2 Parlamente, 2 Regierungen, ein General

Libyen. Die politische Lage in Libyen ist verwirrend. Der nachfolgende Beitrag stellt einen Versuch dar, die Vorgänge seit Mai 2014 darzustellen.

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Die Ereignisse: Im Mai 2014 hatte in Bengasi die gegen islamstische Milizen gerichtete „Operation Karama“ (Operation Dignity/Würde) von General Khalifa Al-Haftar begonnen. Al-Haftar verfügte über eine kleine Armee, deren Einsätze von den USA mit Hilfe des Franzosen Bernard Levi koordiniert wurden. Als sich Al-Haftar den Milizen unterlegen zeigte, intervenierten die Großen Stämme zusammen mit der Zivilbevölkerung und begannen, die Stadt von Extremisten zu säubern.

Im Juni wurde ein neues, säkular ausgerichtetes Parlament gewählt, das schon im August aus der Hauptstadt Tripolis in das an der Grenze zu Ägypten gelegene Tobruk im Osten des Landes fliehen musste. Denn seit sich viele islamistische Gruppen (von Al-Kaida über Ansar Al-Sharia, die Moslembruderschaft, ISIS und andere) lose unter dem Namen „Dawn of Libya“ („Libysche Morgenröte“) zusammengeschlossen hatten, intensivierten sich die in der Stadt ausgeübten Gewalttaten noch einmal. Dutzende Politiker, Journalisten und Aktivisten wurden in Tripolis gefangengenommen, gekidnappt oder gleich ermordet.

Anfang Juli hatten alle libyschen Milizen ein Abkommen unterzeichnet, in dem die Grenzen ihrer Einflusssphären festgelegt waren. Danach stand der internationale Flughafen von Tripolis, wie das seit Ende des Krieges 2011 bereits der Fall war, weiterhin unter der Kontrolle der Zintan-Milizen. Doch kaum war das Abkommen getroffen, wurde es von den Misrata-Milizen gebrochen: Sie griffen auf Anraten von Katar, Saudi Arabien und der Türkei den Flughafen an, denn über den Flughafen konnte alles, von Waffen bis Geld, ins Land gebracht werden. Doch die Zintan-Milizen behaupteten sich und Misrata musste sich unter schweren Verlusten zurückziehen. Zintan warf Misrata vor, die getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten zu haben und so flammten die Kämpfe erneut auf, an denen sich ab August auch die Großen Stämme beteiligten. Im Verlauf der heftigen Auseinandersetzungen zerstörten die Misrata-Brigaden den Flughafen von Tripolis sowie die gesamte Flugzeugflotte und schossen große Öltanks in Brand.

Das alte libysche Parlament, dessen Mitglieder mit der „Dawn of Libya“ sympathisieren, trat weiterhin in Tripolis zusammen, obwohl dessen Repräsentanten nach den Juni-Wahlen aufgefordert worden waren, zurückzutreten. Von diesem islamistisch ausgerichteten GNC (General National Congress), der sich weigerte, die Legitimität der neuen Versammlung, das Repräsentantenhaus, anzuerkennen, wurde der pro-islamistische Politiker Omar Al-Hasi am 25. August zum Premierminister gewählt. Die „Dawn of Libya“ sicherte ihm die Kontrolle über Tripolis.

Im neu gewählten Parlament hatten Liberale und Föderalisten die Mehrheit. Die wenigen dort noch vertretenen islamistischen Kräfte boykottierten das jetzt in Tobruk tagende, international anerkannt Parlament. Im September wurde dort Abdullah Al-Thani zum Premierminister gewählt.

Ab jetzt gab es in Libyen zwei Parlamente, zwei Regierungen und zwei Premierminister.

Einem Paukenschlag kam die Nachricht vom 6. November gleich, als das Oberste Gericht in Tripolis die Wahl des Tobruk-Parlaments als verfassungswidrig bezeichnete. Das Urteil selbst scheint kaum anfechtbar, allerdings sind die Umstände, unter denen es zustande kam, mehr als dubios. Drei Richter waren zurückgetreten, die damit ihr Leben und das ihrer Familien riskierten. Verbleibende Richter wurden mit auf ihren Kopf zielenden Gewehren zur Zustimmung genötigt. Der Druck durch die in Tripolis herrschende „Dawn of Libya“ war enorm.

