Kampagne gegen Gaddafi nimmt wieder Fahrt auf

Libyen. Je mehr sich die Menschen in Libyen nach den Zeiten der Dschamahirija zurücksehnen, desto stärker bemüht sich der Westen, den Namen Gaddafi erneut zu diskreditieren.

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Die neu entflammte Verleumdungskampagne gegen Muammar al-Gaddafi hat auch mit der großen Unterstützung zu tun, die Saif al-Islam Gaddafi durch die libysche Bevölkerung erfährt

Manchmal sind es nur Nebensätze in Zeitungsartikeln, manchmal ganze Bücher, die zeigen sollen, was für ein schlimmer Finger Muammar al-Gaddafi war und dass es zu Zeiten der Dschamahirija, also vor 2011, in Libyen auch nicht besser war als heute, wenn nicht noch viel schlechter. Doch dass dies nachweislich falsch ist, zeigt der Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zu Libyen[1], der noch im Januar 2011 veröffentlich wurde und der über Libyen und die Dschamahirija nur Gutes zu berichten wusste.

Gaddafi und die Frauen

Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) lässt beispielsweise in einem Artikel über die Situation der Frauen im heutigen Libyen eine Aktivistin namens Bugaighis, die angeblich aus Sicherheitsgründen in Portugal lebt [!], sagen: „Heute sind Frauen unterdrückter als vor der Revolution[2].“ Sie meint damit die Zeit der Dschamahirija, also vor der Ermordung Gaddafis 2011. Beim Leser erweckt die Aussage von Bugaighis den Eindruck, dass in Libyen auch zu Gaddafis Zeiten Frauen unterdrückt wurden. Dabei ist es eine Binsenwahrheit, dass sich Gaddafi stets für die Rechte der Frauen eingesetzt hat und dass Frauen in keinem arabischen Land mehr Rechte genossen als im Libyen der Dschamahirija. Tatsächlich verbesserte sich in der Gaddafi-Zeit die gesamte Menschenrechtslage in Libyen um ein vielfaches, insbesondere wurden die Rechte der Frauen gestärkt, wie auch die Vereinten Nationen noch am 4. Januar 2011 in einem Bericht des UN Human Rights Council über Libyen ausführen: Die Delegation [des UNHRC] bestätigte, dass Frauen in der Libysch-Arabischen Dschamahirija hoch angesehen sind und ihre Rechte von allen Gesetzen und der Gesetzgebung garantiert werden. Diskriminierende Gesetze wurden aufgehoben. Libysche Frauen besetzen herausragende Positionen im öffentlichen Bereich, dem Justizwesen, der Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und im Militär. Die libysche Gesetzgebung sichert auch die Rechte der Kinder, lässt Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Älteren und Behinderten besondere Aufmerksamkeit zukommen.“ (Punkt 12 des Berichts)

Doch in dem NZZ-Artikel kommt es noch infamer. So wird über eine Sylvia Rombach berichtet, die für eine deutsche NGO namens Amica arbeitet. Sie sei durch die Meldungen, wonach Gaddafi an seine Söldner Viagra verteilt hat, alarmiert worden[3]. Die NZZ arbeitet hier sehr raffiniert, denn es mag ja sein, dass Sylvia Rombach durch diese Meldung alarmiert wurde. Nur, diese Viagra-Meldung, die 2011 durch alle Medien ging, stellte sich hinterher als komplette fake-Nachricht und schmierigste Propaganda heraus. Und dies wird in dem Artikel nicht erwähnt, ebenso wenig wie die Stellungnahme der Amnestie International Mitarbeiterin Donatella Rovera, die sagte, man habe bislang „weder einen Beweis noch ein einziges Vergewaltigungsopfer noch einen Arzt gefunden, der von einer Person gewusst hätte, die vergewaltigt worden ist“. Rovera hatte sich drei Monate lang nach dem Ausbruch der Unruhen in Libyen aufgehalten.

