Kriminelle halten Sarradsch an der Macht

Libyen. Die gegenseitige Abhängigkeit von ‚Einheitsregierung‘ und kriminellen Schleuserbanden.

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Ein bezeichnendes Licht auf die Arbeit der libyschen Küstenwache lieferte ein Vorfall mit dem deutschen Rettungsschiff Alan Kurdi, der sich kurz vor dem Besuch des deutschen Außenministers Maas vor der Küste der libyschen Stadt Zuwara ereignete. Das Schiff hatte Migranten an Bord als es von drei libyschen Schiffen der Küstenwache bedrängt wurde. Die Menschen sprangen in Panik ins Wasser. Bei der anschließenden Rettungsaktion schossen die libyschen Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen zur Abschreckung in die Luft.

Es ist gemeinhin bekannt, dass die ‚Einheitsregierung‘ und ihre Küstenwache mit kriminellen Milizen in Sachen Migranten und Menschenschmuggel eng zusammenarbeiten und sich auch personelle Überschneidungen ergeben.

Die Rolle Italiens

Im Februar 2017 unterzeichnete der damalige italienische Innenminister Marco Minniti von der Partito Democratico in Libyen einen Vertrag mit dem Premierminister der libyschen ‚Einheitsregierung‘ Fayez as-Sarradsch. Es ging dabei um die Eindämmung des Zustroms von Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kamen. Schon bald nach Abschluss des Vertrages reduzierte sich die Zahl der in Italien ankommenden Migranten um 87 Prozent. Doch Minniti musste sich den Vorwurf gefallen lassen, die Migranten der korrupten libyschen Küstenwache auszuliefern und sie damit in Lebensgefahr zu bringen.

Die meist aus Schwarzafrika stammenden Migranten reisten nach der Durchquerung der Sahara über die Südgrenze nach Libyen ein. Da diese Gebiete nicht unter der Kontrolle der ‚Einheitsregierung‘ standen, traf sich Minniti in Rom mit einer Delegation der im Süden Libyens beheimateten Stämme und bot ihnen „finanzielle Hilfen“ an, wenn sie halfen, den Migranten den Weg über das Mittelmeer zu versperren. Diese eigenmächtigen Verhandlungen über den Kopf der libyschen ‚Regierung‘ hinweg verletzten zweifellos die Souveränität Libyens.

Die Stammesführer nahmen das italienische Geld, inhaftierten die Migranten und brachten sie in den Norden des Landes, auch nach Tripolis, wo sie in überfüllten Migrantenlagern den bekannten unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt waren und sind. Als im April Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis zwischen der Libyschen Nationalarmee und den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ ausbrachen, gerieten auch Migrantenlager zwischen die Fronten. Als Raketen in einem Lager im östlich von Tripolis gelegenen Tadschura einschlugen, kamen mindestens 44 Menschen zu Tode.

Schleuser und Schmuggler und die 'Einheitsregierung'

In großen Gebieten des südlichen Libyens besteht nach wie vor ein rechtsfreier Raum. Nicht nur Stammesführern in diesen Gegenden wird vorgeworfen, mit professionellen Schleusern innerhalb eines landesweiten Schleppernetzwerkes zusammenzuarbeiten, sondern dieser Vorwurf traf auch Marco Minniti. Es soll geheime Abkommen mit Schleusern gegeben haben, die dafür berüchtigt waren, Migranten auf seeuntüchtigen Booten auf das Mittelmeer zu schicken. Italien soll mutmaßlichen Menschenhändlern, darunter Abd al-Rahman Milad, bekannt als Bidscha, nicht nur Geld gegeben, sondern auch Immunität zugesichert haben. Bidscha war im Mai 2017 bei einem Treffen zwischen italienischen Geheimdienstagenten und Mitgliedern der libyschen Küstenwache als Teil der libyschen Delegation nach Sizilien gereist. Es ging dabei um Fragen der Migrationseindämmung. Dies zeigt die engen Verbindungen Bidschas zur ‚Einheitsregierung‘, der die libysche Küstenwache untersteht.