Die Regierung von Tobruk gab dazu keine Stellungnahme ab. Sie hatte General Al-Haftar in die libysche Armee aufgenommen und nachdem sich ein Großteil der pro-libyschen, säkularen Kräfte in den Osten des Landes zurückgezogen hatten, konnte dieser ebenso wie Bengasi weitgehend von islamistischen Milizen befreit werden.

Bei allen militärischen Aktionen in Libyen taucht immer wieder der Name des Generalmajors Khalifa Al-Haftar auf. Doch wer ist dieser Al-Haftar eigentlich? Wenn man den aus Bengasi stammenden Haftar als eine schillernde Figur bezeichnet, ist dies eine äußerst schmeichelhafte Umschreibung. Bereits 1988 gründete der einstige Mitstreiter Gaddafis mit Unterstützung der CIA die Libyan National Army (LNA), die den Sturz Gaddafis zum Ziel hatte. Nachdem dieses Unterfangen gescheitert war, lebte Haftar die nächsten zwanzig Jahre in der Stadt Falls Church in Virginia/USA. Dieser Ort befindet sich in nächster Nähe von Langley, dem Standort des CIA-Hauptquartiers. Von dort führte Haftar LNA-Aktivitäten durch. http://english.pravda.ru/world/africa/03-06-2014/127716-general_haftar-0/

Anfang 2011 kehrte Haftar, der einen amerikanischen Pass besitzt, nach Libyen zurück. Er wurde am 17. März 2011 zum Oberkommandierenden der „Rebellen“ ernannt und kämpfte mit einer eigenen Miliz auf Seiten der Nato gegen die Jamahirija. Damit zeichnet er mitverantwortlich für all die Leiden, die seitdem über das libysche Volk hereingebrochen sind.

Der Libyer Al-Fatah schätzt Al-Haftar wie folgt ein: „Als die FUKUS (F/UK/US) erkennen mussten, dass ein libyscher„failed state“ [A.d.Ü: in dem sich die IS auszubreiten anschickte] nicht wirklich in ihrem Sinne war, finanzierten sie Haftar, damit dieser im Februar 2014 einen Staatsstreich organisieren sollte. Haftar wurde von den Libyern nicht anerkannt, sondern allgemein scharf verurteilt. Er musste in Tripolis im Haus der amerikanischen Botschafterin Deborah Jones Zuflucht suchen, bis er von den USA/CIA herausgeholt und mit dem Schiff nach Bengasi gebracht werden konnte. Dort erhielt er jede nur erdenkliche Unterstützung zur Ausrüstung der Armee, Flugzeuge, Militär- und Public-Relation-Berater. Ein Teil der Nationalarmee schloss sich ihm an und gemeinsam mit ihr führte er im Mai 2014 einen zweiten Staatsstreich durch. Anschließend forderten ihn seine Militär- und PR-Berater zu einer Stellungnahme auf, in der er eingestand, dass nur die Jamahirija-Revolution von 1969 [unter Gaddafi] eine echte Revolution gewesen sei, die außerdem ohne Blutvergießen stattgefunden habe, während es sich bei der „Revolution“ des „17. Februar“ (Gruppierung benannt nach den Vorgängen vom 17. Februar 2011) um keine echte Revolution gehandelt habe, denn sie hätte nur mit Hilfe einer ausländischen Intervention durchgeführt werden können, die mit der Bombardierung des Landes endete. Von dieser Stellungnahme Al-Haftars ließen sich die Libyer einige Wochen täuschen. Doch als Al-Haftar schon bei den ersten Widerständen, die ihm Ansar-Al-Sharia-Brigaden entgegensetzen, aus Bengasi flüchtete und die weiteren Kämpfe den Großen Stämmen und der Zivilbevölkerung überließ, war es schnell mit dem Glauben an Al-Haftar vorbei. Kein einziger Stammesführer traute ihm mehr, ebenso wenig die Regierung in Tobruk. Doch um die sogenannte FUKUS zufriedenzustellen und um endlich den Frieden in Libyen wiederherstellen zu können, wurde Haftar aus diplomatischen Gründen die offizielle Führungsrolle überlassen. Tatsächlich verfügt Haftar nur über einige hundert Soldaten, die seinem Schutz dienen, während die Großen Stämme kämpfen und das Land säubern… Obwohl Haftar über keinerlei Führungsqualitäten verfügt und von den Kämpfen in Bengasi kilometerweit entfernt war, soll er nun von der sogenannten FUKUS zum Helden hochstilisiert werden. Doch Haftar ist und bleibt ein Mann der CIA.“ Soweit Al-Fatah.

