Krieg und Flucht in Syrien

Es darf gebombt werde... Warum die USA und die Türkei die syrische Regierung stürzen wollen und die neue Rolle Russlands

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Die auch von Deutschland mit Waffen und durch Ausbildung unterstütze kurdische PYD erzielt gegen den IS im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei beachtliche Erfolge. Sollte es den Kurden gelingen, den IS auf syrischer Seite vollständig aus dem Grenzgebiet zu drängen, würde dies zwei kurdische Gebiete entlang der türkischen Grenze miteinander verbinden und die Grenze wäre vollständig unter kurdischer Kontrolle. Dies würde vor allem für die Türkei aber auch für die USA und ihre gegen Assad kämpfenden Verbündeten den Gau bedeuten. Denn über dieses vom IS kontrollierte Grenzgebiet kommen Kämpfer und Waffen für IS und andere islamistische Kampfgruppen wie dem al-Kaida-Ableger al-Nusra von der Türkei nach Syrien, werden in die andere Richtung verwundete islamistische Kämpfer in türkische Krankenhäuser gebracht. Die vollständige Einnahme dieser Gebiete würde die Kurden stärken und ein eigener autonomer Staat käme für sie in greifbare Nähe.

Um dies zu verhindern, fliegen die Türken zunächst unter der Vorgabe, den IS zu bombardieren, Kampfeinsätze gegen die Kurden. Dies bringt nicht den gewünschten Erfolg. Deutschland beschloss sogar, das Patriot-Raketenabwehrsystem von türkischem Boden abzuziehen. In großen Teilen Europas und auch in Deutschland erscheint inzwischen Assad, an dem auch Russland nicht mehr auf alle Ewigkeit festhalten will, wohl aber an einer von den Alawiten gestellten syrischen Regierung, als das kleinere Übel gegenüber den IS-Horden. In dieser Situation scheint die Türkei in Einklang mit den USA und Großbritannien beschlossen zu haben, wieder einmal vehement die Einrichtung einer Sicherheitszone für syrische Flüchtlinge zu fordern. Diese Zone soll nun just auf jenem syrischen Staatsgebiet entstehen, das noch zwischen den beiden Kurdengebieten liegt und von islamistischen Gruppen beherrscht wird. Diese Sicherheitszone, die sich als Flugverbotszone darstellt, könnte anschließend von türkischen Truppen kontrolliert werden. Die Türkei wäre in Syrien auf kurdischem Territorium somit Besatzungsmacht, entgegen allen Vorgaben des Völkerrechts. Doch wäre damit ein sicherer Korridor für Kämpfer und Waffen für den Krieg gegen Syrien geschaffen, das Zusammenwachsen kurdischer Gebiete verhindert.

Doch wie die Europäer dazu bringen, dieser Sicherheitszone zuzustimmen? Deutschland und andere Staaten fürchten sich schon lange nicht nur vor der Errichtung eines Islamischen Staates an den Gestaden des Mittelmeers, wenige Seemeilen von der EU entfernt, sondern auch vor einem Kollaps des syrischen Staates mit den Folgen wie sie in Libyen zu besichtigen sind (die UN meldet gerade, dass das einst so reiche Libyen nicht mehr in der Lage ist, seine Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen). Könnte es nicht sein, dass in dieser Situation die Türkei die Sicherung seiner Seegrenzen komplett einstellte und alle Flüchtlinge unkontrolliert über den See- und Landweg nach Griechenland passieren ließ, um endlich von der EU beziehungsweise Deutschland die Einwilligung zur Errichtung einer Sicherheitszone auf syrischen Gebiet zu erhalten? Das kleine, finanziell ruinierte Griechenland ist angesichts der Lage auf den Inseln Kos oder Lesbos total überfordert. Griechenland lässt die Menschen ziehen, wie das auch schon Italien seit längerem mit den schwarzafrikanischen Flüchtlingen macht, die in Libyen die Schiffe über das Mittelmeer besteigen. Die Flüchtlinge aus der Türkei erreichen die Staaten der EU über Mazedonien und Serbien, werden von dort nach Österreich weitergewunken, die meisten wollen nach Deutschland. In Windeseile verbreiten sich über die neuen Medien die Nachrichten, dass die EU ihre Grenzen geöffnet hat. In Echtzeit gehen die „Welcome“-Bilder vom Münchner Hauptbahnhof und Merkels Spruch, es gibt nach oben keine Begrenzung bei der Aufnahme der Flüchtlinge, um die Welt. Falschmeldungen in den sozialen Medien wie jeder ankommende Flüchtling bekäme ein Haus und Arbeit in Deutschland lassen den Flüchtlingsstrom weiter anschwellen. Es gibt kein Halten mehr. Die Grenzen werden überrannt.

