Kurznachrichten aus Libyen – 05.05.2020

Libyen. Militärische Lage – Libysche Stämme und Städte – Libysches Parlament – ‚Einheitsregierung'/Milizen/Türkei – Coronakrise – Verschiedenes

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Militärische Lage

+ Die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ hatten am 5. Mai einen Stunden andauernden, groß angelegten Angriff mit Bodentruppen und syrischen Söldnern sowie Luftunterstützung durch türkische Drohnen auf den im Westen gelegenen LNA-Luftwaffenstützpunkt Watija gestartet, der allerdings von der LNA zurückgeschlagen werden konnte. Die Milizen haben sich zurückgezogen.
Während die LNA den Kampf um Watija gegen die Milizen als eine Schlacht bezeichnet, die „in goldenen Lettern in die Geschichtsbücher Libyens“ eingehen wird, ließen die Milizen wissen, ihr Rückzug sei nur temporär.
Die vorher so siegessicheren Milizen haben große Verluste erlitten und so erscheint ein erneuter Eroberungsversuch von Watija unwahrscheinlich. Auch nachdem dies bereits der zweite gescheiterte Versuch der Milizen ist, die Watija-Luftwaffenbasis einzunehmen.
In Watija kam der LNA-Kommandant Osama Amsek bei einem Drohnenangriff ums Leben.

+ Die LNA-Streitkräfte rücken in der Abu-Grain-Front (östlich von Misrata) vor.

+ Laut LNA wurden aus dem gesamten Tarhuna-Distrikt die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ vertrieben. Vor wenigen Tagen war ein Versuch der Milizen, die LNA-Hochburg Tarhuna einzunehmen, gescheitert.

+ Die LNA gibt bekannt, sie habe am 5. Mai das Hauptquartier der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in der Stadt Zuwara (westliche Hafenstadt) bombardiert. Dorthin waren nach der Übernahme von Sabrata durch die Milizen etliche der aus dem Gefängnis befreiten kriminellen Schmuggler und Schleuser geflohen. Bereits einen Tag vorher hatte die LNA nahe der vor kurzem von den Milizen eingenommenen Stadt Sorman Luftangriffe auf Milizen der ‚Einheitsregierung‘ geflogen.

+ Die „Abu-Salim-Spezialeinheiten“ der LNA gaben auf Twitter bekannt, sie würden in Tripolis und auf der Flughafenstraße nach heftigen Zusammenstößen mit Milizen der ‚Einheitsregierung‘ auf dem Vormarsch sein.

Libysche Stämme und Städte

+ Der Bürgermeister von Kufra, Mufta Abu Khalil, bestritt, dass es eine Erklärung des Militärrats der Stadt gebe, in der das Mandat für die LNA abgelehnt und ein Festhalten am Skhirat-Abkommen gefordert wurde. Gegenüber Sputnik bekräftigte Khalil, dass der Süden Libyens, seine Militärführer ebenso wie die Stammes- und zivilen Führer, weiterhin fest an der Seite der LNA und des Parlaments stünden. Eine Erklärung, die angeblich aus Mursuk stamme, sei von einem einzelnen Tibu abgegeben worden, der in Verbindung mit tschadischen Gruppen und Boko Haram in Nigeria stehe.

+ Auch in Sebha wurde eine Erklärung veröffentlich, die die volle Unterstützung der LNA und des Parlaments bestätigt.

Libysches Parlament

+ Nach eines Telefongesprächs mit dem US-Botschafter in Libyen, Richard Norland, am 1. Mai, begrüßte Parlamentspräsident Aqila Saleh die jüngste gemeinsame und konstruktive Kommunikation zwischen Libyen und Washington und bezeichnete sie als „wichtig“.
Saleh begrüßte die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um eine Lösung der libyschen Krise, vorausgesetzt, die Lösung respektiere den Willen des libyschen Volkes. Er beglückwünschte auch den US-Botschafter zur Übernahme seiner Verantwortung in Libyen.
https://almarsad.co/en/2020/05/03/aguila-saleh-welcomes-libya-washington-joint-communication/

+ Das Parlamentsmitglied Said Emghaieb sagte, der türkische Präsident Erdogan baue Tunesien zu einer logistischen Basis für seine Streitkräfte auf, um Söldner und Waffen nach Tripolis zu bringen.