Inzwischen darf die Erwähnung Al-Haftars in kaum einer westlichen Berichterstattung über die Vorgänge in Libyen fehlen, er wird sogar als „moderner Gaddafi“ gepriesen, als starker Mann, der mit seiner „Operation Karama“ (Würde) wieder die Ordnung im Land herstellen soll. Nun will Al-Haftar auf Weisung des Ministerpräsidenten Al-Thani mit der Bodenoffensive zur Befreiung von Tripolis aus den Händen des „Dawn of Libya“ beginnen. Erste Kämpfe sind bereits im Gange.

Keine Frage, dass der ägyptische Machthaber el-Sisi die Regierung in Tobruk und die Nationalarmee gegen den „Dawn of Libya“ unterstützt, ebenso wie dies die Regierung in Algerien tut, die die Grenze nach Libyen für Hilfslieferungen und den Transport von Verwundeten geöffnet hat. Und auch keine Frage, dass auf der Gegenseite Katar und die Türkei den „Dawn of Libya“ unterstützen.

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Nachricht, dass Malta seine Botschafter aus Tripolis vor wenigen Tagen auf Grund der sich verschlechternden Sicherheitslage abgezogen hat. Malta bemühte sich, zwischen den beiden verfeindeten libyschen Regierungen zu vermitteln. Doch nun waren die maltesischen Diplomaten von Premierminister Al-Thani in Tobruk gewarnt worden, sich auf keinerlei Gespräche mit dem GNC in Tripolis mehr einzulassen.

Welche Rolle spielen die USA? Schon im Juli musste die amerikanische Botschaft aus Tripolis evakuiert werden. Heute residiert Botschafterin Deborah Jones auf Malta. Sie hält gute Kontakte zum islamistischen Parlament in Tripolis und nur vereinzelt welche zur Tobruk-Regierung. Die Unterstützung für die „Dawn of Libya“ wurde nie eingestellt, andererseits wird von den USA auch CIA-Mann Al-Haftar mit Geld, Waffen und auf jede andere erdenkliche Weise unterstützt, genau jener Haftar, der gerade gegen Tripolis und den „Dawn of Libya“ marschiert. Die Sache komplett absurd erscheinen lässt die neueste Nachricht, dass Al-Haftar und die USA angeblich ihre Allianz gelöst hätten.

Ebenfalls wurde gemeldet, die IS würde laut US-Militärangaben nun Ausbildungslager im Osten Libyens aufbauen. Tatsächlich wird die Stadt Derna vom IS kontrolliert und es befindet sich dort ebenfalls ein Trainingslager. Allerdings gehen die Nationale Libysche Armee und die Großen Stämme davon aus, diese Plätze spätestens im nächsten Jahr zurückerobern zu können. Der Osten Libyens wird ansonsten weitgehend von den säkularen Kräften kontrolliert. Und Ägypten wird an seiner Grenze bestimmt keine IS-Kämpfer dulden.

Wie wird Libyen aus all diesem Durcheinander hervorgehen? Das libysche Volk hat eine lange Tradition der Resistance. Es widerstand den italienischen Kolonisatoren und dem Ausverkauf durch das Königshaus Idris. So bleibt zu hoffen, dass es auch in dieser schwierigen Lage in der Nachfolge Omar Muktars und Muamar Gaddafis sein Land gegen fremde Mächte und Interessen zu verteidigen weiß.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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