Berlin-II-Konferenz

Libyen/Berlin. Auf der Zweiten Berliner Libyen-Konferenz wurden viele wohlfeile Forderungen erhoben, wie deren Umsetzung erfolgen könnte, bleibt offen.

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Die gesamte Konferenz war eine Nummer kleiner aufgezogen als die Vorgängerkonferenz Berlin I von Mitte Januar 2020. So waren die Staaten nicht durch ihre Staatschefs, sondern durch hochrangige Regierungsmitglieder vertreten. Neben dem Gastgeber Deutschland, vertreten durch Außenminister Heiko Maas, waren Regierungsvertreter aus Algerien, China, dem Kongo, Ägypten, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Russland, der Schweiz, Tunesien, der Türkei, den VAE, Großbritannien, den USA und Vertreter der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union, der EU und der Arabischen Liga anwesend.

Griechenland hatte gegen seine Nichteinladung erfolglos protestiert, werden doch seine Interessen im östlichen Mittelmeer durch ein höchst zweifelhaftes Seegrenzenabkommen, das die Türkei mit der Vorgänger-‚Einheitsregierung‘ ohne Zustimmung des libyschen Parlaments und ohne das Vorhandensein tatsächlicher Seegrenzen zwischen Libyen und der Türkei, getroffen hatte, empfindlich verletzt. Diese Ausgrenzung Griechenlands dürfte Deutschland der Türkei zuliebe, mit der nicht nur wirtschaftliche und politische, sondern auch historische Bande bestehen, beschlossen haben.

Libyen wurde durch seinen Übergangspremierminister Abdelhamid Dabaiba vertreten. Von dessen Treffen mit Maas kursiert in den sozialen Netzwerken ein peinliches Video: Als Dabaiba neben Maas Platz nimmt, fragt ihn dieser: „Where you come from?“ (Von wo kommen Sie?)[1]

Die Teilnehmer der Berlin-II-Konferenz haben ein 58-Punkte-Papier[2] verabschiedet, in dem unter anderen der „unverzügliche Abzug aller ausländischen Streitkräfte und Söldner“ aus Libyen gefordert wird. Bei diesem Punkt hat die Türkei bereits einen Vorbehalt in das Abschlusspapier einfügen lassen: „Turkey introduced a reservation“ (die Türkei meldet einen Vorbehalt an).[3]

Die Türkei beansprucht für sich eine Sonderrolle in Libyen, da sie mit der damaligen ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch ein Abkommen zur militärischen Unterstützung getroffen hatte. Allerdings wurde dieses Abkommen nie wie vorgeschrieben vom Parlament ratifiziert und wird somit als ungültig betrachtet. Dieser Ansicht schloss sich ehemals auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages an.[4] Die Türkei sieht sich in Libyen nicht als „fremde Streitmacht“, während sie von der libyschen Bevölkerung als Besatzungsmacht wahrgenommen wird, die sich auch gegenüber den Libyern so benimmt. Daneben unterhält die Türkei zwei Militärbasen im westlichen Libyen (Misrata und al-Watija), die sie weiter ausbaut, und sie hat etwa 10.000 syrische Söldner ins Land gebracht.

In der Abschlusserklärung von Berllin-II werden wohlfeile Forderungen erhoben wie der Aufbau von Sicherheits-, Polizei- und Militärkräften, die unter einer einheitlichen zivilen Autorität gestellt sind, sowie die unverzügliche Demobilisierung und Entwaffnung der bewaffneten Milizen, die Vereinheitlichung der libyschen Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und eine gerechte Verteilung der Öleinnahmen. Fehlen durfte auch nicht die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte sowie die Einbeziehung von Frauen und Jugendlichen in den politischen Prozess.

Fordern kann man bekanntlich viel, doch wie diese Forderungen in der Praxis umzusetzen sind – man denke an die tausende noch immer widerrechtlich festgesetzten Gefangenen oder die katastrophalen Zustände in den Migrantenlagern – darüber gibt dieses Papier keinen Aufschluss, ebenso wenig zu zeitlichen Vorgaben – mit Ausnahme der Vorbereitung zur Abhaltung von Wahlen zum 24. Dezember 2021.

