Kurznachrichten aus Libyen – 10.05.2020

Libyen. Militärische Lage – Libysche Nationalarmee – Libysche Stämme und Städte – ‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei – Coronakrise - Verschiedenes

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Militärische Lage

+ Auf den Drohnenangriff der ‚Einheitsregierung‘ auf den LNA-Stützpunkt Watija am 8. Mai, bei dem neun LNA-Soldaten getötet wurden, antwortete am 9. Mai die LNA mit schwerem Artilleriebeschuss der Mitiga-Airbasis (Tripolis), aus der hohe Flammen schlugen. Getroffen worden sei das Hauptquartier der Einsatzleitung der türkischen Armee.

+ Aus Tripolis werden schwere Kämpfe gemeldet. Es soll sich um die heftigsten Zusammenstöße seit dem Beginn der LNA-Offensive am 4. April 2019 handeln. Etwa 70 Raketen und Granaten wurden auf Stellungen der Milizen in Tripolis abgefeuert.

+ Mehrere Munitionsdepots der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis und Misrata gingen in Flammen auf.

+ Nachdem türkische Drohnen auf Bewohner der Städte Radschan und Zintan Angriffe geflogen haben, haben sich Kämpfer der Stadt Zintan (Bergstadt im Westen Libyens), die der Osama-Dschwaili-Miliz angehören, die auf Seiten der ‚Einheitsregierung‘ stand, von der Front zurückgezogen.
LibyaDesk hatte bereits darauf hingewiesen, dass die politischen Allianzen in Auflösung begriffen sind.

+ Luftangriffe der LNA auf Stützpunkte der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ östlich von Misrata (Abu Grain).

Libysche Nationalarmee (LNA)

+ Der Sprecher der LNA, al-Mismari, kündigte am 6. Mai den Beginn der Luftwaffenoperation „Ababil Birds“ an, die sich gegen die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ richtet.
https://geopolitics.news/africa/libyan-army-is-to-launch-a-military-operation-to-regain-tripoli-and-other-cities-west-libya/

+ Der Sprecher der LNA al-Mismari gab bekannt, beim Vormarsch der Streitkräfte innerhalb Tripolis alle ausländischen Botschaften, Sitze von internationalen Institutionen, ausländischen Firmen sowie libyschen Institutionen zu schützen.
https://twitter.com/spoxlna/status/1258902885548638215/photo/1

+ Laut der italienischen Zeitung NovaNewsAgency gab Mohamed Madi vom Sozialrat in Ghat (Südwestlibyen) bekannt, dass die LNA für Patrouillen an der Grenze zu Algerien zur Sicherung des Gebiets und seiner Öl- und Gaspipelines verantwortlich ist. Der Vereinbarung gingen Gespräche zwischen den Ältesten der Stadt und dem LNA-Kommandanten des südlichen Militäreinsatzgebietes, Qasim al-Abadsch, voraus.
Das Gebiet war bekannt für Aktivitäten von Schleuserbanden und extremistischen Gruppen.

Libysche Stämme und Städte

+ Nachdem der US-amerikanische Botschafter in Libyen die Bitte nach Öffnung der Erdölanlagen geäußert hatte, erklärte am 8. Mai der stellvertretende Vorsitzende für Erdölangelegenheiten im Obersten Rat der libyschen Scheichs und Ältesten, Scheich al-Senussi al-Heliq al-Zawi, man würde sich über die Wiederinbetriebnahme der Ölfelder freuen, sofern die Forderungen des libyschen Volkes erfüllt worden sind:
Erstens müsse die National Oil Corporation (NOC) ihren Hauptsitz wieder nah Bengasi verlegen und einen neuen Vorsitzenden und neue Verwaltungsräte einsetzen.
Zweitens müsse auch die libysche Zentralbank (CBL) in die östliche Region zurückkehren, da Tripolis nicht mehr sicher ist. Auch hier müsse es einen neuen Verwaltungsrat geben.
Drittens müssten sich die ausländischen Streitkräfte, die in Tripolis eine Invasion durchführen, zurückziehen.
Die Scheichs, Honoratioren und Stämme Libyens seien in Abstimmung mit dem Generalkommando der LNA und dem Parlament nach Erfüllung dieser drei Forderungen bereit, Verhandlungen über die Wiedereröffnung der Ölfelder aufzunehmen.
Durch die Schließung der Ölfelder werde die Finanzierungsquelle für die syrischen Söldner, für terroristische Gruppen und für den Kauf von Waffen, welche die libysche Bevölkerung töteten, ausgetrocknet.
Al-Heliq betonte die Notwendigkeit, auf einen politischen Konsens und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit hinzuarbeiten, die von allen Beteiligten unterstützt wird. Das politische Abkommen von Skhirat habe alle nachfolgend eingetretenen Katastrophen verursacht. Es gebe eine Agenda, die Libyen und seine Bevölkerung an den Meistbietenden versteigern wolle.
Al-Heliq betonte die Notwendigkeit, das Politische Abkommen von Skhirat zügig zu beenden. Es müsse eine von den Libyern gebilligte Regierung gebildet werden. Der Fehler des Skhirat-Abkommens, eine Regierung mit einer auswärtigen Agenda einzusetzen, dürfe sich nicht wiederholen.
https://almarsad.co/en/2020/05/09/al-heliq-to-us-ambassador-oil-fields-will-reopen-once-the-invaders-withdraw-from-tripoli/

