Kursverfall, hohe Inflation, kein Bargeld

Libyen. Ein Artikel von Moustafa Fetouri mit dem Titel „Unser erbärmliches Leben in Libyen“ beschreibt den schwierigen Alltag in der verwundeten Hauptstadt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Fetouri schreibt, das Leben in Libyen bestehe trotz des Reichtums des Landes nur mehr aus einem unerträglichem Maß an täglichem Leiden. Erinnere man sich, wie einfach das Leben vor 2011 war, werde einem schlagartig klar, wie sehr man das damalige Leben vermisse. Und ebenso vermisse man den Mann, der einer großen Mehrheit der Menschen das Leben so leicht gemacht hat. Heute sei Libyen wie eine Mischung aus Somalia, Irak und Jemen, doch gleichzeitig sei es auch ganz anders.

Fetouri greift Beispiele aus dem schwierigen täglichen Leben in Tripolis heraus, betont dabei, dass das Leben in der Hauptstadt im Vergleich zu den Lebensumständen im Landesinneren noch immer relativ gut sei.

Hier eine gekürzte Fassung seines Artikels:

Die schlimmsten Beeinträchtigungen bringen die sieben bis neunstündigen Stromausfälle mit sich, die besonders in den heißen Sommermonaten der Bevölkerung zu schaffen machen, wenn die Temperaturen über vierzig Grad klettern und die Luftfeuchtigkeit 60 Prozent und mehr beträgt.

An zweiter Stelle der Schwierigkeiten steht die Geldknappheit. Nachdem man Stunden vor einer Bank in der prallen Sonne angestanden hat, wird einem mitgeteilt, dass wieder einmal das Geld aus ist. Man hat Geld auf der Bank, aber man bekommt es gar nicht oder nur in kleinsten Summen ausbezahlt.

Stelle Dir vor, der Küchenabfluss ist verstopft und du brauchst einen Klempner. Der möchte Bargeld für seine Arbeit. Also kratzt du alles Geld zusammen, das du irgendwie auftreiben kannst, um die Reparatur zu bezahlen. Libyen ist ein Land, in dem Bargeld die Wirtschaft dominiert und deshalb jede Rechnung bar zu begleichen ist. Manche Läden nehmen seit neuestem auch Scheckkarten oder Schecks, allerdings wird dann der Preis um dreißig Prozent erhöht.

Richtig schlimm wird es, wenn du krank wirst. Nach stundenlangem Warten im Krankenhaus bekommst du endlich ein Rezept ausgestellt. Dieses einzulösen kommt dich richtig teuer. Man erinnere sich: Vor 2011 bekam man als Libyer einen kostenlosen medizinischen Check und Medikamente entweder kostenlos oder zum halben Preis.

Bist du ernstlich erkrankt, bist du in den staatlichen Krankenhäusern aufgeschmissen. Es gibt dort nichts mehr: keine Spritzen, keine Schmerzmittel und keine anderen Medikamente. Musst du gar operiert werden, gibt dir der Doktor eine lange Einkaufsliste. Du musst für die OP alles selber besorgen, was dich wieder vor das Bargeldproblem stellt. Gehst du in eine in der Regel illegal arbeitende Privatklinik, steigen die Kosten ins unermessliche.

Verschlechtert sich dein Zustand, so dass du ins Ausland zu einer Behandlung musst, wird das Ganze höllisch: Für europäische Länder brauchst du ein Visum. Du musst zunächst nach Tunesien fahren, weil es in Libyen so gut wie keine ausländischen Botschaften mehr gibt. Dass alles kostet dich so eine Riesensumme Bargeld, so dass Europa praktisch nicht in Frage kommt. Es bleiben also Ägypten, Jordanien oder Tunesien. Die große Summe Geld, etwa 5.000 US-$, die du für deine medizinische Reise benötigst, musst du dir auf dem Schwarzmarkt besorgen. Vor 2011 musste man für einen Dollar rund 1,3 LYD bezahlen. Heute kostet ein US-$ etwa 8,4 LYD, also über sechs Mal so viel! Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt augenblicklich in Libyen bei etwa 500 LYD, das sind um die 60 US-$. Vor 2011 lag das Durchschnittseinkommen bei etwa 300 US-$, es war also fünfmal so hoch. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Leben aufgrund der subventionierten Güter viel billiger war und auch der Tausch von LYD in harte Währungen für bestimmte Zwecke wie medizinische Behandlungen subventioniert wurde.

Ist eine medizinische Behandlung im Ausland unvermeidlich, müssen Familien ihr Auto und manchmal ihre Häuser verkaufen, um das Geld aufzubringen. Es heißt: „Wenn du krank wirst, bete zu Gott, dass es nichts Ernstes ist. Falls doch, bete zu Gott, dass du schnell stirbst.“ Eine lange, schwere Krankheit würde dich und deine Familie in den Ruin treiben.

Der Verfall der libyschen Währung hat eine Vielzahl weiterer Probleme nach sich gezogen. Die Preise für Konsumgüter sind in den letzten fünf Monaten dieses Jahres um 200 Prozent gestiegen, in manchen Fällen sogar um 500 Prozent. Ein Kilo Fleisch kostet dreimal so viel wie 2011 und ein Baguette fünfmal so viel. Eine Ein-Liter-Flasche Olivenöl kostet 15 LYD und ein paar gute Schuhe 400 LYD. Etliche Güter sind überhaupt nicht mehr erhältlich, weil ihr Preis so unerschwinglich hoch wäre, dass sie der Ladenbesitzer nicht mehr im Sortiment führt.

Woher kommen all diese Probleme? Wir haben immer noch drei Regierungen, zwei Parlamente, einen Staatsrat, zwei Premierminister, jede Menge andere Minister und noch mehr politische Parteien.

Jetzt will einer unserer Premierminister im nächsten März Neuwahlen, der andere Premierminister lehnt sie ab. Ich bin immer noch auf der Suche nach nur einem einzigen Libyer, der sich um Wahlen schert. Jeder hat genug damit zu tun, täglich wenigstens zwei Probleme zu lösen, von denen keines einfach ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden