Kurznachrichten aus Libyen – 19.02.2020

Libyen. Bedeutsames Stammestreffen in Tarhuna – Militärische Lage – UNO – Waffenembargo – Politik – Türkei – Ausland

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Libysche Stämme

Beeindruckende Direktübertragung des Stammestreffens auf Twitter (leider nur auf Arabisch):
https://www.facebook.com/LibyaAlhadathLive/videos/486532945371146/

+ Zu dem großen, zweitägigen Stammestreffen am 19. und 20. Februar sind in der Stadt Tarhuna hunderte libyscher Stammesführer aus ganz Libyen eingetroffen. Das Thema lautet: „Joining the Fight for Freedom“ (Vereinigt im Kampf für die Freiheit).
Die Stämme haben die Ölanlagen geschlossen. Sie sollen erst wieder geöffnet werden, wenn die syrischen Söldner und das türkische Militär Libyen verlassen haben. Die Verluste durch die Schließungen betragen bisher 1,7 Mrd. US-$. Die Stämme verweisen darauf, welche riesigen Summen seit 2012 gestohlen und zur Seite geschafft wurden und was für ein blühendes Land Libyen heute sein könnte, wären die Öleinnahmen dem Land zugutegekommen.
Kritisiert wurde von den Stämmen auch die unangemessene Besetzung der Gesprächsgruppen bei den UN-Gesprächen, an denen auch Moslembrüder und Dschihadisten teilnähmen sowie die ungerechte Verteilung der libyschen Öleinnahmen.
Vermutlich werden die Stammesführer bei dem Treffen auch ihre Unterstützung für die Libysche Nationalarmee (LNA) bekräftigen.

Tarhuna dürfte als Tagungsort nicht zufällig gewählt sein. Im Stadtzentrum befindet sich ein Denkmal für Ali Swidan al-Hatmy, der sich im Kampf gegen die italienischen Kolonisatoren in der Schlacht von el-Shqiga im Jahre 1915 als Held erwies. Al-Hatmy wurde 1922 von den Italienern gehängt. Noch zu bemerken: Die Mitglieder des Tarhuna-Stammes standen 2011 loyal zu Muammar al-Gaddafi.

In den Gesprächen mit Vertretern ausländischer Regierungen in Bengasi verwies der Oberbefehlshaber der LNA, Khalifa Haftar, auf die Bedeutung der libyschen Stämme: Nicht die internationale Gemeinschaft, sondern die libyschen Stämme stellten die echte und legitime Autorität in Libyen dar.

Das Stammestreffen wird von Einheiten der LNA und der örtlichen Polizei geschützt.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1230074381055012864/photo/1

Militärische Lage

+ Die LNA hat ein türkisches Militärausrüstungs- und Munitionslager im Hafen von Tripolis beschossen. Es erfolgte eine weithin sichtbare Explosion.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1229837261723840515
Luftaufnahmen von ISI:
https://twitter.com/ImageSatIntl/status/1229837340299927558/photo/1

[Die LNA hat die Durchsetzung des Waffenembargos jetzt selbst in die Hand genommen].

+ Die National Oil Corporation (NOC) gab bekannt, sie habe alle Tanker aus dem Hafen evakuiert.

+ Aus der Hauptstadt Tripolis wurde schwerer Artilleriebeschuss gemeldet.

+ Wie die LNA bekanntgab, hat sie zwei türkische Drohnen abgeschossen, eine unmittelbar nach deren Aufstieg am Mitiga-Flughafen in Tripolis.

+ Die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ beschossen Gaser Bin Gashir (Tripolis) mit Grad-Raketen. 21 Zivilisten wurden getötet und vier Häuser zerstört.

+ Gegen syrische Söldner, die für die ‚Einheitsregierung‘ kämpfen, wurden in Tripolis (Victoria’s Garden) Luftangriffe geflogen.

