Bericht über die Libyen-Intervention von 2011

London. Der Bericht des Auswärtigen Ausschusses des britischen Parlaments über die Versäumnisse Camerons im Libyen-Krieg 2011 ist ein Ausbund an Heuchelei.

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Natürlich wussten alle Geheimdienste und politischen Berater, was für verheerende Folgen der Sturz der Dschamahirija-Regierung und die Ermordung Muammar al-Gaddafis für Libyen und seine Bevölkerung haben würden. Natürlich hatte auch der damalige britische Premier Cameron wie alle anderen maßgeblich beteiligten westlichen Politiker die Fakten auf dem Tisch. Natürlich nahmen sie die Konsequenzen, unter denen die Libyer noch heute so schrecklich leiden, billigend für den Regime-change in Kauf. Natürlich wollten sie damals um jeden Preis die libyschen Ressourcen unter ihre Kontrolle bekommen.

Inhaltlich sagt der Bericht nichts Neues, die Fakten sind hinlänglich bekannt.[1] Neu ist allein die Tatsache, dass dieser Bericht jetzt von einer offiziellen britischen Stelle einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

In dem Bericht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Crispin Blunt[2], heißt es, die britische Politik hätte 2011 auf einer inadäquaten Aufklärung und einem Mangel an Verständnis für Libyen basiert. Kritik wurde auch am Auftreten der UN-Sondermission für Libyen geübt. So wurde gefragt, ob sie die richtige Institution wäre, um Stabilität und Wiederaufbau in dem von Krisen geschüttelten Land zu bewerkstelligen. Es soll – angestoßen durch das britische Außenministerium – auf internationaler Ebene nach neuen und effektiveren Wegen gesucht werden. Dies sei auch im Hinblick auf ähnliche Aufgaben in Syrien, Jemen oder Irak nötig. [Nach dem Motto: „Wie installieren wir eine Marionetten-Regierung des Westens?“]

Insbesondere hätte die britische Libyen-Politik unter einem Mangel an Wissen über die Stammesbeziehungen und deren Einflüsse gelitten. Ebenso sei der Einfluss von Islamisten bei den Revolutionären und deren Missbrauch der Revolution zur Machtübernahme nicht klar gewesen.

In erster Linie wurde Frankreich die Schuld an der gesamten Misere zugeschoben.

Der Bericht stellt klar, dass Gaddafi und seine Kräfte im März 2011 in Bengasi keine Massaker ausgeführt haben, so wie es Frankreich behauptet und die ganze Welt wahrgenommen hat. Für die behaupteten Massaker unter Zivilisten in den Städten und Ortschaften, die auf der Straße nach Bengasi liegen, „wurden keine glaubhaften Beweise gefunden“. Die Gaddafi-Einheiten hätten auch keine Vergeltung an Zivilisten geübt und es hätten in Adschdabija keine Massaker stattgefunden, als die Armee die Stadt durchquerte. Alles sei „grotesk übertrieben“ worden.

Der Bericht schlussfolgert, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass die britische Regierung eine gewissenhafte Analyse der Rebellion in Libyen vorgenommen hat. Unerbittlichen sei man vom Schutz der Bevölkerung in Bengasi zur Beseitigung von Gaddafi zum Regime-change übergegangen. Es hätte nach den ersten Bombenangriffen auf die libysche Armee und deren Rückzug aus Bengasi eine Feuerpause geben müssen, innerhalb derer man nach politischen Lösungen hätte suchen sollen. Ein Dialog mit Gaddafi oder seinem Sohn Seif al-Islam wäre möglich gewesen, wurde aber von den Franzosen abgelehnt.

Weiter wird der damaligen britischen Regierung unter David Cameron vorgeworfen, die innerhalb einer Dekade erreichten Fortschritte hinsichtlich der Kooperation mit Gaddafi im Kampf gegen islamistische Extremisten, der verbesserten britisch-libyschen Beziehungen, der Vernichtung von Massenvernichtungswaffen, der Zusammenarbeit beim Umgang mit Migration aus Nordafrika und geschäftlicher Möglichkeiten bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufgegeben zu haben.

Der Bericht beschuldigt auch die USA und insbesondere Barak Obama, für die Ausweitung der UN-Resolution 1973 verantwortlich gewesen zu sein. Zusätzlich zur Verhängung einer Flugverbotszone sei der Zusatz der Autorisierung „aller nötigen Maßnahmen, um die Bevölkerung zu schützen“ aufgenommen worden. Dies hätte zu einer ‚Fahrverbotszone‘ und zu der Berechtigung geführt, das gesamte libysche Regierungs- und Kommunikationsnetzwerk anzugreifen.

Die westliche Politik hätte bis heute mangels Verständnis für die Besonderheiten des Landes darin versagt, Instabilität und Rivalitäten im Land zu beseitigen. Crispin Blunt schreibt: „Das Resultat war ein politischer und wirtschaftlicher Kollaps, Kriege zwischen Milizen und Stämmen, humanitäre und Migrationskrisen, massenhafte Menschenrechtsverletzungen, die Verbreitung von Waffen in der ganzen Region und die Ausbreitung des IS in Nordafrika.“

Auch an der UN und der UN-Mission für Libyen wird harte Kritik geübt. Allerdings wird die Unterstützung der ‚Libyschen Politischen Übereinkunft‘ [Abkommen von Skhirat] und der ‚Einheitsregierung‘ weiterhin für richtig befunden, „um die politische Zersplitterung, ausufernde Gewalt, den wirtschaftlichen Kollaps und noch mehr menschliches Leiden“ zu verhindern.

Der Bericht erblödet sich nicht, nach wie vor die westliche Intervention mit der „Unberechenbarkeit“ Gaddafis zu rechtfertigen. Alles, was ihm fälschlicher Weise vorgeworfen worden war, sei ihm ja auch zuzutrauen gewesen. [Aber wohl nur, wenn man die jahrelange westliche Anti-Gaddafi-Propaganda für wahre Münze gehalten hat.] Und an dem jetzigen Chaos in Libyen sei auch nicht der NATO-Krieg schuld, sondern natürlich Gaddafis „vierzigjährige schlechte Herrschaft“.

Im Prinzip sagt der Bericht aus: „Wir haben Libyen überhaupt nicht verstanden und deshalb alles falsch gemacht. Und jetzt machen wir genau so weiter!“ Den Briten fällt nichts weiter ein, als die alten Fehler fortzuschreiben und weiterhin eine vom Westen eingesetzte, nicht legitimierte Marionetten-‚Einheitsregierung‘ zu unterstützen, die das ganze libysche Schlamassel weiter vergrößert. Echte Alternativen hierzu würden nämlich einen Verlust an Einfluss in Libyen bedeuten. Und diesen Einfluss zu wahren und auszubauen, hat bei den Westmächten immer noch erste Priorität


[1] Siehe auch: www.freitag.de/autoren/gela/lehren-aus-libyen-wie-man-nicht-interveniert

[2] www.publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/119.pdf
www.libyaherald.com/2016/09/14/uk-parliament-slates-british-and-french-intervention-in-2011-questions-uns-performance-in-stabilising-libya-but-supports-gna/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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