Ein Hubschrauberabsturz und viele Fragen

Libyen. Kämpfen ausländische Einsatzkräfte in Libyen auf der ‚falschen‘ Seite?

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Wie Libyaherald.com bereits am 17.7.2016 meldete, haben die dschihadistischen ‚Verteidigungsbrigaden von Bengasi‘ einen Hubschrauber der Libyschen Nationalarmee bei al-Maghrun (an der Küstenstraße des Golfs von Sirte, etwa 60 Kilometer südlich von Bengasi) abgeschossen. Die vierköpfige Besatzung fand dabei den Tod. Gerüchten zufolge sollten zwei der Besatzungsmitglieder Ausländer gewesen sein.[1]

Am 20.7. berichteten Der Spiegel und der österreichische Standard[2], dass der französische Regierungssprecher bestätigt habe, dass sogar drei der vier toten Besatzungsmitglieder Franzosen waren, nämlich Soldaten einer französischen Spezialeinheit. Er sagte dem Radiosender France Info: „Spezialkräfte sind dort, natürlich, um zu helfen und sicherzustellen, dass Frankreich überall im Kampf gegen Terroristen präsent ist.“ Dabei hatte noch im Februar der Sprecher der libyschen ‚Abu-Sita-Einheitsregierung‘ von Sarradsch die Anwesenheit französischer Spezialeinheiten und des Auslandsgeheimdienstes DGSE in Libyen dementiert: „Das ist nicht wahr. Wir dementieren diese Berichte. Die international anerkannte Regierung hat und wird ausländischen Truppen nicht erlauben, nach Libyen zu kommen.“

Überraschend bei diesen Berichten ist nicht, dass ausländische Sondereinheiten in Libyen im Einsatz sind. Dies wurde schon oft dokumentiert, nicht zuletzt auf diesem Blog. Überraschend ist viel mehr, dass dies nun einer breiten westlichen Öffentlichkeit bekanntgemacht wird, am 21. Juli sogar morgens über die Tagesschau der ARD. In der Regel wird von den Medien über die tatsächlichen Vorgänge in Libyen der Mantel des Schweigens gebreitet. Welches Kalkül steckt dahinter?

Die zweite und noch größere Überraschung bei dieser Nachricht dürfte sein, dass die drei Franzosen nicht in einem Hubschrauber saßen, der in irgendeiner Weise zu den militärischen Kräften der von der ‚Internationalen Gemeinschaft‘ anerkannten ‚Sarradsch-Einheitsregierung‘ gehört, sondern in einem Hubschrauber der Libyschen Nationalarmee, die unter dem Befehl von General Hefter steht. Wie bekannt, weigert sich General Hefter, mit Sarradsch, der als Marionette des Westens gilt, auch nur Gespräche zu führen. Der Sarradsch-Regierung wird eine einseitige Stärkung und Bevorzugung der islamistischen und mit dem IS vernetzten Kräfte vorgeworfen. Das Tobruk-Parlament hat die ‚Sarradsch-Einheitsregierung‘ bis jetzt nicht anerkannt, dies wäre aber nach der im letzten Jahr vereinbarten ‚Friedensregelung von Skhirat‘ (Marokko) eine Voraussetzung für das Inkrafttreten eben dieser Vereinbarung und die Implantation einer Einheitsregierung gewesen.

Ein Hauptstreitpunkt zwischen dem Tobruk-Parlament und der ‚Sarradsch-Regierung‘ ist dabei genau die Rolle, die General Hefter zukünftig spielen soll. Die islamistischen Kräfte in Tripolis wehren sich mit Händen und Füßen gegen einen Oberbefehlshaber Hefter oder seine Übernahme einer politischen Rolle im Land. Hefter ist eine mehr als schillernde Person; ihm wird nach einem langjährigen USA-Aufenthalt eine enge Verbindung mit der CIA nachgesagt.