Allerdings taucht Bidscha noch in einem ganz anderen Zusammenhang auf. In dem Bericht einer UN-Expertengruppe vom Juni 2017 wird Bidscha nämlich als Schlepper bezeichnet, der für „Schießereien auf See und für das Ertrinken“ dutzender Migranten verantwortlich ist. In Zusammenhang mit Bidscha wird in dem Bericht ein anderer Schlepper namens Mohammad Koshlaf beschuldigt, nahe seiner Heimatstadt Zawija innerhalb der örtlichen Raffinerie ein Internierungslager für Migranten zu betreiben. Koshlaf soll nicht nur Schleuser, sondern auch Kopf einer bewaffneten Schmuggelbande für aus der Zawija-Raffinerie entwendeten Kraftstoff gewesen sein.

Umkämpftes Tripolis

So werden nicht nur die personellen Verbindungen zwischen kriminellen Schlepper- und Schmugglerbanden und der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis offensichtlich, sondern auch deren Verantwortlichkeit für die begangenen Verbrechen. Bei den Kämpfen um Tripolis, die im April dieses Jahres begannen, kämpfte Koshlaf auf Seiten der ‚Einheitsregierung‘. Laut Berichten war auch Bidscha ebenso wie andere Kriminelle auf Seiten der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ dabei, um die LNA abzuwehren. Dies kann nicht verwundern, würde sich doch mit dem Sturz der ‚Einheitsregierung‘ auch das gewinnträchtige Geschäftsmodell der Schleuser- und Schmugglerbanden erledigen.

Islamistischer Milizenführer neuer Geheimdienstchef

Ein wirklicher Skandal ist auch die in diesem Monat erfolgte Ernennung von Salah Badi zum Direktor des militärischen Geheimdienstes durch die ‚Einheitsregierung‘. Badi ist durch die UN-Sondermission für Libyen sanktioniert. Sie wirft dem islamistischen Milizenführer vor, den politischen Prozess in Libyen zu unterlaufen. Bekannt wurde Badi als Kopf der al-Somud-Miliz, die 2014 half, das demokratisch gewählte Parlament aus Tripolis zu vertreiben. Es existiert ein Video, in dem Badi die damalige Zerstörung des internationalen Flughafens von Tripolis bejubelt. Badi kommandierte auch eine Miliz, die im Oktober 2012 an dem Angriff gegen die Stadt Bani Walid beteiligt war, bei dem dutzende Bewohner getötet und tausende vertrieben wurden.

Sarradsch immer unglaubwürdiger

Die Kämpfe um Tripolis gehen weiter, während die ‚Einheitsregierung‘ immer mehr in dem gefährlich kriminellen Sumpf der Tripolis-Milizen versinkt. Bei beiden geht es ums Überleben, das nur gemeinsam möglich erscheint. Die libysche Bevölkerung weiß um die Verbrechen von Badi, Bidscha, Koshlaf und anderer, doch der ‚Einheitsregierung‘ ist es wohl nur für den Preis ihres eigenen Untergangs möglich, diese Verbindungen zu kappen und macht sich so für deren Verbrechen mitverantwortlich.

Wie will die ‚Einheitsregierung‘ glaubwürdige Regierungskonzepte vorlegen, wenn sie unter Kontrolle dieser Kriminellen steht? Badi, Bidscha und Koshlaf und deren verbrecherische Aktivitäten sind international bekannt. Die Regierung Sarradsch verliert den letzten Rest an Glaubwürdigkeit.

https://deutsch.rt.com/kurzclips/94143-sea-eye-rettung-im-mittelmeer-libysche-kuestenwache-feuert-warnschuesse-ab/?utm_source=browser&utm_medium=aplication_firefox&utm_campaign=firefox

https://saharanws.wordpress.com/2019/10/25/libyas-gna-is-linked-with-human-traffickers/

https://www.avvenire.it/attualita/pagine/dalla-libia-al-mineo-negoziato-boss-libico

https://deutsch.rt.com/kurzclips/94143-sea-eye-rettung-im-mittelmeer-libysche-kuestenwache-feuert-warnschuesse-ab/?utm_source=browser&utm_medium=aplication_firefox&utm_campaign=firefox

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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