Dann setzt die NZZ noch einmal einen drauf: „Ghadhafis patriarchalische Art lebe weiter, sagt Bugaighis. Er habe zwar so getan, als ob er Frauen fördern wollte, sie hätten studieren und teilweise arbeiten können. Doch respektiert habe Ghadhafi die Frauen nicht. «Alle wussten, was er wollte, wenn er seine Hand auf den Kopf einer jungen Frau legte.» Ach, was wollte er denn? Und wer ist „alle“, die da Bescheid wussten? Wenn ein alter Mann die Hand auf den Kopf einer jungen Frau legt, dann ist das nicht einmal in muslimischen Gesellschaften unschicklich. Das Geschreibsel der NZZ ähnelt der psychologischen Kriegsführung zur moralischen Diskreditierung des Gegners, die unter Reagan von der CIA in den 80er Jahren gegen Muammar al-Gaddafi zur Meisterschaft gebracht wurde.

Doch Bugaighis greift hier nur ein Thema auf, dass bereits in dem zwar von der Kritik hochgelobten, literarisch aber bestenfalls mittelmäßigen Buch „Alle, außer mir“ der italienischen Autorin Francesca Melandri breitgetreten wurde. Eigentlich handelt das Buch von einem Vater, der als Faschist in Äthiopien zugange war und dort einen Sohn zeugte, der als Flüchtling via Libyen nach Italien kommt und in das Leben der Familie platzt. Dabei darf in dem Roman Gaddafi-Bashing nicht fehlen. So weiß der Roman nicht nur zur berichten, dass Gaddafi hinter einer „Gangsterbrille seine von Viagra und Kokain geweiteten Pupillen verbirgt“. Das Viagra braucht er wohl, um sich in seinem „Leibwächterinnen-Harem großzügig bedienen“ zu können. Ekelhafter geht’s nun wirklich nicht mehr. In dem Roman ist Gaddafi natürlich auch scharf auf die jungen Frauen, denen er 2010 bei seinem Staatsbesuch in Rom die Hand auf den Kopf legte und eine Vorlesung über den Islam hielt. Doch das hatten wir ja schon.

Die Autorin verlegt auch die wirklich horrenden Zustände, die erst seit dem Fall Gaddafis in libyschen Migrantenlagern herrschen, zurück in die Gaddafi-Zeit. Und besonders infam, in einem Roman die Gräueltaten der Faschisten in Äthiopien ausgerechnet mit Gaddafi zu verknüpfen, der sein Leben lang gegen Kolonialismus kämpfte und Freiheitsbewegungen unterstützte.

Doch was sagen Menschen, die die Gaddafi-Familie wirklich kannten? So wie das italienische Topmodel Vanessa Hessler, die vier Jahre lang die Freundin von Muammar al-Gaddafis Sohn Mutassim Billah al-Gaddafi war, der 2011 mit seinem Vater ermordet wurde. Sie hatte von der Familie Gaddafi einen völlig anderen Eindruck und äußerte sich damals öffentlich: „Er [Mutassim] und seine Familie sind nicht so, wie sie dargestellt werden, sie sind normale Leute.“ Und: „Man muss nicht alles glauben, was so gesagt wird.“[4] Da war sie aber sofort ihren Job bei den Telefongesellschaften Alice und O2 los, deren Werbegesicht sie bis dahin gewesen ist. Im gleichen Sinne wie Vanessa Hessler äußerte sich übrigens auch der europäische Koch der Familie Gaddafi, der über keinerlei Schmutzeleien im Familienleben der Gaddafis zu berichten wusste.

