Kurznachrichten aus Libyen – 23.02.2020

Libyen. Libysche Stämme – Erdöl – Militärische Lage – ‚Einheitsregierung‘ – LNA – USA – UNO – EU –Russland – Algerien – Moslembrüder

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Libysche Stämme

+ Der Leiter der Nationalen Aktionsgruppe, Khaled al-Tordschuman, sagte in einem Gespräch mit dem ägyptischen Kanal Extra News, dass die Stämme das Land von allen Banden und Milizen befreien und die Ölblockade aufrechterhalten werden, bis Libyen vollständig befreit ist.
Das Ergebnis des Stammestreffens in Tarhuna hätte die internationale Gemeinschaft in eine peinliche Situation gebracht. An dem Tarhuna-Treffen hätten alle libyschen Stämme teilgenommen, einschließlich diejenigen, deren Gebiete sich derzeit noch unter der Kontrolle von Milizen befinden. Alle Stämme seien sich darin einig gewesen, dass die einzige Lösung bezüglich der Milizen darin bestehe, sie vollständig aus Tripolis zu entfernen.
Er erklärte, dass der türkische Präsident Erdogan in Libyen sein eigenes Grab schaufeln werde, weil er weder mit dem Land noch den Menschen vertraut ist, mit denen er es dort zu tun habe. Tordschuman betonte: „Wenn international die Bereitschaft besteht, die Milizen aufzulösen und sie ohne Gewalt zu entwaffnen, sollen sie uns zeigen, wie dies funktioniert. Andernfalls werden wir gezwungen sein, Gewalt anzuwenden.“ Und weiter: „Wir werden Erdogan nicht erlauben, Libyen zu einem Krisenherd zu machen, um den Nachbarländern, insbesondere Ägypten, Probleme zu bereiten. Erdogan hat keine andere Lösung, als seine Söldner aus Tripolis abzuziehen, weil die libyschen Streitkräfte das Land vom Terrorismus befreien werden“.
https://almarsad.co/en/2020/02/22/torjuman-oil-fields-must-remain-closed-until-libya-is-liberated-from-erdogans-mercenaries/

LNA

+ Laut ihrem Sprecher al-Mismari will die LNA kein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnen, bevor sich nicht die Söldner und das türkische Militär aus Libyen zurückgezogen haben.

+ Al-Mismari begrüßte die Ankündigung der EU, mit einer neuen Mission im Mittelmeer das Waffenembargo zu überwachen.

+ Die LNA sagte, sie werde alle auf dem Stammestreffen in Tarhuna getroffenen politischen Entscheidungen akzeptieren und sich den Beschlüssen der Stammesführer unterwerfen.
Allerdings werde es keinen Frieden geben, keinen Waffenstillstand, keine Verhandlungen mit Terrorgruppen oder mit türkischem Militär auf libyschen Boden.

+ Al-Mismari sagte auch, nach den letzten Statements von Erdogan habe man den Eindruck, er sei der Bürgermeister von Tripolis. Es könne mit den Invasoren (Türkei und syrische Söldner) kein Waffenstillstandsabkommen geben.

+ Am 19. Februar traf der Oberkommandierende der Libyschen Nationalarmee (LNA), Khalifa Haftar, zu Gesprächen mit dem russischen Verteidigungsminister Sergei Shoigu in Moskau ein. In einer Presseerklärung des Moskauer Verteidigungsministeriums hieß es, dass es keine Alternative zu einer politischen Lösung und zum Eintreten für Libyens „Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität“ gebe.

Erdöl

+ Der libysche Außenminister der Übergangsregierung (Tobruk), Abdelhadsch al-Houij (auch: Abdul Hadi al-Hweij) sagte, die Schließung der Erdölanlagen würde beendet werden, „wenn den Libyern die gerechte Verteilung ihrer Ressourcen garantiert wird“.
Laut Abdelhadsch al-Houij werden die Ölressourcen „von unserer Regierung und ihrer Armee geschützt“. „Wir bezahlen die Bewachung der Anlagen und schützen die Ausländer, die in den Ölanlagen arbeiten.“
Houij nahm an einer Konferenz über den Nahen Osten teil, die vom in Moskau ansässigen Think Tank Waldai-Klub veranstaltet wurde.
Die Libysche Zentralbank in Tripolis wird von der ‚Einheitsregierung‘ kontrolliert. Es wird ihr vorgeworfen, die syrischen Söldner und die türkischen Waffen zu finanzieren.
Die Erdölanlagen des ganzen Landes sind seit Wochen durch einen Beschluss der libyschen Stämme geschlossen.

