„Ein Wunder“ (Il Miracolo)

Fernsehen. Serie in 8 Folgen von Niccolò Ammaniti auf ARTE. Sendetermin der ersten drei Folgen war der 10.1.2019 – alle Folgen auf ARTE-Mediathek abrufbar.

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Eine kleine Plastikmadonna weint Blut. Der Tränenstrom ist nicht zu stoppen. Der italienische Geheimdienst stellt die blutende Madonna in das Schwimmbecken einer aufgelassenen Schwimmhalle und fängt die Mengen von Blut in Plastikbehältern auf. Die Naturgesetze sind außer Kraft gesetzt. Es ist ein Wunder, ein wahrhaftiges und unerklärliches Wunder. Wie mit dem Wunder umgehen? Geheimdienst, Wissenschaft und Polizei stehen vor Aufgaben, deren Lösungsversuche einiges durcheinander wirbeln.

Dabei spielen Rache fordernde Mafiosi, um ihr Amt bangende Politiker und gefallene Priester ebenso eine Rolle, wie ein suchender Geheimdienstchef, eine alkoholabhängige Ehefrau, ein polnisches Kindermädchen, eine Grenzen überschreitende Wissenschaftlerin – im Film alle grandios besetzt.

Die in Rom und Kalabrien spielende Geschichte versetzt den Zuschauer immer wieder in Spannungszustände. Er weiß, es wird etwas passieren. Es ist aber nie das Erwartete, sondern die Geschehnisse nehmen unvorhersehbare Wendungen, ganz wie im richtigen Leben. Verwirrend auch die in die Handlung eingeflochtenen, surrealistischen und grotesken Sequenzen, Traumbilder, nicht immer sofort als solche erkenntlich.

In dieser Serie geht es um nichts weniger als um Glaube, Liebe, Hoffnung. Um Verbrechen, Leidenschaft, Eifersucht. Um Kirche, Politik, Mafia. Um Gewalt, Macht, Unschuld. Um Grausamkeit und Rachsucht. Die Sünde ist menschlich und göttlich zugleich.

Eine weinende Madonna, deren Tränen blutig sind – im südlichen Italien passieren solche Dinge, hier, wo Katholizismus, Aberglaube und vorchristliche Magie zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen, hier, wo fliegende Priester, ein wundertätiger Pater Pio und unerklärliche Lichterscheinungen zum Alltag der Menschen gehören.

Die beschützende, tröstende, verstehende und verzeihende Madonna, die Mutter Gottes, die Mamma!, deren Himmelfahrt am 15. August gefeiert wird. Dieser Feiertag hat einen bedeutenderen Stellenwert im Leben der Italiener als Weihnachten und Ostern. Der patriarchalischen Gesellschaft aus Kirche, Politik und Mafia gelingt es nicht, das weibliche Relikt aus matriarchalischen Tagen aus dem Leben zu verbannen. Es fordert immer wieder seine Opfer, Blutopfer, unschuldige Opfer.

Diese Geschichte wird bildgewaltig und mit großartigen Dialogen erzählt. Wie heißt es in der Filmbeschreibung: Die Serie sei „ambitioniert und mutig“. Sie ist mehr als das. Sie ist – nicht zuletzt auf Grund der genialen Auflösung – ein Film, der ein neues Genre begründen könnte, so wie das einst dem Italo-Western gelang, und das sich schon in Filmen wie Ammore e Malavita (Liebe und Verbrechen; R: Antonio und Marco Manetti, 2017) andeutete.

Der Drehbuchautor und Regisseur dieser Serie heißt Niccolò Ammaniti. Von ihm stammt auch das ergreifende und von Gabriele Salvatore verfilmte Buch Io non ho paura (‚Ich habe keine Angst‘). Ein Schriftsteller, der schon in diesem Buch zeigte, wie tief er in das Innere der italienischen Gesellschaft und seiner Menschen einzudringen weiß.

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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