Allerdings dürfte es inzwischen auch der ‚Internationalen Gemeinschaft‘ klar geworden sein, dass ihre Marionette Sarradsch und der sogenannte ‚Präsidialrat‘ Luftnummern sind, mit denen sich weder das Chaos in Libyen, noch das Flüchtlingsproblem oder der IS in den Griff bekommen lassen.

So schreibt der dem westlichen Lager zugeneigte Libyaherald am 18. Juli, dass sich laut einer Gruppe Abgeordneter des Tobruk-Parlaments der UN-Bevollmächtigte für Libyen, Martin Kobler, benähme, als wäre er der Gouverneur von Libyen und der ‚Libysche Dialog‘ [Abkommen von Skhirat] keine Bedeutung hätte. Kobler würde den Willen des libyschen Parlaments ignorieren. Weiter wird der Staatsrat als korrupte Organisation beschrieben, die deshalb ins Leben gerufen worden sei, um diejenigen zu beschwichtigen, die 2014 die Wahlen verloren hätten. Und der Präsidialrat wird beschuldigt, Politiker zu bestechen, indem ihnen oder ihren Angehörigen Jobs zugeschustert werden. Dabei ist auch weniger von Interesse, dass diese allseits bekannten Anschuldigungen gemacht, als dass sie vom Libyaherald veröffentlicht wurden.

Sind es erste Anzeichen von Absetzbewegungen des westlichen Lagers vom unfähigen Sarradsch und seiner mit so viel Tamtam eingesetzten ‚Einheitsregierung‘? Dafür könnte auch sprechen, dass es wohl einen Dialog zwischen Martin Kobler und Moskau gab und Kobler überschwänglich die wichtige Rolle Moskaus bei der Lösung des Libyenproblems gelobt hat.[3] Zweifellos, der Kreml spielt auf der Weltbühne wieder mit.

Es ergeben sich Fragen über Fragen, wie zum Beispiel: Was haben Kerry und Lawrow dieser Tage in Moskau vereinbart? Gibt es Hoffnung, dass zukünftig alle politischen Kräfte Libyens, auch die Großen Stämme, in einen Friedensprozess miteinbezogen werden?

Und die USA und ihre Verbündeten? Müssen sie sich endlich das komplette Scheitern ihrer Politik und ihres Libyen-Krieges eingestehen? In diesem Zusammenhang muss auch gefragt werden, ob Hillary Clinton als maßgeblich für das Libyen-Desaster Verantwortliche, wirklich für den Posten des US-Präsidenten und somit als US-Oberbefehlshaberin der Streitkräfte geeignet ist? Wie viele Menschenleben haben ihre Polit- und Kriegsspielchen gefordert?

Haben die USA zwei Eisen im Feuer? Einmal die Islamisten im westlichen Tripolis, zum anderen General Hefter im Osten? Muss Frankreich seine Strategie anlässlich der IS-Anschläge im eigenen Land ändern? Denn wie soll einer Öffentlichkeit noch zu verklickern sein, man bekämpfe den IS, während man andererseits die IS-nahen Islamisten in Libyen und Syrien unterstützt? Weigerte sich die Islamisten freundliche Türkei vielleicht, diese Kehrtwende des Westens mitzumachen?

Könnte dies der Anfang vom Ende der islamistischen Kräfte in Libyen sein, die in den letzten fünf Jahren weder die Köpfe noch die Herzen des libyschen Volkes gewinnen konnten? Die Zukunft wird mit Spannung erwartet.


[1] https://www.libyaherald.com/2016/07/17/police-arrest-alleged-bdb-supporters-in-soloug-and-yemenis-report/ http://www.derstandard.at/2000041435882/Franzoesische-Spezialkraefte-in-Libyen-getoetet

[2] http://www.derstandard.at/2000041435882/Franzoesische-Spezialkraefte-in-Libyen-getoetet

[3] https://deutsch.rt.com/international/39426-un-sondergesandter-kobler-lobt-russlands/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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