9 Jahre Verheerung: Was 2011 wirklich geschah

Libyen/Krieg. Im Februar 2011 begann der Krieg gegen Libyen – kein Grund zum Feiern.

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In Bengasi kam es am 15. Februar 2011 zu ersten Anti-Gaddafi-Protesten von wenigen hundert Personen. Es erfolgte ein von im Ausland lebenden Libyern initiierter Aufruf zum ‚Tag des Zorns‘ am 17. Februar 2011. Ihm folgten in einigen Städten mehrere Tausende Demonstranten. Bereits fünf Jahre vorher war es in Bengasi am 17. Februar bei Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen zu Gewalttätigkeiten gekommen, als von Islamisten das italienische Konsulat in Brand gesteckt wurde. Bei den damaligen Unruhen waren zehn Personen ums Leben gekommen. Es war also klar, aus welcher Richtung auch 2011 die Proteste kamen.

Die Demonstrationen schlugen 2011 umgehend in Gewalttätigkeiten um. Die FAZ berichtete am 18. Februar 2011 von 200 Demonstranten in Bengasi, die des Nachts Brandsätze gelegt, Steine geworfen und den Rücktritt der Regierung gefordert hatten. Von den 14 Verletzten seien zehn Angehörige der Sicherheitskräfte gewesen. Am 21. Februar schrieb die Presseagentur AFP, bewaffnete Islamisten hätten in Derna, das schon immer eine Hochburg der Dschihadisten gewesen war, den Hafen und ein nahe gelegenes Armeedepot gestürmt, Soldaten und Zivilisten als Geiseln genommen und zu erschießen gedroht, falls sich die libysche Armee nicht aus der Stadt zurückziehe. Und die britische BBC zitierte Bauarbeiter aus der Türkei, die berichteten, wie achtzig Mitarbeiter ihrer Firma aus dem Tschad mit Äxten von ‚Aufständischen‘ niedergemetzelt wurden. Man beschuldigte sie, Söldner Gaddafis zu sein. Nicht berichtet wurde, dass bereits am 15. Februar in Zinten und al-Baida Polizeistationen brannten und Polizisten nach späteren Aussagen von Ärzten mit schweren Brandwunden in die Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Zwei Polizisten wurden in Bengasi gelyncht. Mit dieser brachialen Vorgehensweise gelang es den extremistischen Islamisten, Bengasi schon nach fünf Tagen unter ihre Gewalt zu bekommen.[1]

Diese gezielten Aktionen von agents provocateurs, die in Demonstrationen schossen, Polizisten ermordeten, Polizeireviere in Flammen aufgehen ließen, forderten die Staatsmacht heraus, die eingreifen musste. Daniele Ganser bemerkt, dass „in allen drei NATO-Kriegen [Libyen, Syrien und Ukraine] auf verdeckte Kriegsführung gesetzt wurde… es waren Geheimoperationen, welche die Situation eskalieren ließen, während die Drahtzieher im Hintergrund blieben. Für den UNO-Sicherheitsrat und die Bevölkerung in den NATO-Ländern sind solche Konflikte schwer zu durchschauen, da die an der verdeckten Kriegsführung beteiligten Länder jegliche Kontakte zum Kriegsschauplatz leugnen und ihre Spuren verwischen.“[2]

In dieser Lage ging das libysche Militär mit Maschinenpistolen gegen die ‚Aufständischen‘ vor. Auch wenn es unter den Aufständen jetzt Todesopfer gab, bestätigten weder die UNO, noch das Pentagon oder westliche Botschaften, dass Gaddafi – wie von der westlichen Presse behauptet – friedliche Demonstranten aus der Luft angreife. Auch der Bundesregierung lagen keine Beweise für eine Bombardierung vor.

Laut den westlichen Medien schoss in Bengasi die libysche Polizei in die Menschenmenge. Es folgte die Verbreitung der Nachricht, dass die libysche Staatsmacht auf alles schieße, was sich bewegt, um den Aufruhr, der das ganze Land erfasst habe, niederzuschlagen.