+ Laut dem Minendienst der Vereinten Nationen stellen in Libyen nicht explodierte Bomben eine zunehmende Bedrohung für die Zivilbevölkerung dar.

+ Der Libysche Rote Halbmond versorgt in Sirte etwa 200 Familien, die aus dem Kampfgebiet in Al-Hishah östlich von Misrata geflohen sind und nun in Schulen und öffentlichen Gebäuden untergebracht wurden.

UNO

+ Der Premierminister der sogenannten ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Fayez as-Sarradsch, erklärt, die Teilnahme von allen UN-gestützten Gesprächen mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) im militärischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich wegen des Beschusses im Hafen von Tripolis auszusetzen. Die Verhandlungen unter Vermittlung der Vereinten Nationen waren erst am Dienstag (18. 2.) fortgesetzt worden. Um an den 5+5-Militärgesprächen teilzunehmen waren ranghohe Militärs der ‚Einheitsregierung‘ und der LNA nach Genf gereist. Allerdings wollten die beiden Seiten nur indirekt ohne ein persönliches Treffen miteinander kommunizieren.
Die Absage der ‚Einheitsregierung‘ wurde vom türkischen Präsidenten Erdogan begrüßt.

+ Die Stämme haben ihre Forderungen an den UN-Sondergesandten für Libyen, Ghassan Salamé, gesandt. Er sagte, die Forderungen erschienen ihm recht grundsätzlich; sie würden bei den Wirtschaftsverhandlungen behandelt werden.

Waffenembargo

+ Am 2. Februar war der libanesische Frachter Bana von den italienischen Behörden in Genua beschlagnahmt und der Kapitän wegen Waffenhandels verhaftet worden. Nun hat der Kapitän gestanden, dass das Schiff Waffen und Militärfahrzeuge, die im türkischen Hafen von Mersin zugeladen worden waren, zusammen mit dutzenden türkischen Soldaten transportiert habe. Die Schiffsbesatzung sagte bei den Vernehmungen, sie sei von der türkischen Armee und dem Geheimdienst gezwungen worden, darüber zu schweigen, was in Libyen tatsächlich entladen wurde.
https://almarsad.co/en/2020/02/19/captain-confesses-that-bana-was-carrying-freight-of-weapons-and-armored-vehicles-from-the-turkish-army-for-libya/

+ Der Vorsitzende der Partei der Moslembruderschaft Gerechtigkeit und Aufbau, Mohamed Sawan, bezeichnete die Entscheidung der Europäischen Union, See- und Luftmissionen zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen zu planen, als „verdächtig“. Sawan meinte, dass die Überwachung nur von den Vereinten Nationen durchgeführt werden könne und die Überwachung der Landesgrenze zu Ägypten einschließen sollte.

Politik

+ Karte von libyschen Vermögenswerten, die von terroristischen Organisationen und der ‚Einheitsregierung‘ kontrolliert werden:
https://twitter.com/LNA2019M/status/1229894996796547072/photo/3

+ Der Außenminister der Übergangsregierung (Tobruk), Abdul Hadi al-Hweij, war Gast auf einer Nahost-Konferenz des russischen Waldai-Klubs, die in Moskau stattfand. Al-Hweij sagte, was in Libyen geschehe, sei keine ‚Einmischung‘ der Türkei, sondern ein ‚aggressiven Akt‘. Es sei der Versuch der Türkei, Libyen zu erobern.
[Der Internationale Diskussionsklub „Waldai“ ist ein alljährlich im Herbst stattfindendes Treffen von russischen und ausländischen Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern.]

+ Die LNA veröffentlicht Fotos, wie Anhänger verschiedener politischer Richtungen friedlich gemeinsam gegen die türkische Intervention und die ‚Einheitsregierung‘ demonstrieren:
https://twitter.com/LNA2019M/status/1229493178400694272

+ Das libysche Parlament hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, das libysche Volk beim Aufbau eines Staates, der sich auf das Gesetz und seine Institutionen gründet, zu unterstützen.

