

Mehr Überwachung hat ihren Preis

Übrigens: Künftig dürfen die Passbilder nur noch vom Fotografen kommen, wenn dieser zertifiziert ist und das Bild über ein spezielles Behörden-Programm digital überträgt - auch hier darf gefragt werden, wie sicher das für die Datensätze der Fotos und damit Gesichter der Menschen ist. Andernfalls muß es auf dem Amt angefertigt werden. Da hilft es den Deutschen auch wenig, dass nun Divers als Geschlecht mit einem X eingetragen werden darf.

Fehlt noch was? Ach ja: Der Ausweis wird außerdem teurer - statt 28,80 Euro kostet er seit 01. Januar 2021 nun 37 Euro. Offiziell wegen gestiegener Personal- und Sachkosten - die Tariflöhne stiegen tatsächlich. Dafür entfallen die Gebühren zur Aktivierung der Online-Funktionen von 6 Euro. [23] Wenn das kein überzeugendes Argument für die Reformierung des Ausweis-Gesetzes ist.

[1] https://www.personalausweisportal.de/SharedDocs/kurzmeldungen/Webs/PA/DE/2020/Neue_Vorgaben_Pass_Personalausweis.html

[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/faelle-aus-fuenf-bundeslaendern-bekannt-polizei-nutzt-kontaktdaten-aus-restaurants-auch-zur-strafverfolgung/26056130.html

[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/kann-die-kritik-nicht-nachvollziehen-herrmann-will-corona-gaestelisten-fuer-polizeiliche-ermittlung-nutzen/26054304.html

[4] https://www.dr-datenschutz.de/personalausweis-ab-august-2021-nur-mit-fingerabdruck-jetzt-handeln/

[5] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/221/1922133.pdf

[6] https://netzpolitik.org/2020/biometrische-daten-bundestag-beschloss-speicherpflicht-fuer-fingerabdruecke-in-personalausweisen/

[7] https://aktion.digitalcourage.de/perso-ohne-finger

[8] https://www.dr-datenschutz.de/personalausweis-ab-august-2021-nur-mit-fingerabdruck-jetzt-handeln/

[9] https://www.ccc.de/en/updates/2008/schaubles-finger

[10] https://www.heise.de/tp/features/Unter-Generalverdacht-Fingerabdruck-fuer-Personalausweis-4951377.html

[11] https://www.zeit.de/news/2020-11/06/fingerabdruck-pflicht-im-personalausweis

[12] https://www.sueddeutsche.de/politik/personalausweis-fingerabdruck-foto-1.5106315

[13] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verbraucher-fingerabdruck-pflicht-im-personalausweis-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201106-99-234005

[14] https://www.focus.de/finanzen/recht/gilt-ab-august-2021-fingerabdruck-pflicht-kommt-was-sich-naechstes-jahr-beim-personalausweis-aendert_id_12627918.html

[15] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/personalausweis-bundestag-beschliesst-aenderungen-fingerabdruck-pflicht-kommt-a-314b8525-51b0-4585-91e2-c45a5fe72bc6

[16] https://www.n-tv.de/politik/Fingerabdruecke-im-Ausweis-sind-bald-Pflicht-article22151483.html

[17] https://www.n-tv.de/ticker/Neues-Gesetz-Fingerabdruecke-und-Biometrietaugliche-Fotos-im-Personalausweis-sind-kuenftig-Pflicht-article22151160.html

[18] https://www.n-tv.de/politik/Fingerabdruck-auf-Ausweis-wird-Pflicht-article22197588.html

[19] https://www.n-tv.de/ratgeber/bei-Kommunikation-und-Reise-article22220219.html

[20] https://www.rnd.de/politik/fingerabdruck-pflicht-fur-personalausweis-kommt-FDKDAK5WX55RQMOYY7KGQ3CWJE.html

[21] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-19-uhr/videos/regierung-neue-beschluesse-100.html

[22] https://www.mdr.de/mdr-thueringen/redakteur-personalausweis-fingerabdruck-chip-hahn-100.html

[23] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/personalausweis-gebuehren-teurer-100.html

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