Während des sogenannten ‚Arabischen Frühlings‘ hatten der amerikanische Geheimdienst CIA und der britische Geheimdienst MI6 Aufständischengrupen unterstützt und gezielt Spannungen zwischen den verfeindeten Gruppen geschürt. Die Vorgänge in Libyen waren vom Ausland gesteuert, laut Jürgen Todenhöfer gelangten Waffen und Geld ins Land, „Hauptsponsor war […] in Libyen das kleine Katar.“[3]

Muammar al-Gaddafi hielt eine emotionale Rede, in der er sagte, „es sind nur sehr wenige“, „es sind ein paar Terroristen“. Er verwies auf al-Kaida-Führer und bezeichnete diese als „Ratten“. In den westlichen Medien wurden Aussagen Gaddafis nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern er wurde auch falsch zitiert. Seine Aussage, er werde „Libyen Stück für Stück, Haus für Haus, Wohnung für Wohnung, Gasse für Gasse“ von diesen ‚Rebellen‘ säubern, wurde in einem geschmacklos abgemischten Video eines israelischen Reporters weltweit verbreitet und der britische Außenminister William Hague behauptete, Gaddafi hätte damit gedroht, „von Haus zu Haus, von Zimmer zu Zimmer zu gehen und sich an der Bevölkerung von Bengasi zu rächen“. „Viele Leute werden sterben.“[4]

Gaddafi hatte zwar den gewalttätigen ‚Rebellen‘ massiv gedroht, frei erfunden war jedoch die Behauptung, seine Drohungen hätten sich gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Richard Falk meinte, der „Grad der Unterdrückung“ in Libyen sei nicht „durchdringender und schwerer“ als in anderen autoritär regierten Staaten gewesen.[5]

Muammar al-Gaddafis Sohn, Saif al-Gaddafi, beschreibt die damaligen Vorgänge Jahre später[6]: „Die Agonie Libyens begann am 15. Februar 2011 mit den üblichen Protesten und Demonstrationen für die im Abu-Salem-Gefängnis Inhaftierten. Die Demonstrationen wurden schon bald von Mitgliedern dschihadistischer Gruppen wie der Libyan Islamic Fighting Group LIFG gekapert. Sie griffen Polizeistationen und Armeeunterkünfte in Derna, Bengasi, Misrata und al-Zawaj an, um Waffen für den geplanten Krieg gegen das libysche Volk und seine rechtmäßige Regierung zu erbeuten.

Gleichzeitig wurde eine Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Daran beteiligt waren Al-Jazeera, Al-Arabia, BBC, France 24 und andere Sender, die das libysche Volk aufforderten, sich gegen die Staatspolizei zu stellen, als diese versuchte, Regierungsgebäude und Volkseigentum vor Angriffen und Plünderungen zu schützen.

Auf Straßen, Brücken und in den Gebäuden der Sicherheitskräfte spielten sich entsetzliche Szenen ab, in deren Verlauf die Demonstranten unvorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. Sicherheitskräften, Militärpersonal und Polizisten wurden die Kehlen durchschnitten, es wurde ihnen das Herz herausgerissen und ihre Körper zerstückelt. Es war eine Show von tierischer Brutalität.

Nur ein Beispiel: Am 16. Februar 2011, dem ersten Tag der Unruhen, haben die sogenannten friedlichen Demonstranten einen Mann namens Musa al-Ahdab ermordet und verbrannt. Am selben Tag wurde in Bengasi ein Polizeioffizier ermordet und seine Extremitäten in Stücke geschnitten.

Solche barbarischen Handlungen wurden von den bewaffneten Demonstranten ausgeführt, genauso wie sie Panzer, Maschinengewehre und Flags in den Städten Misrata, Bengasi und al-Azawija einsetzten. Diese Handlungen und weitere solche Szenen sind gut dokumentiert und können auf youtube und anderen sozialen Medien angesehen werden.