+ Der Vorsitzende der libyschen Muslimbruderschaft und des Staatsrats in Tripolis, Khaled al-Mashri, sagte, er rechne in Libyen nicht mit einer politischen Lösung. Die militärischen Kapazitäten der ‚Einheitsregierung‘ hätten sich erheblich verbessert. Es sei mit Überraschungen zu rechnen. Man vertraue auch nicht darauf, dass die internationale Gemeinschaft eine Lösung in Libyen herbeiführen könne. Eine militärische Lösung sei praktikabler.

+ Feldmarschall Haftar hat sich in Bengasi mit dem Botschafter der USA in Libyen, Richard Norland, getroffen. Haftar bekräftigte, die LNA werde ihren Kampf gegen Terroristen und Söldner, die von der Türkei nach Libyen gesandt wurden, fortsetzen.

+ Der algerische Außenminister Sabri Bu-Qadum ist zu Gesprächen mit der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis eingetroffen.

Türkei

+ Der türkische Präsident Erdogan sagte bei einem Treffen seiner Partei in Ankara, dass die Türkei fest an der Seite der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis stehe. Sollte keine faire Übereinkunft bei den internationalen Gesprächen erreicht werden, sei die Türkei bereit, der ‚Einheitsregierung‘ zu helfen, die Kontrolle über ganz Libyen zu erlangen.
https://www.addresslibya.co/en/archives/54045

+ Die Türkei wird vom französischen Präsidenten Macron beschuldigt, in Frankreich Extremisten unterstützt zu haben. Macron kündigte an, Zentren und Projekte der Moslembruderschaft, die von der Türkei finanziert werden, einer genauen Überprüfung zu unterziehen.

+ RT schreibt, dass es der Türkei nicht in erster Linie um Libyen, sondern um die Erdgasvorkommen in den Gewässern um die geteilte Insel Zypern im östlichen Mittelmeer gehe. Es fühle sich vom Eastern Mediterranean Gas Forum (EMGF), dem Ägypten, Griechenland, Israel, Italien, Jordanien, Palästina und Zypern angehören, ausgeschlossen. Das EMGF wurde Mitte Januar 2020 gegründet, Frankreich und USA bekundeten inzwischen ihr Interesse, dem Forum beizutreten.
Da sich die Sarradsch-Regierung in Tripolis kurz vor dem Zusammenbruch befand, schloss sie ein rechtlich nicht haltbares Abkommen mit der Türkei, dass im Gegenzug für Militär- und Waffenhilfe Zugang zu den Gewässern des östlichen Mittelmeers zusagte. Gleichzeitig steht die Drohung der Türkei im Raum, es könnten die über drei Millionen Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten, wieder in Richtung Europa in Bewegung gesetzt werden.
Ein erster Schritt zur Lösung des Libyenproblems könne die Aufnahme der Türkei in das EMFG sein. Längerfristig müsste das Zypern-Problem gelöst werden.
https://deutsch.rt.com/europa/98158-zypern-ist-schluessel-im-libyenkonflikt/

Ausland

+ Laut einem ägyptischen Militärsprecher führt die ägyptische Luftwaffe gemeinsam mit der französischen Luftwaffe unter Beteiligung des Flugzeugträgers Charles de Gaulle eine Militärübung durch.

+ Der italienische Außenminister sagte, die Europäische Union werde eine See- und Luftfahrtmission durchführen und falls erforderlichen auch Bodentruppen einsetzen, um das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen.

+ Der russische Außenminister Lawrow sagte, ihm sei die Bedeutung der Aussage der EU, die territoriale Unversehrtheit Libyens zu gewährleisten, nicht klar. Die Libyer seien für ihre territoriale Unversehrtheit selbst verantwortlich. Die Internationale Gemeinschaft könne nur dabei helfen, die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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