Freiheit für Libyen!

Seif al-Islam. Eric Draitser analysiert in einem Artikel die politische Situation in Libyen nach der Freilassung von Seif al-Islam Gaddafi.

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Der unabhängige geopolitische Analyst Eric Draitser analysiert in seinem Artikel „Freiheit für Seif al-Islam! Freiheit für Libyen!“[1] wie sich die politische Situation nach der Freilassung von Seif al-Islam Gaddafis in Libyen darstellt.

Draitser weist darauf hin, dass entgegen der im Westen vorherrschenden Meinung der Name Gaddafi immer noch eine wichtige Rolle in Libyen spiele. Seif al-Islam und die anderen noch lebenden Mitglieder der Gaddafi-Familie würden in Libyen von vielen Menschen als Helden verehrt. Die Freilassung Seif al-Islams könne deshalb die politische Situation im Land grundsätzlich verändern. Der älteste Sohn Muammar al-Gaddafis werde als Garant für eine unabhängige und friedliche Entwicklung des Landes und die Rettung der Dschamahirija angesehen.

Seine Freilassung hätte die Botschaft an das libysche Volk gesandt, dass trotz des durch die Nato verursachten Chaos‘ die Widerstandsbewegung innerhalb des Landes aktiv ist. Zwar sei es in den letzten fünf Jahren immer wieder zu Erhebungen von Gaddafisten gekommen, der Großteil von ihnen hätte sich aber im Untergrund aufgehalten. Es könne jedoch schon bald die Zeit kommen, wo sich der Widerstand gegen Terroristen und Opportunisten vereine.

Libyen sei zersplittert, es gäbe mehrere Regierungen, die große Mehrheit der libyschen Stämme fühle sich aber der säkularen Tobruk-Regierung und der sie unterstützenden ägyptischen Regierung verbunden. Libyen sei nach dem Sturz der Dschamahirija in seine Stammesstrukturen zurückgefallen, die augenblicklich das politische Leben dominierten.

Es sei sehr schwierig zu bestimmen, wo die jeweiligen Fraktionen und Gruppen mit immer wieder wechselnden Allianzen jeweils stünden. So sei Seif al-Islam seit 2011 von Milizen in Zinten, die keine Freunde von Gaddafi waren – gefangen gehalten worden. Andererseits hätte sich Zinten immer geweigert, mit der al-Kaida-Moslembruderschaft von Tripolis, die ein Teil des ‚Libyschen Fadschr‘ (Morgendämmerung) gewesen sei, zu kooperieren.

Abdelhakim Belhadsch, dessen Kämpfer von der Libyan Islamic Fighting Group LIFG eine hervorgehobene Rolle beim von der NATO-gestützten Sturzes Gaddafis gespielt hatten, sei der Liebling der westlichen Geheimdienste und einer politischen Elite um John McCain und Lindsey Graham gewesen. Belhadsch werde nun beschuldigt, in die Organisation von IS-Trainingscamps im Osten Libyens verwickelt zu sein, während er sich mit seinen al-Kaida-Kumpanen am Flughafen von Tripolis verkrieche.

Das Bild des heutigen Libyens gleiche zersplittertem Glas, dessen einzelne Teile alle politischen Facetten widerspiegeln. Inmitten des Chaos gäbe es aber immer wieder Zeichen der Hoffnung, dass sich das libysche Volk bald wehren werde.

Eine oft verkannte Rolle spiele dabei der ägyptische Präsident al-Sisi. Im eigenen Land wegen Menschenrechtsverletzungen höchst umstritten, habe er doch die Tobruk-Regierung und die mit ihr verbundenen Stämme durch Luftschläge gegen den IS und al-Kaida-Gruppen unterstützt. Es hieße, ägyptische Kräfte hätten eng mit libyschen Parteien kooperiert, auch mit Stämmen, die den Gaddafis treu verbunden sind.

Draitser schreibt: „In diesem verwirrenden politischen Bild sollte man hinter die vereinfachenden Begriffe der „good guys“ and „bad guys“ blicken, um zu verstehen, dass es tatsächlich „good guys“ und „bad guys“ gibt, manche der „good guys“ aber manchmal „bad“ und manche der „bad guys“ manchmal „good“ sind. Verstanden? Gut!“

Innerhalb dieser undurchsichtigen politischen Situation wirke Seif al-Islam in der Nachfolge des unabhängigen Geistes seines Vaters als Held, dessen Erziehung und Bildung und – noch viel wichtiger – Kampferfahrung ihn zum natürlichen Anführer machen.

