Ein Winter mit Stromausfälle in Tripolis

Libyen. Muaad el-Sharif, ein 27-jähriger libyscher Elektronikingenieur, beschreibt auf seinem Blog, wie sich ein Winter in Tripolis anfühlt. Blog No. 1

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Der folgende Text ist im Original zu lesen unter: https://muaadelsharif.blogspot.de/2017/01/winter-in-tripoli-with-power-cuts.html

Die kalte Jahreszeit hatte in Libyen Einzug gehalten und mit ihr waren weitere unangenehme Dinge verbunden: Eine Grippewelle hatte die Bewohner heimgesucht. Jeder wurde wenigstens einmal von ihr heimgesucht. Auch ich stellte da keine Ausnahme dar.

Wieder einmal der Strom!

Noch eine andere unangenehmes Erscheinung trat zeitgleich mit dem Wintereinbruch auf: lange Stromausfälle. Ist es nicht lustig, dass ausgerechnet ein erdölproduzierendes Land unfähig ist, die Stromversorgung in der Hauptstadt sicherzustellen? Aber genauso ist es. Wenn ich schreibe „in der Hauptstadt“, dann meine ich auch „in der Hauptstadt“ und nicht „im Land“. Denn tatsächlich haben andere Städten dieses Problem nicht. Das hat nur Tripolis.

Dümmer geht’s nicht – wenn ich das mal so sagen darf – denn in Tripolis befinden sich alle Dienstleister: Banken, Ministerien, Kommunikationsgesellschaften. Das heißt, wenn man Tripolis den Strom abdreht, schießt man sich im Grunde genommen selbst ins Knie.

Jedes Jahr wird’s kälter

Dieser Winter war besonders kalt. Ich weiß, jeder Winter scheint der aller kälteste gewesen zu sein. Aber heuer war es wirklich besonders kalt. Bei dieser Kälte bedeuteten Stromausfälle, dass es keine Heizung und nicht nur kein Warmwasser, sondern überhaupt kein Wasser gab, weil die Wasserpumpen elektrisch betrieben werden.

Alternative Möglichkeiten, sich warmzuhalten

Alle, die wegen der anhaltenden Konflikte in Libyen ihr Heim verlassen mussten, tun mir leid. Es ist schrecklich, einen Winter im Freien verbringen zu müssen. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, wie es ist, wenn man nicht weiß, wohin. Man sollte nicht vergessen, immer für alles, was man hat, dankbar zu sein.

Wegen der Stromausfälle improvisierten wir. Wir wandelten einen alten Grill zu einer provisorischen Feuerstelle um. Oder wie wir in Libyen sagen, zu einem „Kannon“, der mit Kohle beheizt wird.

Das einzig Gute an den Stromausfällen war, dass die Familie rund um das Feuer zusammensaß während draußen der Wind heulte. Man erzählte sich Geschichten und lachte, wenn das Feuer aufloderte und knisterte.

Es sei streng davor gewarnt, den „Kannon“ in einem geschlossenen Raum anzuheizen, da dies zu einer Kohlenmonoxidvergiftung führen kann, der schon viele Menschen zum Opfer fielen. Wie viele Menschen wohl in diesem Winter an der Kälte und an Kohlenmonoxidvergiftung gestorben sind? Wer weiß. Was ich aber weiß, das ist, wer die Schuld daran trägt: GECOL[1].

Nachdem ich diese Zeilen geschrieben hatte, musste ich erfahren, dass sieben Menschen in der Stadt Ghyran mit einer Kohlenmonoxidvergiftung in das örtliche Krankenhaus eingeliefert wurden. Weitere zweihundert Menschen mussten wegen einer Lungenentzündung behandelt werden, sieben davon waren sehr schwer erkrankt.

Fehlende Gebäudedämmung

Ich muss auch die fehlende Gebäudedämmung erwähnen. So etwas gibt es bei uns nicht. Unsere Häuser werden allein aus Zementblöcken gebaut. Deshalb ist es in den Räumen im Sommer extrem heiß (bei Tagestemperaturen bis 50° C) und im Winter richtig kalt. Um unsere Häuser zu wärmen, verwenden wir Elektroheizungen, die einen höllisch hohen Stromverbrauch haben.

Das Comeback eines ehemals sehr beliebten Getränkes

Doch nun ein angenehmeres Thema. Ein ehemals beliebtes Wintergetränk aus Hirsemehl hat wieder Eingang in unsere Küchen gefunden. Es ist in Libyen und in anderen Ländern unter dem Namen „Sahleb“ bekannt. Dieses Getränk wird aus Hirsemehl, Zucker, Wasser und Milch hergestellt. Warm serviert schmeckt es köstlich! Eine gute Art, sich gegen die Kälte zu wappnen.

Ein schwerer Schlag gegen das Leistungsvermögen

Es ist immerzu sehr anstrengen, seine Sachen zu erledigen. Ich habe schon alles Mögliche versucht, mein Leben an die Stromausfälle anzupassen und mich irgendwie mit ihnen zu arrangieren. Allerdings sind die Versuche, meine Schlafenszeiten den Stromausfällen anzupassen, kläglich gescheitert.

So viel zum Leistungsvermögen. Ich fühle mich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt (und schaue, wann immer wir Strom haben, „Sherlock“[2], um mich mit dieser Idee anzufreunden).

Wie soll ich nur alles in den sieben Stunden schaffen, in denen es angeblich Strom gibt und in denen ich schlafe?

Fazit

Wir befinden uns in Libyen, wo wir nur mit knapper Not überleben und versuchen, uns ohne Geld und ohne Strom durch den Alltag zu kämpfen, auch wenn wir den Eindruck haben, als hätte sich alles gegen uns verschworen. Ich weiß nicht, wie lange dieser Kampf noch dauern wird. Ich bin zuversichtlich, dass er nicht mehr allzu lange dauert (denn lange überleben wir nicht mehr).

Aus dem Englischen: Angelika Gutsche München, April 2017


[1] General Electricity Company of Libya

[2] eine in Libyen sehr beliebte Fernseh-Sendung (auch auf DVD verfügbar)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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