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei

+ Der türkischen Geheimdienstchef besuchte am 8. Mai Misrata.

+ Laut Medien der ‚Einheitsregierung‘ ist der Geheimdienstchef der ‚Einheitsregierung‘, Generalmajor Abdul Qadir al-Tohamy, an einem Herzinfarkt verstorben.

+ Der Medienberater des Gesundheitsministeriums der ‚Einheitsregierung‘, Amin Al Hashemi, musste zugeben, dass die Geschichte um den Tod einer Familie in Ain Zara frei erfunden war. Al-Hashemi hatte geschrieben, vier Familienmitglieder seien beim Frühstück durch einen Raketenangriff der LNA ums Leben gekommen. Die erfundene Geschichte hatte weite Verbreitung in den Medien bis hin zu al-Jazeera gefunden, war aber durch Recherchearbeiten von Journalisten aufgeflogen. Es soll sich nicht um den ersten Fall dieser Art von falscher Berichterstattung durch die Medien der ‚Einheitsregierung‘ handeln.
https://almarsad.co/en/2020/05/09/fake-news-gnas-al-hashimi-says-story-of-murder-of-al-tawati-family-by-the-lna-was-false/

+ Skandal um Beisetzung von Firas as-Salluqi, auch genannt „Der Wilde“. Salluqi war wegen Menschenhandels, Schmuggels und anderer Verbrechen gesucht und letzte Woche getötet worden als er an der Seite der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ am missglückten Angriff auf den LNA-Luftwaffenstützpunkt al-Watija teilnahm.
Um an seiner Beisetzung teilnehmen zu können, waren Familienmitglieder aus der Türkei per Flugzeug nach Misrata gekommen, wohl ohne vorher auf Covid-19 getestet und in Quarantäne genommen worden zu sein, wie es eigentlich zwischen der ‚Einheitsregierung‘ und der Türkei für Teilnehmer an Rückführungsflügen von in der Türkei gestrandeten Libyern vereinbart ist.
Amna Emtair, Mitglied des Hohen Staatsrates und führendes Mitglied der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau (Muslimbruderschaft), rechtfertigte das Verhalten der Familienmitglieder von as-Salluqi. Emtair. Sie sagte auch: „Der Vorsitzende des Hohen Staatsrates Khaled al-Mischri intervenierte, um sicherzustellen, dass sie den ersten Flug nach Hause nehmen können, damit die Mutter, die ihren Sohn für Tripolis geopfert hat, einen letzten Blick auf ihn werfen kann.“
Laut einem Brief des Corona-Komitees in Misrata an das Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘ sind weitere neun Libyer ohne Testung aus Istanbul in Misrata angekommen. Dies verstoße gegen die Vereinbarungen und gefährde die Gesundheit und Sicherheit der libyschen Bürger.
https://almarsad.co/en/2020/05/09/amna-emtair-the-media-storm-around-al-wahshis-family-is-meant-to-cover-up-failure-to-test-other-people/

+ Laut dem syrischen Parlamentarier Mohammed Fawaz halte der türkische Präsident Erdogan mit Absicht die syrischen Kämpfer von seinem eigenen Land fern. Es sei ihm egal, ob sie getötet werden oder nicht. Damit sie weiter von ihm Unterstützung bekommen, müssen sie seinen Befehlen gehorchen. „Weit weg von der eigenen Grenze ist er vor ihrer Meuterei sicher. Der Stachel des Skorpions kann seinem Land nicht gefährlich werden.“
https://almarsad.co/en/2020/05/09/syrian-official-erdogan-decided-to-rid-his-borders-of-terrorism-and-mercenaries-invested-them-in-libya-instead/

Coronakrise

+ Am 6. Mai betrugt laut des Libyan National Centre for Disease Control (NCDC) die Zahl der an Covid-19 Erkrankten 64.