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei

+ Nachdem den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ keine durchschlagenden militärischen Erfolge beschieden sind, sagte der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘, Fayez as-Sarradsch, dass der politische Dialog so bald wie möglich wieder aufgenommen werden sollte, sei es durch eine Änderung des derzeitigen Politischen Skhirat-Abkommens und die Schaffung eines neuen Präsidialrats oder durch die Abhaltung von allgemeinen Wahlen.
As-Sarradsch kündigte an, dass er alle politischen Initiativen begrüße, die eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Krise fordern. Er betonte die Notwendigkeit, die Reihen zu vereinen, um die LNA zu besiegen und den demokratischen Zivilstaat aufzubauen.
Anzumerken bleibt, dass Sarradsch erst vor drei Tagen die von der LNA angekündigte Waffenruhe zurückwies.
https://libyareview.com/?p=2377

+ Das Rechnungsprüfungsamt in Tripolis teilte mit, dass der Direktor der Finanzaufsicht über öffentliche Gelder, Resa Qurqab, am 4. Mai verschleppt wurde. Das Amt beschuldigte eine bewaffnete Gruppe, die mit dem Innenmister der ‚Einheitsregierung‘, Fathi Baschaga, in Verbindung steht, für die Entführung verantwortlich zu sein. Qurqab solle sich geweigert haben, Bankkonten und illegale Geldtransaktionen des Innenministeriums durchgehen zu lassen. Es wurde die sofortige und bedingungslose Freilassung von Qurqab gefordert.
https://libyareview.com/?p=2372

+ Der Direktor der libyschen Zentralbank (CBL) in Tripolis, Siddik al-Kebir, griff den Premierminister der Einheitsregierung, as-Sarradsch, scharf an. Sarradsch missbrauche die Ausrufung des Ausnahmezustands, der nur der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie dienen sollte, zu anderen Zwecken. Dies sei gefährlicher als das Coronavirus. Das Exekutivorgan sei auch gar nicht bemächtigt, den Ausnahmezustand auszurufen. Die Coronakrise erlaube es der Exekutivbehörde nicht, die Grundprinzipien des staatlichen Systems zu verletzen, darunter die Rechtsstaatlichkeit, die Gewaltenteilung, die Achtung der öffentlichen Rechte und Freiheiten.
Laut al-Kebir sei es nicht statthaft, dass Sarradsch die Aufnahme des Devisenprogramms trotz fehlender Ölproduktion und -exporte fordere, sowie dass die Gehälter vor der Genehmigung der bezüglichen Regelungen ausbezahlt werden.
Parlamentspräsident Aqila Saleh hatte ähnliche Vorwürfe geäußert. Es gebe keinen Präsidialrat mehr, sondern nur noch den Präsidenten dieses Rates, Sarradsch, der allein Entscheidungen treffe.
Entscheidungen des Präsidialrats müssten laut dem Skhirat-Abkommen von allen neun Mitgliedern einstimmig getroffen werden. Dies war niemals der Fall, auch nicht, als Sarradsch die Abkommen mit der Türkei über militärische Unterstützung und die Hoheitsgewässer traf.
https://almarsad.co/en/2020/05/04/al-kabir-says-sarrajs-monopoly-of-power-is-more-dangerous-than-coronavirus/

+ Die ‚Einheitsregierung‘ hatte verkündet, Tanklastzüge im Süden Libyens bombardiert zu haben. Daraufhin erklärte die LNA, es habe sich nicht um ihre Tanklastzüge gehandelt, sondern um Schmuggel-Lkws.