In dem Abschlusspapier lobt man die „signifikanten Verbesserungen“, die sich angeblich in Libyen seit der ersten Berliner Libyenkonferenz ergeben haben. So sei ein Waffenstillstand vereinbart und eine Übergangsregierung gebildet worden. Nicht erwähnt wird, dass es zwischenzeitlich der Libyschen Nationalarmee fast gelungen wäre, Libyen komplett einzunehmen und der Untergang der westlichen Milizen nur durch das massive Eingreifen des türkischen Militärs verhindert wurde. Erst im Anschluss daran kam es zu einem Waffenstillstand. Dem Parlament und der LNA wurden für deren Zustimmung zum Waffenstillstand Wahlen noch in diesem Jahr zugesagt.

So trat am 23. Oktober 2020 trat ein Waffenstillstandsabkommen in Kraft, das den Abzug aller ausländischer Söldner und Kämpfer aus Libyen innerhalb der nächsten neunzig Tage – also bis zum 23. Januar 2021 – vorsah. Tatsächlich wurde diese Abmachung komplett ignoriert und die Frist verstrich ungenutzt. Der Stillstand besteht fort.

Hierzu sei angemerkt, dass das türkische Parlament einen Truppeneinsatz in Libyen bereits am 2. Januar 2020 genehmigt hatte, eine Waffenruhe zwischen der Libyschen Nationalarmee (LNA) und den Milizen der Sarradsch-‚Einheitsregierung‘, anschließend am 14. Januar 2020 in Moskau in Anwesenheit des LNA-Befehlshaber Khalifa Haftar, des Parlamentspräsidenten Aguila Saleh und des damaligen Premierministers Sarradsch vereinbart wurde.

Die Berlin-I-Konferenz fand erst anschließend am 19. Januar 2020 statt und obwohl sich alle Teilnehmer zum Waffenembargo bekannten, waren zum Zeitpunkt der Konferenz bereits Schiffe aus der Türkei mit Waffen nach Libyen unterwegs und bereits Ende Januar 2020 kreuzten türkische Kriegsschiffe vor Tripolis.

Immer wieder bleibt zu kritisieren, dass in den westlichen Medien die Gleichsetzung der Libyschen Nationalarmee (LNA) im östlichen Libyen mit den Milizen der GNU-Regierung im westlichen Libyen erfolgt. Es muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass ein demokratisch gewähltes und international anerkanntes Parlament Khalifa Haftar beauftragte, eine libysche Armee aufzustellen, um das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen. Es beauftragte Haftar und die LNA auch, gegen Milizen und radikal-islamistische Kräfte in Libyen vorzugehen. Zwischenzeitlich ist die LNA zu einer disziplinierten militärischen Kraft angewachsen, die einem Oberbefehl untersteht und ihre Schlagkraft durch eine kürzlich abgehaltene Militärparade unter Beweis stellte. Im Gegensatz dazu ist es den politischen Kräften im westlichen Libyen bisher nicht gelungen, den Milizen, die sich immer wieder auch gegenseitig bekriegen, eine geordnete Struktur zu geben. Ganz im Gegenteil beherrschen sie immer noch die Politik durch Erpressung und Gewaltdemonstrationen. Um ihren Machtbereich aufrechtzuerhalten, sind sie an keiner Vereinheitlichung des libyschen Militärs und dem Aufbau eines Staates mit dessen Gewaltmonopol interessiert.

Eine besondere Rolle spielt beim sogenannten „Friedensprozess“ die 5+5-Militärkommission, die sich aus je fünf hohen Militärs der verfeindeten Lager zusammensetzt und die im Februar 2020 ihre Arbeit aufnahm. Sie soll die Abmachungen des Waffenstillstandsabkommens aushandeln und in die Praxis umsetzen. Zwar kam es vereinzelt zu Gefangenenaustausch, beim Abzug der Söldner und ausländischen Militärs gehen die Fortschritte dagegen gegen null. Im ganzen Land tummeln sich ausländisches Militär, Söldner und Milizen. Und auch das neue Abschlussdokument setzt keine Fristen und sieht keinen Abzugsplan vor.