Die tatsächlichen Opferzahlen standen im Gegensatz zu dem, was von den voreingenommenen Medien berichtet wurde. […] Die behauptete hohe Anzahl von Opfern blieb eine rein statistische Zahl, ohne Bekanntgabe der Namen oder Identitäten, ebenso wenig wie Wiedergutmachung von den Regierungen gefordert wurde.

Die Propagandakampagne und die Lügen, die mit Verunglimpfungen des Militärs einhergingen, betrafen nicht nur die erhöhten Opferzahlen, sondern man behauptete auch, das Regime benutze Militärflugzeuge, um Zivilisten anzugreifen. Es wurde von Vergewaltigungen durch Armeeangehörige und Sicherheitskräfte berichtet. Es hieß, in den Panzern sei Viagra gefunden worden,[7] auch sollten afrikanische und algerische Söldner in der libyschen Armee kämpfen und Piloten sich nach Malta abgesetzt haben. Bis heute konnte für keine einzige dieser Behauptungen ein Beweis gefunden werden. Die Vereinten Nationen, Amnesty International, Human Rights Watch sowie Untersuchungen des Westens konnten keinen einzigen der insgesamt 8.000 Fälle bestätigen, die von den libyschen Oppositionellen gemeldet worden waren.

So wie heute immer noch stellten sich die damaligen Vorgänge in den internationalen Medien völlig anders dar als vor Ort in Libyen. Thierry Meyssan schreibt: „Im Gegensatz zu den Informationen aus Bengasi und von den Vereinten Nationen versicherten die in Tripolis anwesenden Diplomaten und Journalisten, dass dort nichts auf eine Revolution hindeutete.“ Meyssan weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Grundlagen für das Grüne Buch von Muammar al-Gaddafi, das die theoretische Grundlage der Regierungsform einer libyschen Dschamahirija bildete, maßgeblich durch die Lektüre der französischen freiheitlichen Sozialisten des 19. Jahrhunderts beeinflusst worden war. Charles Fourier und Pierre-Joseph Proudhon hätten Gaddafis Denken geprägt.

Selbst die Washington Post musste widerstrebend eingestehen: „Viele Libyer scheinen Gaddafi zu unterstützen.“ Und: „Aber nach sechs Tagen alliierter Bombenangriffe auf libysche Militärziele ist klar, dass Gaddafi in den weiträumigen Gebieten, die jenseits der von Rebellen beherrschten Enklaven im Osten des Landes liegen, auf die kämpferische Loyalität eines bedeutenden Teils der Bevölkerung zählen kann.“ Weiter: „Sogar Gaddafis Gegner, die sich ihren Unmut nur außerhalb der Hörweite von Regimebefürwortern äußern trauten, räumen ein, dass der Mann, der Libyen für mehr als 42 Jahre regierte, nun wirklich Unterstützung braucht.“[8]

Dessen ungeachtet wurde in Genf eine Sitzung des UN-Menschenrechtsrats einberufen. Dort behauptete die Libysche Liga für Menschenrechte, dass der „Diktator“ sein „eigenes Volk massakriere“. Eine plötzlich erschienene libysche Delegation bestätigte diese Zeugenaussagen und erklärte sich mit dem libyschen Volk und seiner Erhebung gegen den Diktator solidarisch.

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin die Resolution 1970, die auch den Einsatz von Gewalt vorsah. Über Libyen wurde ein Embargo verhängt und die Sache an den Internationalen Strafgerichtshof weitergeleitet. Das Credo der internationalen Medien lautete: „Der Diktator muss weg.“