Die Türkei und die USA könnten davon ausgegangen sein, dass es unter diesem enormen Druck nur eine Frage der Zeit ist, bis die EU und Deutschland einer Sicherheitszone an der türkisch-syrischen Grenze zustimmen und im Gegenzug dafür von der Türkei die Sicherung der türkisch-griechischen See- und Landgrenzen versprochen bekommen. Aber: Erpressung unter NATO-Partner, geht das?

Doch was sind insgesamt die Ziele der USA? Sie wollen Syrien und Assad, der halt immer noch an der Macht ist, durch einen kräftezehrenden Verschleißkrieg zermürben. Da sogenannte „gemäßigte Islamisten“ eine Fiktion sind und die sogenannte „Freie Syrische Armee“ nicht mehr existiert – entweder haben sich die Kämpfer den islamistischen Gruppierungen angeschlossen oder sind auf Assads Seite zurückgewechselt – unterstützen die USA nun neben den islamistischen al-Nusra-Truppen sogar den IS. (Diese völkerrechtswidrige Unterstützung von Aufständischen im Ausland gegen die reguläre Regierung bezeichnete Noam Chomsky übrigens als von den USA unterstützten Terrorismus.) Mit dem Fall der Assad-Regierung hätten die USA zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen könnten sie die Russen von ihrem einzigen Stützpunkt im Mittelmeer, Tartus, vertreiben, zum anderen wäre die Achse Iran, Irak (schiitische Regierung), Syrien, Hisbollah im Libanon unterbrochen, was sicher auch Saudi-Arabien, der Erzfeind Irans, freuen würde. Daneben hätten Saudi Arabien und die Golf-Staaten noch einen anderen großen Vorteil: Schaut man sich die Landkarte an, sieht man, dass mit der Kontrolle über Syrien ein direkter Zugang Saudi-Arabiens und der anderen Golfstaaten zum Mittelmeer geschaffen wäre und somit Öl- und Gaslieferungen nach Europa über das Mittelmeer möglich wären.

Allerdings zeichnet sich immer stärker ab, dass mit dem Sturz Assads mangels einer „moderaten Opposition“ – was immer das sein soll – keine „demokratische“ Regierung, die alle Menschenrechte achtet und Frieden und Freiheit bringt, in Syrien Einzug halten würde. Die Realität sieht stattdessen so aus, dass dem Libyen-Szenario mit Staatszerfall und IS-Schreckensherrschaft Tür und Tor geöffnet wäre.

Russland, ein Verbündeter der syrischen Regierung, befürchtet, mit der Errichtung einer Sicherheitszone auf syrischem Gebiet, könnten die anti-syrischen Kräfte entscheidend geschwächt werden. Der Kreml entwickelt hektische diplomatische Aktivitäten. Besucher aus Saudi Arabien, Ägypten, der Türkei, Irak und dem Iran geben sich in Moskau die Klinke in die Hand. Russland sucht sogar das Gespräch mit Israel. Der Kreml wird versucht haben, Israel davon zu überzeugen, dass ein berechenbarer Assad an den Außengrenzen für das Land allemal sicherer ist als ein durchgeknalltes islamistisches Sultanat. Von Saudi Arabien sagt man, es wäre auf die USA seit deren Friedensschluss mit dem Iran sowieso nicht mehr gut zu sprechen und dass König Salman, der seit Januar diesen Jahres die Regentschaft übernommen hat, grundsätzliche außenpolitische Richtungswechsel ansteuert. Erdogan wird zur Eröffnung der größten Moschee außerhalb der islamischen Welt in Moskau eingeladen, wo sicher Moskau auch der Türkei ein Bonbon angeboten hat. Daneben baut Russland seinen Seestützpunkt in Tartus aus und errichtet einen Luftwaffenstützpunkt im syrischen Latakia.

Und nun geht alles ganz schnell: Putin fährt nach New York, bekräftigt das Festhalten an Assad, hält eine vielbeachtete Rede vor den Vereinten Nationen und fliegt am nächsten Tag Einsätze gegen den IS in Syrien. Die USA und der Westen schäumen. Ziemlich dreist in Anbetracht dessen, dass die USA, Großbritannien und Frankreich munter ohne UN-Mandat und unter Protest der syrischen Regierung – also völkerrechtswidrig – seit über einem Jahr in Syrien drauflos bomben. Russlands Einsatz steht im Gegensatz dazu mit dem Völkerrecht in Einklang: Er ist von der offiziellen syrischen Regierung um Unterstützung gebeten worden.