Die 5+5-Militärkommission sollte auch die Öffnung der Küstenstraße, die das östliche und westliche Libyen verbindet, vorantreiben. Nachdem keine wirklichen Fortschritte zu verzeichnen waren, stellte sich der libysche Premierminister Dabaiba drei Tage vor Beginn der Berlin-II-Konferenz medienwirksam auf ein Räumgerät, das Sandbarrieren von der Straße schob und verkündete die Öffnung der Küstenstraße. Nur zu dumm, dass bereits am nächsten Tag bekannt wurde, dass es sich dabei um ein Abkommen zwischen Dabaiba und einem örtlichen Militärkommandanten gehandelt hatte, der sich die PR-Aktion teuer bezahlen ließ. Unverzüglich verkündete die 5+5-Militärkommission, die Öffnung der Küstenstraße, an der noch gearbeitet werde, liege in ihrer Zuständigkeit und nicht in der von Dabaiba. Und die LNA berief sich darauf, dass die Straße erst gesichert und sichergestellt werden müsse, dass keine dschihadistischen Kämpfer aus dem Westen damit wieder freien Zugang in den östlichen Landesteil hätten. Daran will die 5+5-Militärkommission nun zügig arbeiten.

Ein Punkt wird von allen ausländischen und den meisten innerlibyschen Akteuren gebetsmühlenartig wiederholt: Es soll am 24. Dezember gewählt werden. Doch schon darüber, was genau gewählt werden soll, gehen die Meinungen auseinander. Während ein Großteil nicht nur Parlamentswahlen fordert, sondern auch direkte Präsidialwahlen, spricht sich die Moslembruderschaft gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten aus. Ein weiterer unklarer Punkt ist die Verfassung. Es gibt einen Verfassungsentwurf und eine provisorische Verfassung, mit der schon 2014 Wahlen abgehalten wurden. Die libyschen Parteien, die der Moslembruderschaft und der Türkei nahestehen, verlangen nun, dass vor der Abhaltung von Wahlen ein Referendum über den Verfassungsentwurf stattfinden müsse und dass erst mit einer gültigen Verfassung gewählt werden könne. Dies würde eine Verschiebung von Wahlen auf unbestimmte Zeit bedeuten, ganz im Sinne dieser Kräfte, die bei Wahlen chancenlos wären. Sie hätten viel zu verlieren, z.B. die Kontrolle über den libyschen Finanzsektor, den sich die Moslembrüder unter den Nagel gerissen haben.

Das Parlament und die LNA werden es nicht dulden, dass die Türkei weiterhin Militärstützpunkte im Land unterhält und Teile Westlibyens besetzt. Unterstützt werden sie nicht nur von Ägypten, das eine Herrschaft der Moslembrüder in Libyen fürchtet, sondern auch arabische Länder wie die VAE und Saudi-Arabien befürchten eine Vorherrschaft der Türkei und Katars bzw. der Moslembruderschaft in der Region.

Und nicht zuletzt bleibt die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass auch der Wahlverlierer das Wahlergebnis anerkennen wird. Der Parlamentsabgeordnete Adbelsalam Nasia meint zum Ergebnis von Berlin-II: „Heute ist den Libyern klarer geworden, dass niemand den Staat wiederherstellen will, außer den Libyern selbst.“[5]

[1] https://twitter.com/LibyaReview/status/1407631278552256516
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/en/newsroom/news/berlin-2-conclusions/2467750
[3] https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1407791160526053379/photo/1
[4] https://www.freitag.de/autoren/gela/libyen-tuerkei-abkommen-nicht-rechtmaessig
[5] https://www.libyaherald.com/2021/06/24/initial-critique-of-berlin-2-outcomes-no-specific-implementation-mechanisms-for-troop-withdrawal-constitutional-basis-reunification-of-security-forces/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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