In Bengasi wurde am 27. Februar der Libyen National Transitional Council (LNTC), der Nationale Übergangsrat, eingesetzt, der sich aus Mitgliedern der Muslimbruderschaft, Exilpolitikern zweifelhaften Rufes, königstreuen Idris-Anhängern und einigen Überläufern aus der Gaddafi-Regierung zusammensetzte. Immer mit dabei: ein special representative der USA namens Christopher Stevens, der später in Bengasi von Islamisten ermordete US-Botschafter für Libyen. Der Nationale Übergangsrat, der unverzüglich vom Westen als legitime Vertretung der ‚libyschen Bevölkerung‘ anerkannt wurde, forderte im Einklang mit Stevens mit Nachdruck eine Flugverbotszone über Libyen. Auch wollte Stevens ein erhöhtes militärisches Engagement in Libyen mittels Lufteinsätzen und Spezialkräften am Boden.[9]

Der libysche Justizminister Abdul Dschalil stellte eine provisorische Regierung auf. Dschalil setzte ein Krisenkomitee ein, dessen Vorsitz Mahmud Dschibril einnahm, der bis vor kurzem noch die Nummer zwei in Gaddafis Kabinett gewesen war. Die Moslembrüder hatten sowohl im LNTC als auch in der Regierung das Sagen. Die alte monarchische Flagge wurde aus der Mottenkiste geholt und der Sohn des ehemaligen König Idris, Mohamed Senussi, erklärte sich bereit, in Libyen wieder die Macht zu übernehmen.

Dschalil gab im Mai 2014 in einem Interview des Senders al-Arabia zu, 2011 gelogen zu haben: „Gaddafi gab niemals den Befehl, Demonstranten zu töten. Das taten Scharfschützen aus dem Westen. Die Getöteten, die wir vorzeigten, waren Ausländer, die wir in libysche Kleidung gesteckt hatten.“[10] Dschalil hatte 2011 auch behauptet, dass in Kabinettssitzungen der Dschamahirija die Anwerbung von Söldnern aus dem Tschad und Niger zur Niederschlagung des Aufstands beschlossen worden war. Noch am 13. März warnte er, die Länder, die sich nicht am Sturz Gaddafis beteiligten, würden keinen Zugang zu den libyschen Ölvorkommen bekommen[11]. Später gab er zu, bewusst falsch ausgesagt zu haben. Er habe mit seinen Aussagen die Gaddafi-Unterstützer verunsichern wollen. Sein wichtigster Beweggrund sei gewesen, die Scharia als die Grundlage der Gesetzgebung im ‚neuen‘ Libyen einzuführen. Es soll auch ein von Israel und Abd al-Dschalil unterzeichnetes Dokument existieren, in dem Israel Dschalil seine Unterstützung versichert. Eine Militärbasis an der libysch-algerischen Grenze wurde geplant.

Obwohl das reiche Libyen inzwischen den höchsten Lebensstandard in ganz Afrika erreicht hatte und in Bezug auf Frauen- und Menschenrechte innerhalb der arabischen Ländern führend war, und obwohl viele Afrika- und Libyenkenner vor der Gefahr eines failed state in Libyen warnten, forderte Mahmud Dschibril vor dem Europaparlament in Straßburg eine „humanitäre“ Intervention in Libyen.

In der UN-Resolution 1973 heißt es, dass „die in der Libysch-Arabischen Dschamahirija derzeit stattfindenden ausgedehnten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.“ Es heißt ausdrücklich „möglicherweise“, d.h. diese Vorwürfe waren nicht durch unabhängige Quellen bestätigt. Es wurde eine „sofortige Waffenruhe und ein vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Missbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen“ gefordert und es sollte eine Lösung für die Krise gefunden werden, die den legitimen Forderungen des libyschen Volkes gerecht wird – diese Aufforderung richtete sich an alle an dem Konflikt beteiligten Parteien, nicht ausschließlich an die Kräfte der Dschamahirija. Gefordert wurde explizit ein Dialog. Dies wurde von den kriegsführenden Mächten und ihren Mitstreitern unterlaufen, obwohl auch die AU, Venezuela, Russland und die Türkei versuchten, Verhandlungen in Gang zu setzen. Zu keiner Zeit deckte die UN Resolution einen Regime-Change und den Sturz Gaddafis, d.h. im Klartext: Es handelte sich beim Nato-Krieg gegen Libyen um einen Völkerrechtsbruch und einen völkerrechtswidrigen Krieg.

