Absurdität des gesellschaftlichen Diskurses

Rezension. Alexander Schimmelbusch nimmt in seinem neuen Roman „Hochdeutschland“ den gesellschaftlichen Diskurs auf die Schippe und stiftet damit heillose Verwirrung.

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Der Held des Romans heißt Victor und ist schwerreicher Banker, der für ein Fläschchen Rotwein ohne mit der Wimper zu zucken schon mal ein paar tausend Euro hinlegt, und weil er so gut schmeckt, ein zweites Fläschchen nachbestellt. Daneben schreibt er an einem Buch, pflegt emotionale Bindungen nur zu seiner bei seiner Ex wohnenden Tochter und lebt ansonsten in seinem Bankensilberturm sein mit Dekadenz angefülltes Leben.

Er ist als Teilhaber einer Investmentbank zuständig für das Heranschaffen von Mandaten. Doch der Bank, die sich auf die Abwicklung von staatlichem Eigentum in private Hand spezialisiert hat, gehen langsam die Projekte aus. Da kommt Victor die geniale Idee, den Flow umzudrehen und gewinnt den bundesdeutschen Finanzminister für den Rückkauf eines deutschen Pumpspeicherwerks von einem US-amerikanischen Investor. Der Staat als der bessere Unternehmer und die Bank verdient wiederum an dem Geschäft.

Victor reflektiert über sein Handeln, zerlegt jeden Menschen wie auch die Politik unter seinem seziermesserscharfen Verstand und als er unversehens auf die bundesrepublikanische Wirklichkeit in Form der Menschen in einer großstädtischen Einkaufsstraße trifft, wird ihm klar, dass all diese Menschen „auf einer völlig anderen Wahrnehmungsebene“ als er selbst existieren. Dies führt ihn zu dem Schluss, dass ein radikales Projekt vonnöten sei, um das deutsche Volk wieder zu einen.

Er verfasst eine Art politisches Strategiepapier, in dem er linke, rechte und selbstkreierte Versatzstücke munter durcheinander wirbelt. Unter anderen soll das Vermögen auf 25 Millionen beschränkt bleiben, alles Vermögen darüber an eine German Investment Authority abgeführt werden.

Sein ebenfalls in schwindelnde Unternehmerhöhen aufgestiegener Freund Ali Osman aus Kreuzberg ist von dem Papier begeistert, kündigt seine Mitgliedschaft bei den Grünen, „der deutschesten aller deutschen Parteien“, gründet eine neue Partei namens Deutschland AG und zieht in den Wahlkampf.

Dieser Partei ist der Durchmarsch gewiss und Victor wird zum Vorsitzenden der German Investment Authority und zum Feind der Porsche Armee Fraktion PAF, die sich auf ihr Recht zum „Bau einer individualisierten Superjacht“ beruft, „um ihre Persönlichkeit darstellen zu können“.

Das Werk kommt in einer Inszenierung von Christopher Rüping im Mai 2019 auf die Bühne der Münchner Kammerspiele. Rüping sagte in einem Interview, dass „Hochdeutschland“ gerade wegen seiner „Doppelbeleuchtung“ des Protagonisten so aufregend sei, „Banker und Prophet, Finanzhai und Sozialreformer“. Einem zeitgenössischen Roman sei es gelungen, ihn in eine Grauzone zu führen, in der „er sich selbst abhanden“ gekommen“ sei: „Ich wusste bei manchen der seitenlangen Auslassungen nicht mehr, ob ich das inhaltlich gut finden oder ablehnen soll. Ablehnen muss. Zustimmen darf.“1

So verwirrend können ein Roman und die bundesrepublikanische Politik sein.

"Hochdeutschland", von Alexander Schimmelbusch, Roman, Tropen 2018

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1 Programmheft Münchner Kammerspiele Spielzeit 2018/19

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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