Russland zerstört Stellungen von Islamisten um Homs, vernichtet Munitionslager und Kommandostellen – doch damit nicht genug. Russische Jets fliegen im Norden Syriens, im Grenzgebiet zur Türkei, ebenfalls Einsätze gegen den IS. Von der Einrichtung einer Sicherheitszone kann nun natürlich keine Rede mehr sein. Wie sollte man den Russen das Fliegen über syrischem Gebiet, in dem sie sich legal aufhalten, verbieten? Sollte man trotzdem eine Flugverbotszone ausrufen, was passiert dann, wenn die Russen dort fliegen? Russische Jets abschießen? Das käme einer Kriegserklärung an Russland gleich. Dass die Situation insgesamt brandgefährlich ist, zeigt das angeblich versehentliche Eindringen eines russischen Kampfjets auf türkisches Gebiet.

Doch mit den Bomben auf islamistische Kämpfer sind die Aktivitäten Russlands nicht erschöpft. Es gründet im irakischen Bagdad ein Anti-Terror-Informationszentrum, an dem neben Russland der Irak, Iran und Syrien beteiligt sind. Hier sollen die Erkenntnisse der militärischen Geheimdienste zusammenlaufen und ausgewertet werden. Gemeinsam wird das weitere Vorgehen geplant.

Mit russischer Luftunterstützung startet eine Großoffensive der syrischen Armee gegen Islamisten in der Gegend von Hama und Idlib. Die syrische Armee erhält Unterstützung auch von der schiitischen irakischen Regierung, vom Iran und von der Hisbollah im Libanon, letztere schützt auch die die syrisch-libanesische Grenze gegen das Eindringen von islamistischen Kämpfern und Waffen aus dem Libanon nach Syrien. Nebenbei bemerkt: Im Mittelmeer hat die chinesische Marine Aufstellung genommen.

Die ganze Unternehmung gestaltet sich auch als Waffenschau für Russland, das seine neueste Waffentechnik vorführt, unter anderem die russischen Tiefflieger SU-24, ihre Hochpräzisionsmunition, die mit einer Abweichung von maximal fünf Metern genau ins Ziel trifft, und als letzte Meldung: Russische Marschflugkörper, die vom Kaspischen Meer aus abgeschossen werden, treffen IS-Objekte in Syrien aus 1.500 Kilometer Distanz. Russland, eine Regionalmacht? Kein Wunder, dass da Obama beim letzten Treffen mit Putin nur noch beleidigt in eine Ecke starrte.

Und die Türkei? Da an die Forderung nach einer Sicherheitszone auf syrischem Gebiet an der Grenze zur Türkei nicht mehr zu denken ist, verlangt Erdogan beim seinem Besuch des Europäischen Parlaments in Brüssel für die Wiederaufnahme der Überwachung seiner Grenzen zu Griechenland nun nur noch Visa-Freiheit für Türken und die Anerkennung als sicheres Herkunftsland. Unter dem Kommando von Frontex sollen griechisch-türkische Patrouillen die Gewässer überwachen und die dort aufgegriffenen Flüchtlinge zurück in die Türkei schicken. Deutschland und seine Bundeskanzlerin können sich weiterhin als das „gute“ Land präsentieren, das alle Flüchtlinge aufnimmt, denn die Drecksarbeit wird ja wieder an andere Länder delegiert. Frau Merkel bekommt dafür vielleicht den Friedensnobelpreis.

Die USA sind empört, doch hilflos. Sie zetern, die Russen würden die „gemäßigten Kräfte“ bombardieren und nicht den IS. Um die „säkularen Kräfte“ zu schützen, müssten sie aber deren Stellungen an Russland melden. Da es solche aber gar nicht gibt, verweigern sie sich der militärischen Zusammenarbeit mit Russland und Syrien. Es wird den USA schwerfallen zu erklären, warum ihr Einsatz gegen den IS seit einem Jahr keinerlei positive Resultate erbrachte und der IS bisher immer weiter auf dem Vormarsch war. Lag es tatsächlich daran, dass die USA ihre Bomben anstelle über dem IS über der syrischen Armee oder auch über leeren Wüstenregionen abluden? Und die Türken anstatt des IS die Kurden bombardierten, also die einzigen, die mit Bodentruppen gegen den IS vorgehen?

Sollte es den alliierten Kräften um Russland und Syrien gelingen, die Nachschubwege für den IS abzuschneiden und ihn in Syrien zurückzudrängen, hätte dies auch Auswirkungen auf Libyen und könnte dort die Situation stabilisieren helfen. Denn die Verflechtungen zwischen ISIS (Islamischer Staat in Syrien) und ISIL (Islamischer Staat in Libyen) sind eng. Längerfristig könnte eine Stabilisierung der gesamten Region eintreten.

Und eine Beendigung des Krieges in Syrien würde auch das Ende der Flüchtlingsströme in die EU bedeuten. Wohl leider erst, nachdem auch der letzte IS-Kämpfer vor der siegreichen syrischen Armee nach Europa geflohen ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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