Der EU-Gipfel, die Türkei und die Flüchtlinge

EU/Libyen/Türkei Auf dem EU-Gipfel auf Malta wird ein völlig realitätsferner Zehn-Punkte-Plan zur Eindämmung des Migrationsproblems verabschiedet. Welche Rolle spielt dabei die Türkei?

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Der Zehn-Punkte-Plan enthält so lächerliche Vorgaben wie „Ausbau von Informationskampagnen, die über die Gefahren der illegalen Migration aufklären“. Wie wenn nicht jeder Schwarzafrikaner, der sich durch die Sahara nach Libyen aufmacht und dort in die seeuntüchtigen Schlauchboote steigt, wüsste, welchen Risiken für Leib und Leben er sich aussetzt.

Doch was plant die EU noch? Es soll die kriminelle Küstenwache[1] von Libyen gestärkt werden. Daneben soll in dem Land, in dem selbst die einheimische Bevölkerung seit dem NATO-Krieg von 2011 unter dem Terror von Milizen und katastrophalen Lebensbedingungen leidet, „sichere und angemessene Aufnahmeeinrichtungen“ für Flüchtlinge entstehen, sowie in völlig unübersichtlichen transsaharischen Grenzgebieten eine bessere Grenzkontrolle stattfinden.[2]

Der beschlossene Punktekatalog dient wohl eher zur Beruhigung der europäischen Bevölkerung, als dass er irgendetwas an der konkreten Situation ändern könnte, weder an der dramatisch schlechten Behandlung der subsaharischen Flüchtlinge in den libyschen Gefangenenlagern, noch daran, dass in diesem Jahr mindestens genauso viele Schwarzafrikaner die maltesische oder italienische Küste erreichen werden wie im letzten Jahr. Es waren 2016 über 180.000 Flüchtlinge aus Libyen, die nach Europa kamen. Offiziell starben bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, 5000 Menschen, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Wahlen in Italien

In Italien könnte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen. Der von der EU gehätschelte Renzi steht in Warteposition. Er musste nach dem verlorenen EU-Referendum, bei dem die Italiener seine Verfassungs- und Wahlrechts’reformen‘ ablehnten, zurücktreten. Seitdem ist Gentiloni sein Platzhalter als Ministerpräsident. Renzi kann die nächsten Wahlen nicht gewinnen, wenn es ihm nicht gelingt, die Migration aus Schwarzafrika nach Italien zu stoppen. Er braucht Erfolge. Nach Umfragen ist im Moment Peppe Grillos Partei Movimento 5 Stelle an erster Stelle. Stark ist ebenfalls die rechte Lega Nord. Und zwar nicht, weil die Italiener Rassisten sind, sondern weil die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Beispiel in Süditalien noch prekärer sind als in Griechenland. Der Unmut ist groß, denn die Migranten bekommen Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld, während die Italiener keine Sozialhilfe beziehen können. Und die Migranten arbeiten für wenig Geld auf den Feldern und anderswo, zu einem Lohn, von dem ein Italiener niemals leben könnte. Und jeder Italiener weiß, dass der Strom der Armen aus Schwarzafrika niemals abreißen wird, weil dort die Armut viel zu groß und die Chancen für eine menschenwürdige Zukunft viel zu gering für die große Mehrheit der Menschen sind. Einzig eine neue Afrikapolitik, die den Kontinent nicht nur ausbeutet, sondern den Menschen eine Perspektive gibt, könnte die Afrikaner zum Bleiben in ihrer Heimat bewegen.

Libysche Verhältnisse

Um die Migration über das Mittelmeer vorab zu stoppen, braucht es wieder geordnete Verhältnisse in Libyen, die aber ganz bestimmt nicht eine vom Westen gesteuerte und somit allein ihren Interessen dienende, machtlose ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis herstellen kann. Es muss in der Libyenpolitik ein kompletter Politikwechsel her, der die Übergangsregierung in Baida als die durch das demokratisch gewählte Parlament von Tobruk bestimmte, einzige legale Vertretung Libyens anerkennt, ebenso wie die Libysche Nationalarmee und die mit ihr verbündeten militärischen Kräfte als die allein legitimierte Armee.

Das Geklüngel des Westens mit al-Kaida, Moslembrüdern, LIFG (Libyan Islamic Fighting Group) und all den anderen Dschihadisten und Radikal-Islamisten, die sich in Libyen, speziell in Tripolis ein Stelldichein geben, muss beendet werden. Nur ein geeintes und zugleich souveränes Libyen, dessen Politik nicht von fremden Interessen gelenkt wird, kann ein ernstzunehmender Gesprächspartner, auch in der Migrationsfrage sein.

Die Politik der Türkei

Stellt sich hier die Türkei quer? Erdogan ist der Pate all der islamistischen Kräfte, die den Staat Libyen zerstört haben. Er hat neben Italien pro forma vor ein paar Tagen wieder die Botschaft in Tripolis eröffnet. Er pflegte über die ganzen Jahre den Kontakt mit der libyschen Küstenstadt Misrata, über deren Hafen und Flughafen Hilfsgüter für den radikal-islamistischen Libyan Dawn das Land erreichten, die an die radikal-islamistischen Terrorkämpfer, auch in Bengasi, weitergereicht wurden. Das türkische Konsulatin Misrata wurde zu keinem Zeitpunkt geschlossen.

Was ist noch schlimmer für die an der Macht befindlichen europäischen Politiker als die Schwarzafrikaner, die über Libyen nach Europa kommen? Es sind die vier Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei Zuflucht gesucht haben und die Erdogan vor der Weiterreise nach Europa hindert.

Merkel, Erdogan und die Flüchtlinge

Auch in Deutschland stehen dieses Jahr Wahlen an und man braucht kein großer Prophet zu sein um zu sagen, dass es das Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel wäre, wenn sich wiederum Millionen arabisch-stämmiger Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen würden.

War das der Grund des Staatsbesuchs der Angela Merkel in der Türkei vor wenigen Tagen? Hat sie ausgelotet, wie weit die EU in Libyen gehen kann, ohne Erdogan und seinen islamistischen Verbündeten zu sehr auf die Füße zu treten? Die syrischen Flüchtlinge in der Türkei – das Faustpfand Erdogans, um seine mit dem Obama-Clinton-Clan verabredete Nordafrika-Agenda nicht völlig scheitern zu lassen.


[1] Monitor-Sendung (19.01.): http://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-fluechtlingsdeal-mit-libyen-brutale-milizen-als-partner-europas-100.html

[2] ZDF heute vom 2.2.2017

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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