Jean-Paul Pougala schreibt[12]: „Es ist bestürzend, um es milde auszudrücken, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen Krieg gegen ein Volk erklärt worden ist, ohne dass auch nur der leiseste Versuch zu einer friedlichen Lösung der Krise erkundet worden war.“

Bereits vor Verhängung einer Flugverbotszone waren Spezialeinheiten aus den USA, Großbritannien und Frankreich im Lande und unterstützten die ‚Aufständischen‘, die ihre Waffen von den USA, Katar und Saudi Arabien bezogen. Bereits am 6. März berichtete der Guardian, dass vier Tage vorher eine britische Spezialeinheit im Osten Libyens festgenommen worden war. Der britische SAS (Special Air Service) wurde in Bengasi gegen die Flugabwehr der libyschen Armee eingesetzt.[13] Daniele Ganser zitiert den Mirror vom 20. März 2011: „Hunderte britische SAS-Soldaten haben seit drei Wochen zusammen mit Rebellengruppen in Libyen operiert. Die Elitesoldaten wurden mit Hubschraubern im Land abgesetzt und setzten die Landesverteidigung außer Kraft.“ Und: „Die Elitesoldaten haben die wichtigste strategische Waffe der libyschen Armee ins Visier genommen, das SAM-5-Raketensystem.“

Auch der Independent berichtete am 7. März 2011, dass Agenten des MI6 im Raum Bengasi den Machtwechsel unterstützt hätten. Und die New York Times schreibt am 30. März: „[Es] haben kleine CIA-Einheiten als eine westliche Schattenarmee seit mehreren Wochen in Libyen gearbeitet.“ Daniele Ganser stellt klar „ dass auch die CIA vor der Verabschiedung der UNO-Resolution 1973 illegal in Libyen aktiv war.“ Und ein Mitarbeiter der US-Regierung erklärt: „Präsident Obama hat vor mehreren Wochen einen geheimen Beschluss unterzeichnet, welcher der CIA den Auftrag gibt, die Rebellen mit Waffen zu unterstützen.“ Über Obamas Außenministerin Hillary Clinton ist seit ihrer E-Mail-Affäre bekannt, dass sie über einschlägig bekannte Waffenhändler Waffen an al-Kaida-Leute liefern ließ, die auf der Terroristenliste der USA standen.

Da der UNO-Sicherheitsrat erst am 4. März 2011 die Flugverbotszone gefordert hatte, bedeutet dies, dass die Spezialeinheiten ohne UNO-Mandat und illegal die Souveränität Libyens missachteten und einen aggressiven Akt gegen das Land begingen.

Am 17. März 2011 startete Frankreich den ersten Angriff auf Libyen. Die vorher über Libyen verhängte Flugverbotszone stellte eine ausländische militärische Oberhoheit über Libyen her, in deren Folge französische und britische Maschinen ungehindert das Land bombardieren konnten. Nicht nur libysche Militärstellungen und die Infrastruktur des Landes wurden zerstört, sondern unter dem Label „Schutz der Bevölkerung“ auch die Städte Sirte und Bani Walid als Hochburgen von Gaddafi-Anhängern. Die damals begangenen Kriegsverbrechen kamen bis heute nicht zur Anklage. Dagegen wurden Gaddafi immer hanebüchenere Verbrechen zur Last gelegt, kein Griff in die unterste Verleumdungsschublade war zu schmutzig. Karin Leukefeld schreibt: „Keine Recherche, keine Überprüfung, Medien werden Teil der Manipulation.“