+ Eine türkische Drohne bombardierte in Zentrallibyen einen Hühnertransporter.
https://almarsad.co/en/2020/05/05/we-targeted-logistical-supplies-of-haftars-militia-qanunu-on-bombing-a-chicken-truck/

+ Am 3. Mai wurde eine türkische Fregatte an der libyschen Küste vor Tadschura gesichtet.

+ Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind zwischenzeitlich 11.000 syrische Söldner von der Türkei nach Libyen verbracht worden, davon sollen über 260 gefallen sein.
https://libyareview.com/?p=2379

+ Die ‚Einheitsregierung‘ gab bekannt, dass Heimflüge von im Ausland wegen Corona gestrandeter Libyer von Flughafen Mitiga in Tripolis auf den Flughafen von Misrata umgeleitet werden.
Der Misrata-Flughafen ist ein Luftwaffenstützpunkt, von dem aus die türkischen Drohnen starten.

Coronakrise

+ Das UNHCR hat in Tripolis mit der Verteilung von Notpaketen an die Zivilbevölkerung begonnen, „um einigen der am stärksten gefährdeten Menschen während des Ramadans und angesichts der neuen Bedrohungen durch Krieg und COVID-19 zu helfen“. Es will insgesamt 4000 Personen erreichen (bei einer Bevölkerung von sechs Millionen!)

Verschiedenes

+ Tunesien befindet sich aufgrund seiner prekären Wirtschafslage fest in der Hand des IWF und der westlichen Staaten. Heise schreibt: „Der IWF geht davon aus, dass Tunesiens Wirtschaft dieses Jahr um 4,3 Prozent einbrechen wird - das wäre das größte Minus seit der Unabhängigkeit des Landes 1956. Die Bank hat dem Land bereits einen Notkredit in Höhe von 745 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt und dürfte in Kürze Verhandlungen über ein neues Kreditpaket mit der Regierung beginnen. […] Die EU und ihrer Mitgliedstaaten dürften früher oder später ebenfalls frisches Kapital nach Tunesien transferieren wollen - und Gegenleistungen fordern. Brüssel dürfte angesichts der regionalen politischen Gemengelage vor allem daran interessiert sein, die Regierung in Tunis zu einer noch engeren Kooperation in der Migrationspolitik zu drängen, will die EU das kleine Land doch verstärkt in das Grenzregime im Mittelmeer einbinden.
Die mit einer solchen Politik einhergehende und von der EU immer wieder geforderte Schließung bzw. verstärkte Absicherung der Grenze zum Nachbarland Libyen wird dabei unvorhersehbare Folgen für die informelle Wirtschaft des Landes haben. Denn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in Südtunesien lebt vom Import libyscher Benzin- und Treibstoffprodukte.
Deren Geschäft steht schon seit Jahren unter enormem Druck, Spannungen zwischen der lokalen Bevölkerung und dem tunesischen Staat über die Schließung von Grenzübergängen sorgt immer wieder für Zündstoff in der Region. Weitere zusätzliche Abriegelungsmaßnahmen an der Grenze und ein abermaliger Rückgang des grenzüberschreitenden informellen Handels dürfte die sozioökonomische Misere in den südlichen Provinzen Tataouine und Medénine zusätzlich anheizen.“
https://www.heise.de/tp/features/Nordafrika-Die-naechsten-soziale-Unruhen-4711444.html?seite=all

+ Bei einem Telefongespräch zwischen dem tunesischen Außenminister Noureddine al-Ray seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas am 4. Mai wurde auch die libysche Krise erörtert. Es bestand Übereinstimmung, dass eine politische Lösung gefunden werden müsse, um den Konflikt zu beenden.

+ Ein Überblick über die Aktivitäten des deutschen Wintershall-Unternehmens in Libyen findet sich auf deren Homepage:
https://wintershalldea.com/de/wo-wir-sind/libyen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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