Draitser weist auch darauf hin, dass es Seif al-Islam war, der in den frühen 2000er Jahren die Annäherung Libyens an den Westen vorantrieb und Libyens nukleare Abrüstung und die Abschaffung der weitreichenden Missiles-Raketen befürwortet hatte. Seif hätte es 2011, als die NATO ihren Krieg gegen Libyen begann, schwer bereut, dass er den Versprechen des Westens geglaubt hatte. Während des Kriegs äußerte er sich in einem Interview mit Russia Today: „Viele Länder wie unter anderem Iran und Nordkorea sagten uns, es sei ein Fehler gewesen, die Entwicklung von Langstrecken-Missiles aufzugeben und dem Westen freundschaftlich entgegenzukommen. Unser Beispiel zeigt, dass man dem Westen niemals trauen darf und immer in Alarmbereitschaft sein sollte… Einer unserer größten Fehler war, den Kauf neuer Waffen, vor allem von Russland, und den Aufbau einer starken Armee abzulehnen. Wir dachten, die Europäer wären unsere Freunde; unser Fehler war, uns unseren Feinden gegenüber tolerant zu zeigen.“[2]

Seif al-Islam hätte gewusst, dass er für die Schwächung seines Landes verantwortlich war und damit einer ausländischen Invasion Tür und Tor geöffnet habe. Aber durch Seif al-Islams Zerknirschung, die fast einer vor seinem Volk geleisteten Abbitte gleichkam, hätten viele Libyern seinen wahren Charakter erkannt. Er sei ein Mann, der sich offen zu seiner Verantwortung bekannte und gleichzeitig gegen die mächtigste Militärallianz der Welt Stellung bezogen hatte, deren terroristische Stellvertreter sein Land überrannten. Neben seines Erscheinens im Rixos Hotel in Tripolis vor einer Menschenmenge, darunter viele Journalisten, war dies der Moment, in dem Seif aufhörte, nur der Sohn seines Vaters zu sein, und stattdessen ein echter Anführer wurde.

Heute, fünf Jahre später, symbolisiere Seif sowohl die bessere Vergangenheit als auch die Hoffnung für eine bessere Zukunft. Er habe fünf Jahre Gefangenschaft bei seinen ehemaligen Feinden durchgestanden, die immer den Forderungen der USA und deren Marionetteninstitutionen wie dem Internationalen Strafgerichtshof nach Auslieferung widerstanden hätten. Dies sei der Grund, warum die USA und Europa Seif al-Islam fürchteten, denn sie würden verstehen, für was er in seinem Land stehe. Sie wüssten, dass er weit mehr als alle übrigen Fraktionen die Loyalität und den Respekt der überwiegenden Mehrheit der Libyer besäße und von den einflussreichsten Stämmen des Landes genauso unterstützt würde wie vom Grünen Widerstand. Ebenso sei klar, dass Seif der einzige noch vorhandene libysche Anführer ist, der das gespaltene Land wieder vereinen kann, um die dschihadistischen Kräfte, die von den USA und der NATO unterstützt werden, zu bekämpfen.

Vor allem seine politische Kraft werde gefürchtet. Als Seif von einem Femegericht in Tripolis zum Tode verurteilt worden war, gingen seine Anhänger mit Fotos von ihm und seinem Vater in vielen Städten des ganzen Landes auf die Straße, obwohl diese Städte vom IS und von al-Kaida kontrolliert wurden. Mit den Rufen nach einer sozialistischen Regierung riskierten sie ihr Leben.

Berichten aus Libyen besagen, dass Teile der ehemaligen Gaddafi-Regierung eng mit der Sisi-Regierung in Ägypten zusammengearbeitet hätten. Dies scheine plausibel angesichts der gemeinsamen Bedrohung durch dschihadistische Kräfte und der langen Grenze zwischen Libyen und Ägypten. Mit der Unterstützung eines durchsetzungsfähigen Ägyptens, den wichtigen Stammesräten und Teilen der gespaltenen Fraktionen würde Seif umgehend zum stärksten Mann in Libyen werden.

Draitser meint, mit Seif al-Islam böte sich Libyen die Chance, aus dem von den USA und der NATO verursachten Chaos wieder herauszufinden und mit dem Wiederaufbau des Landes zu beginnen. Er sei die Hoffnung des libyschen Volkes, das die letzten fünf Jahre unter unsagbaren Schrecken habe leben müssen. Sogar die, die Gaddafi nicht geliebt haben, wüssten wie wichtig die Wiederherstellung eines geeinten Libyens mit einer einzigen und geeinten Regierung sei. Im Moment könne dies nur Seif al-Gaddafi bewerkstelligen. Und deshalb könne die Freiheit für Seif eines Tages auch die Freiheit für Libyen bedeuten.

aa

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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