Wie sehr der Krieg gegen Libyen auf Falschinformationen und Lügen fußte, bestätigte 2016 ein Untersuchungsbericht des britischen Parlaments.[14] Er kam zu dem Ergebnis, dass „diese Politik nicht von einer genauen Geheimdienstarbeit geprägt war. Beispielsweise überschätzte die Regierung fälschlicherweise die Bedrohung der Zivilisten und sie sahen nicht, dass ein signifikanter Teil der Rebellen aus Islamisten bestand. Im Sommer 2011 wurde die begrenzte ‚Intervention zum Schutz von Zivilisten‘ zur opportunistischen Politik des Regimewechsels mit militärischen Mitteln ausgeweitet. [...] Das Ergebnis war der politische und ökonomische Kollaps, Kämpfe zwischen Milizen und zwischen Stämmen, eine humanitäre und eine Migrantenkrise, umfangreiche Menschenrechtsverletzungen, die Verbreitung des Waffenarsenals von Gaddafi in der ganzen Region und das Anwachsen des IS in Nordafrika.“ Alison Pargeter[15] äußerte sich in dem Bericht schockiert über den Mangel an Wissen „über die historische und regionale Komplexität in Libyen“. Es sei nie gefragt worden, wieso der Aufstand in Bengasi und nicht in der Hauptstadt Tripolis begonnen habe und die Bedeutung der Stämme und Regionen sei unberücksichtigt geblieben.

Der Bericht folgert: Die Luftangriffe durch die NATO haben die Bedrohung durch islamistische Extremisten noch verschlimmert, der Aufstand der ‚Rebellen‘ hätte kaum Erfolg gehabt, wenn er keine militärische Unterstützung durch das Ausland erfahren hätte, Medien wie Al-Jazeera und Al-Arabiya verbreiteten unbewiesene Gerüchte über Gaddafi und die libysche Regierung, die NATO-Bombardierungen stürzten Libyen in eine humanitäre Katastrophe, töteten tausende Menschen und vertrieben hunderttausende, wodurch Libyen aus dem Land mit dem höchsten Lebensstandard zu einem vom Krieg zerrütteten, failed state wurde. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten erklärt: „Trotz seiner Rhetorik wurde die Annahme, Muammar Gaddafi hätte das Massaker an Zivilisten in Bengasi angeordnet, nicht durch verfügbare Beweise belegt.“

Hätte sich die NATO-Intervention an die Vorgabe der UN gehalten, Zivilisten zu schützen, hätte sie laut dem Bericht ihren Einsatz bereits nach zwei Tagen beenden können. Denn bereits am 20. März 2011 zogen sich die libyschen Regierungstruppen etwa 40 Meilen (60 km) aus Bengasi zurück.[16] Es wurde jedoch dieser ‚Schutz der Bevölkerung‘ nicht in einen ‚Regimewechsel‘ umgewandelt, sondern er war von Anfang an das Ziel. Während der damalige Premierminister David Cameron noch am 21. März 2011 dem House of Commons versicherte, dass mit der Intervention kein Regimewechsel herbeigeführt werden soll,[17] unterzeichnete er gemeinsam mit Barack Obama und Nicolas Sarcozy bereits im April 2011 ein Schreiben, in dem das Ziel eine „Zukunft ohne Gaddafi“ sei.[18]

In der Untersuchung kommt auch Amnesty International zu Wort, das feststellte: „die Berichterstattung in vielen westlichen Medien vermittelte von Anfang an eine sehr einseitige Sichtweise des Geschehens. Die Protestbewegung wurde als völlig friedlich dargestellt, während die Sicherheitskräfte des Regimes unbewaffnete Demonstranten massakrieren.“ AI fand auch keine Beweise, dass Viagra an die Soldaten ausgegeben und Frauen vergewaltigt wurden.

Als Lord Richards[19] gefragt wurde, ob er gewusst habe, dass Abdelhakim Belhadsch und andere al-Kaida Mitglieder, die Verbindungen zur Libyan Islamic Fighting Group LIFG hatten, an der Rebellion im März 2011 teilgenommen haben, sagte er nur, dies sei eine „Grauzone“ gewesen.