Gaddafi und die Exekutive

Und ist es ein Zufall, dass ausgerechnet jetzt Max Göldi in dem Buch „Gaddafis Rache“ auf über 600 anstrengend-langweiligen Seiten die Zeit in Libyen in Tagebuchform aufbereitet, in der er das Land nicht verlassen durfte? Dem ging der Skandal um die Festnahme von Hannibal Gaddafi in einem Genfer Hotel voraus. Göldi wurde danach in Libyen festgesetzt, traute sich fast zwei Jahre nicht aus der Schweizer Botschaft und wurde dreimal, einmal für etwa fünf Wochen, ein zweites Mal für 53 Tage und zuletzt von Februar bis Juni 2010 in Tripolis in Gefangenschaft genommen. Kein Wunder, dass Göldi auf Libyen und die Gaddafis nicht besonders gut zu sprechen ist. Die Bedingungen in libyschen Haftanstalten entsprachen nicht schweizerischen Vorstellungen und alles lief chaotisch ab. Doch muss es sein, dass er in einem der letzten Kapitel, überschrieben mit „Die Hinrichtungen“, von Schüssen raunt, die er gehört habe? Er kann sich zwar nicht mit den Gefangenen und Wärtern verständigen, da er kein Arabisch spricht, trotzdem meint er aus Gesten und Andeutungen entnehmen zu können, dass Exekutionen stattgefunden haben. Einmal sollen sechzehn, dann wieder elf Personen erschossen worden sein. Der Autor selbst geht in die Vollen und vermutet gleich siebzig bis achtzig Exekutionen.

Tatsächlich sieht das libysche Gesetz – auch heute noch – die Todesstrafe vor. Im Jahr 2010 wurden in Libyen landesweit insgesamt 18 Todesurteile vollstreckt.[5] Persönlich lehne ich die Todesstrafe ab, doch muss man Libyen zugutehalten, dass es nur eines unter den weltweit 93 Ländern ist, in denen es eine per Gesetz geregelte Todesstrafe gibt. Und zu den Haftbedingungen meinte der bereits oben zitierte UN Human Rights Council im Januar 2011, dass Gefängnisse und Polizeistationen von der UN-Kommission unangemeldet über den Zeitraum von eineinhalb Jahren kontrolliert werden konnten. Es gab keine Meldungen über systematische Repressalien oder staatliche Gewalt. Bei sieben Fällen von Misshandlungen und einigen Fällen von Freiheitsberaubung habe es sich um Einzelfälle gehandelt.

Gaddafi und die Migranten

Auch die TAZ steht nicht zurück, wenn es gegen Gaddafi geht. Am 29.12.2018[6] heißt es in einem Artikel über Leichen von ertrunkenen Migranten, die in Tunesien an Land gespült werden: „Ende der 1990er Jahre strandeten die ersten Leichen in Zarzis, so erzählt es der Bürgermeister. Eine Zeit, in der das nahe Libyen unter der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi zum Transitland wird, für all diejenigen, die von Europa träumen.“ Was denkt der unbedarfte Leser? Aha, Gaddafi machte Libyen zum Transitland; es spülte schon damals Leichen an Land.

Tatsache ist, dass sich in Libyen bis zum Zeitpunkt des Krieges 2011 etwa zwei Millionen Migranten aufhielten, bei einer Gesamtbevölkerung von etwa sechs Millionen Menschen. Viele Migranten, darunter etliche aus Subsahara-Afrika, fanden in Libyen Arbeit und ein Auskommen.

Im Jahr 2005 hatte die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, kurz Frontex, ihre Arbeit aufgenommen und lotete 2007 bei einem Besuch in Tripolis die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Libyen hinsichtlich der Beschränkung der Migrantenströme nach Europa aus. Bei den Gesprächen mit Frontex wies Libyen darauf hin, dass es selbst stark unter der illegalen Einreise zu leiden habe und dass die Sicherung der Grenzen sowohl in der südlichen Sahara als auch am Mittelmeer beträchtliche Kosten verursache. Libyen forderte daher von der EU sowohl Hilfe bei der technischen Ausrüstung wie auch bei der Schulung von Experten. Die dem Innenministerium unterstellte Marine inklusive der Küstenwache war von besonderer Wichtigkeit. Um nur ein paar Zahlen zu nennen: Im Jahr 2006 fasste Libyen 357 Menschenschmuggler, konfiszierte 51 Fahrzeuge und 17 Boote, fand 360 angespülte Leichen und griff 32.164 illegale Immigranten auf[7]. Noch 2010 hatte EU-Kommissar António Vitorino ein Pilotprojekt für Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien angekündigt, das zusammen mit dem UN-Flüchtlingswerk helfen sollte, europäische Standards bei der Aufnahme von Flüchtlingen und der Einrichtung von Flüchtlingslagern einzuhalten. Libyen wurde noch am 29.11.2010 von der Zeit als „Türsteher Europas“ bezeichnet und im Januar 2011 wollte die EU mit Libyen ein Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge schließen.

