Bengasi im Ramadan: Auferstanden aus Ruinen

Libyen/Bengasi. In SpecialeLibia gibt Vanessa Tomassin ein Stimmungsbild der abendlichen Ramadan-Feiern in Bengasi.

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Bei einem Spaziergang durch die Überreste der alte Medina von Bengasis sieht die Autorin in einem erleuchteten Fenster den Geist des libyschen Volkes und seiner Widerstandsfähigkeit verkörpert. Der IS habe in Bengasi Schulen, Universitäten und Polizeiausbildungszentren zerstört, doch sei sein Versuch, sich als staatliche Autorität zu etablieren am Mut der Stadtbewohner und insbesondere der Soldaten der libyschen Nationalarmee unter Führung von Marschall Khalifa Haftar gescheitert, jenem Hafter, der heute dafür kämpfe, auch die Hauptstadt Tripolis von Terroristen und Milizen zu befreien. "Die von extremistischen Gruppen in Bengasi verursachten Trümmerhaufen und Metallteile, die einsturzbedrohten Gebäude und die durch Explosionen und Mörsergranaten eingestürzte Wände halten bei der Bevölkerung die Angst vor dem Terrorismus wach." Die Terroristen seien laut den Berichten der Einheimischen aus Syrien, dem Irak, Pakistan und dem Sudan, aus Ägypten, Tunesien, der Türkei und Katar gekommen. "An diesem Ort geschah am 11. September 2012 der Angriff auf das diplomatische Hauptquartier der USA, bei der US-Botschafter Chris Stevens zusammen mit einem Agenten und zwei Marinesoldaten ums Leben kam. Das Konsulat ist seitdem geschlossen, die Straße wird gesichert."

"Extremisten kontrollierten bis zur Flucht der Terroristengruppe Wilayat Barqganze im Januar 2017 und der Flucht des Schura-Rats im Mai 2017 ganze Stadtteile wie Suq Al-Hout, das Fischmarktviertel und al-Sabri, die völlig zerstört zurückblieben. Der Terror verschonte auch nicht das italienische Konsulat, von dessen Hauptquartier nur noch wenige Mauern stehen. Am 12. Januar 2013 wurde der Wagen des italienischen Generalkonsuls Guido De Sanctis beschossen. Der Diplomat blieb zwar unverletzt, aber Italien zog seine Mitarbeiter zurück. Die Menschen der Kyrenaika warten immer noch auf seine Rückkehr, die sich, wahrscheinlich durch die Ereignisse in Tripolis, verzögert."

In Bengasi würden die Menschen nicht daran zweifeln, dass die Armee ihren Brüdern und Schwestern in Tripolis das Leben zurückbringen werde. Es sei völlig undenkbar, sie in der Geiselhaft von Milizen, Kriminellen und Terroristen zu lassen. In Bengasi sei es vielen Dschihadisten gelungen zu fliehen. [...]

Bengasi habe den Krieg gegen den Terror gewonnen und die Menschen kehrten zu einem neuen Leben zurück und schmiedeten Zukunftspläne. Im heiligen Monat Ramadan seien die Tage ruhig, erst abends zum Fastenbrechen erwache das Leben. Gegen vier Uhr nachmittags öffneten die Verkaufsstände. Frisches Brot, Spielzeug und Süßigkeiten würden verkauft. Noch vor Sonnenuntergang strömten Familien auf die Straße. Man könne winzige Kugeln in fünf verschiedenen Farben kaufen, die sich in einer mit Wasser gefüllten Schüssel zu voller Größe ausdehnen. "Die Menschen scheinen glücklich zu sein und sich sicher zu fühlen. Von einer angsteinflößenden Militärdiktatur, von der so viel die Rede ist, sei nichts zu spüren. Höfliche Beamte regeln den Verkehr, Polizei ist vor Ort, aber anders als in Tripolis, nicht so aufdringlich, wo die Milizen manchmal eher wie Zivilisten wirken." Ein anderer Unterschied zu Tripolis: Der Dialekt habe eine andere Musikalität. Die Autokennzeichen in Bengasi seien überregional. Viele Menschen seien in der Stadt gastfreundlich aufgenommen worden. Sie stammten aus Bani Walid, Tripolis, Misrata, sogar aus dem Süden, aus der Stadt Mursuk. Die Küstenstraße zum Flughafen säumten riesige Plakate, die den Märtyrern der libyschen Armee für die wiedererlangte Freiheit danken.

"Nach dem Fastenbrechen sind die Kinder mit den Eltern unterwegs zu den Spielplätzen. Zwischen den bunten Lampen galoppiert ein sehr junger Jockey, auf einem Mini-Pony, begleitet von seinem Reitlehrer. Mädchen sitzen auf einer Bank und unterhalten sich. Die Geschäfte sind bis spät in die Nacht geöffnet, Juweliere, berühmte Label- und Prêt-à-Porter-Boutiquen, aber auch Autohäuser. Jugendliche plaudern, einige sitzen in Cafés und schauen Fernsehen, andere schlängeln sich mit ihren Fahrrädern und Gokarts durch den Verkehr. Aus einem heruntergelassenen Autofenster lächelt uns jemand zu, so als ob er uns erkannt hätte und uns begrüßen wolle. In den Konditoreien haben wir die Wahl der Qual bei all den bunten , verführerischen Süßigkeiten: Kuchen, Erdbeeren, Pistazien, Joghurt und Schokolade. Bengasi feiert seine Auferstehung, das Leben hat über die dunkle Vergangenheit gesiegt. Einige Hotels wurden bereits renoviert, an anderen wird noch gearbeitet, ebenso wie an den Läden der Medina. So viel muss noch aufgebaut werden, doch die wichtigste Voraussetzung dafür ist gegeben: die Hoffnung auf und der Wunsch nach einer Zukunft. Das ist der Motor für eine Wohlstands-Revolution, an der ganz Libyen beteiligt sein wird."

https://specialelibia.it/2019/05/15/la-resurrezione-di-bengasi-dalle-macerie-alla-vita-festosa-delle-sere-di-ramadan/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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