Am Ende des britischen Parlamentsbericht heißt es: „Das Ergebnis war der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch, Krieg zwischen Milizen und Stämmen, humanitäre Krisen und Migrantenkrisen, weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen, die Verbreitung von Waffen des Gaddafi-Regimes in der Region und das Wachstum des IS in Nordafrika.“

Insgesamt flog die NATO in Libyen 26.000 Einsätze, und zerstörte bei 9.500 Angriffen 6.000 Ziele. Frankreich allein flog 5316 Einsätze und warf 1000 Bomben und 100 Missiles bei 1000 Angriffen ab.[20]

Das Ziel war erreicht: Libyen war in einen kaputten Staat mit einer zerstörten Infrastruktur gebombt geworden und, was sich in der Zukunft noch schlimmer auswirken sollte, auch seine politische Struktur war zerstört. Nun sollte der nächste Schritt angegangen werden: Ein den westlichen Mächten höriges Marionetten-Regime zu etablieren, das deren ökonomische und geopolitische Interessen bedient. Daran wird bis heute gearbeitet.

Ulrich Kienzle zieht das Resümee[21]: „Das libysche Chaos ist zu einer viel größeren Bedrohung für Europa geworden, als Gaddafi es je war. Immer mehr Flüchtlinge aus Afrika drängen nach Europa, das hilflos reagiert. Libyen, ein Paradebeispiel für das Versagen westlicher Politik. Ein Pulverfass am Mittelmeer. Direkt vor den Toren Europas.“

Und Vijay Prashad schreibt: „Libyer - ein Volk, das diesem Krieg überlassen ist, der niemals enden wird. Ein Volk, das in Öl und Angst begraben ist, ein Volk, das auf der Suche nach der Heimat ist, die ihnen genommen wurde.“[22]

[1] Joachim Guilliard „Hand in Hand. Bewaffneter Aufstand in Libyen.“ In: Junge Welt, 18.2.2011

[2] Daniele Ganser „Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren“, Zürich 2016

[3] Jürgen Todenhofer „Volk gegen Volk“ in: Süddeutsche Zeitung, 3.9.2012

[4] https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11902.htm

[5] Thierry Meyssan, „Before our very Eyes. Fake Wars and Big Lies. From 9/11 to Donald Trump“, ProgRessive 2019

[6] https://www.freitag.de/autoren/gela/eine-philippika-von-saif-al-islam-gaddafi

[7] https://humanrightsinvestigations.org/2012/11/14/amnesty-international-and-the-human-rights-industry/ RAPE CLAIMS

[8] Liz Sly: Many Libyans appear to back Gaddafi, Washington Post, 24. März 2011

[9] www.thedailybeast.com/articles/2012/09/12/remembering-libyan-ambassador-christopher-stevens.html

[10]https://www.freitag.de/autoren/gela/libyen-innenansichten-aus-dem-widerstand

[11] Wikipedia „Mustafa abd al-Dschalil“

[12] https://www.pambazuka.org/human-security/lies-behind-wests-war-libya

[13] Daniele Ganser „Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren“, 2016

[14] https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11902.htm

[15] Alison Pargeter - Spezialistin für Libyen am Royal United Services Institut

[16] http://edition.cnn.com/2011/WORLD/africa/03/21/libya.civil.war/index.html?hpt=T1&iref=BN1

[17] HC Deb, 21 March 2011, col. 703 [Commons Chamber]

[18] http://www.bbc.com/news/world-africa-13090646

[19] Lord Richards – ehemaliger Chef des Verteidigungsstabs (GB)

[20] https://vivalibya.wordpress.com/2017/11/03/khaled-k-al-hamedi-prosecuting-nato-for-war-crimes-in-libya/

[21] Ulrich Kienzle „Tödler Naher Osten: Eine Orientierung für das arabische Chaos“, 2017

[22] Vijay Prashad in: https://www.counterpunch.org/2020/01/31/the-war-in-libya-will-never-end/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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