Und auch zu Migranten wird in dem oben bereits zitierten UN-Bericht Stellung genommen: „Illegale Einwanderung ist eine der größten Herausforderungen, denen sich das Land [Libyen] gegenübersieht. Illegale Einwanderung hat negative Auswirkungen auf den Staatshaushalt, die Entwicklung, die Gesundheit, die Umweltprogramme und die soziale Stabilität. Die Libysch-Arabische Dschamahirija erwartet die Koordination und Kooperation mit den betroffenen Ländern, insbesondere mit Europäischen Ländern, die Ziel der Flüchtlinge sind, um umfassende Programme aufzubauen, die sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Ursachen dieses Phänomens befassen und den Flüchtlingen helfen, sich in ihren eigenen Ländern niederzulassen, indem ihnen Arbeitsgelegenheiten geboten werden und ihre Länder mit Entwicklungsplänen unterstützt werden.“ (Punkt 13 des Berichts)

Libyen war zu Zeiten der Dschamahirija auf dem besten Wege, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch was Menschenrechte und speziell Frauenrechte sowie die Lösung des Migrantenproblems betraf. Dies hätte einen positiven Aufbruch für ganz Afrika bedeuten können. Libyen suchte die Annäherung an den Westen, was man ihm auf ganz spezielle Art danke, denn: Diese Entwicklung war alles andere als erwünscht. So wurde Libyen zum failed state gebombt, in dem sich heute niemand mehr um Menschen- oder gar Frauenrechte schert und das von kriminellen Warlords beherrscht wird.

In Europa ist die Stimmung schon lange gekippt. Viele fragen sich, ob der Krieg gegen Libyen und die Ermordung Gaddafis nicht ein kompletter Fehler waren. Immer noch suchen die dafür Verantwortlichen dringend eine Rechtfertigung. So wird der Name Gaddafi weiterhin diskreditiert, gerade wo Saif al-Islam Gaddafi, der Sohn Muammars, zur neuen Hoffnung des Landes geworden ist.

Uns hier können Schreiberlinge ja viel erzählen, wenn sie in Bezug auf Libyen nicht ganz verstummen. Wir sind weit weg, kaum jemand hat einen Einblick, was in Libyen geschah und geschieht. Doch im Land selbst weiß jeder Mensch, was Libyen in Wirklichkeit der Dschamahirija und Gaddafi zu verdanken hat. Und es werden nicht die Europäer sein, die letztendlich entscheiden, wer in Zukunft Libyen regiert, sondern das werden die Libyer selbst tun.

[1] Report oft he working group of universal periodic review; Human Rights Council; 4.1.011;
http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/16session/A-HRC-16-15.pdf

[2] A.d.A.: „Revolution“ ist für diesen von den USA, Großbritannien, Frankreich und ihren Verbündeten eingefädelte und finanzierte und mit Hilfe von dschihadistischen al-Kaida-Kämpfern ausgeführte Krieg gegen Libyen der vollkommen falsche Begriff.

[3] A.d.A.: Libyen hatte eine reguläre Armee und keine Söldnerarmee

[4] https://www.n-tv.de/panorama/Alice-Model-trauert-article4647156.html

[5] https://www.laenderdaten.info/Afrika/Libyen/todesstrafe.php

[6] https://www.taz.de/Tunesiens-Kueste-und-die-Toten/!5558370/

[7] Almut Besold: „Libyens gezielte Annäherung an den Westen“ in: „Libyen“, Promedia 2009

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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