Verschiedenes

+ Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtet, sind gleich mehrere Bataillone der syrischen Sultan-Murad-Miliz zur Syrischen Armee übergelaufen, weil die Kämpfer gegen weitere Einsätze in Libyen sind. Die Zahl der Überläufer wird auf 700 geschätzt.
Die Zahl der im Kampf mit der LNA in Libyen gefallenen syrischen Kämpfer wird auf über 260 geschätzt. Insgesamt sollen 11.000 syrische Söldner von der Türkei nach Libyen gebracht worden sein.
https://libyareview.com/?p=2440

+ Die Türkei erpresst die sogenannte „Freie Syrische Armee“ mit der Aufdeckung von „Skandalen“, sollte sie sich weigern, weiterhin Kämpfer nach Libyen zu entsenden, um mit Milizen der ‚Einheitsregierung‘ gegen die LNA zu kämpfen. Auch die finanzielle Unterstützung für diese syrischen Kampfgruppen wurde eingefroren.
Nachdem bekannt wurde, dass die Türkei mehrere Versprechen, die sie den syrischen Söldner gab, nicht eingehalten hat, ist die Anzahl der Syrer, die sich für den Kampf in Libyen melden, drastisch eingebrochen.
https://www.addresslibya.net/archives/56281

+ In einer Online-Konferenz mit NATO-Vertretern warnte General Konstantinos Floros vom griechischen Generalstabs für Nationale Verteidigung (HNDS) vor den Folgen der anhaltenden türkischen Provokation in der Ägäis und deren Verletzung des gegen Libyen verhängten Waffenembargos. Er sagte, die fortgesetzte Verletzung des griechischen Luftraums drohe zu einer militärischen Reaktion Griechenlands zu führen. Die Nato müsse die Türkei davon abhalten, weiter das UN-Waffenembargo zu verletzen und ausländische Kämpfer nach Libyen zu bringen.
https://libyareview.com/?p=2517
Über die „Luftkämpfe“ türkischer und griechischer Kampfjets in der Ägäis berichtet auch RT.
https://deutsch.rt.com/europa/102174-nato-talk-einmal-anders-griechische

+ Der Vorsitzende der oppositionellen Türkischen Demokratischen Volkspartei (HDP), Mithat Sancar, hält die militärische Intervention der Türkei in Libyen für einen Fehler, da sie Konflikte in der Region schüre. Seine Partei sei gegen den Einsatz von Gewalt in Libyen.
https://libyareview.com/?p=2428

+ Der tunesische UN-Botschafter Qais Qebatni betonte die Bedeutung von Einheit und Stabilität Libyens für die tunesische Regierung. Er lehnte jede Art ausländischer Einmischung in Libyen ab.
https://libyareview.com/?p=2421

+ Sechs tunesische Oppositionsparteien haben ihre totale Ablehnung aller türkischen Aktivitäten auf tunesischem Boden deutlich gemacht und die Behörden nachdrücklich aufgefordert, ihre unentschiedene Haltung gegenüber türkischen Aktionen in Tunesien, die auf die Unterstützung von Milizen und Terroristen hinauslaufen, zu vermeiden. Die Parteien forderten die Behörden auch auf, „sich klar gegen eine ausländische Militärpräsenz in der Region zu stellen“.
Die linke Arbeiterpartei, die Volksfront, die Sozialistische Partei, die Baath-Bewegung sowie Tunesien-Vorwärts und die al-Qutb-Partei prangerten jeden Versuch an, „Tunesien auf Kosten seiner nationalen Sicherheit sowie der Sicherheit und Stabilität des libyschen Volkes in das Ringen der regionalen Machtzentren zu verstricken“.
https://www.addresslibya.net/archives/56332

+ Das deutsche Parlament hat der Entsendung von 300 deutschen Soldaten zur Unterstützung der EU-Mittelmeermission Irini zugestimmt.

+ Frankreich kündigte an, sich mit zwei weiteren Fregatten an der EU-Mission Irini im Mittelmeer zu beteiligen. Zwei Fregatten sind bereits im Einsatz. Irini soll das von der UN verhängte Waffenembargo gegen Libyen überwachen.
https://www.navalnews.com/naval-news/2020/05/france-deploys-two-frigates-as-it-joins-operation-irini-to-enforce-libya-arms-embargo/

+ Dagegen hat Malta formell die EU darüber informiert, sich nicht länger an Irini beteiligen zu wollen.

+ Italiens Außenminister Luigi Di Maio erörterte telefonisch die Lage in Libyen mit dem libyschen Parlamentspräsidenten Aquila Saleh.

+ Der Osten Libyens (Brega, Ras Lanuf) wurde von einem leichten Erdbeben heimgesucht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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