+ Abdelhadsch al-Houij traf in Moskau auch mit dem Beauftragten für den Nahen Osten und stellvertretenden russischen Außenminister, Mikhail Bogdanow, zusammen. https://apnews.com/4947f4dc2cb346ca0f8d92cf1972af37

Militärische Lage

+ Die LNA erklärt, ihre Aufklärung habe die Ankunft von türkischen Waffen und Militärfahrzeugen im Hafen von Misrata beobachtet.

+ Wie Sputnik News meldete, wurden 16 türkische Militärs und mehr als hundert syrische Söldner bei Kämpfen in Tripolis getötet.
https://sputniknews.com/africa/202002231078386645-at-least-16-turkish-servicemen-die-in-clashes-in-libyas-tripoli---reports/
Der türkische Präsident Erdogan hat in einer Rede vor seinen Anhängern den Tod von türkischen Soldaten in Libyen bestätigt.

+ Die Libysche Nationalarmee (LNA) flog Angriffe in Westlibyen auf Ziele im Mellitah-Erdöl- und Gaskomplex, im Hafen, im Zuwara-Flughafengelände und am Grenzübergang nach Tunesien Ras Jedir.

+ Heftige Zusammenstöße mit schweren Waffen werden in Richtung al-Zayyana (südöstlich von Tripolis) gemeldet

+ Die LNA hat im südlich von Misrata gelegenen Wadi Zamzam Luftangriffe gegen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ geflogen.

+ Die LNA bestätigt, dass beim Beschuss der türkischen Fracht (Waffen und Militärausrüstung) im Hafen von Tripolis am 18. Februar ein türkischer Offizier, ein türkischer Geheimdienstler und ein syrischer Übersetzer ums Leben gekommen sind.

‚Einheitsregierung‘ in Tripolis

+ In ihrer Verzweiflung scheint die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis zu allem bereit. Ihr Innenminister Fathi Bashagha hat die USA aufgefordert, einen US-Militärstützpunkt in Libyen zu errichten, um den Einfluss Russlands in dieser Region zurückzudrängen. Dies dürfte die Libyer genauso auf die Palme bringen wie die Abmachung der ‚Einheitsregierung‘ mit der Türkei über eine Militärhilfe.
Bashagha scheint sich auf einen in diesem Monat veröffentlichten Bericht des leitenden Generalinspektors des Pentagon zu beziehen, in dem es heißt, dass die Aktivitäten Russlands in Libyen und Nordafrika „erhebliche Herausforderungen für die Vereinigten Staaten und ihre Partner“ darstellten und die militärischen Beziehungen zu den Ländern in der Region untergraben.
https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-02-22/libya-wants-the-u-s-to-set-up-a-military-base-to-counter-russia

+ Milizen in Tripolis griffen Beamte im Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ an und entführten sie, darunter Oberst Nadschi as-Zoubi, der die gegen Milizen erhobenen Anklagen wegen Verrats leitet.

+ Der Premier der ‚Einheitsregierung‘, Sarradsch, hat sich mit dem US-amerikanischen Botschafter in der Türkei (!), David Satterfield, in Istanbul getroffen. Die LNA wirft ihm diesbezüglich die vollständige Aufgabe jeglicher libyscher Souveränität vor.

+ Wie die New York Post aufdeckte, will der von der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis eingesetzte und umstrittene UN-Botschafter für Libyen in New York, Taher el-Sonni, eine Immobilie des libyschen Staates in New York vermieten. Das sogenannte Libyenhaus diente bisher als Residenz für libysche Gesandte bei UN-Besuchen in New York. El-Sonni dürfte nicht dazu berechtigt sein, eine Vermietung zu veranlassen. Ungeklärt ist auch, in welche Kasse die Mieteinnahmen fließen werden. Es wird vermutet, dass die Vermietung vor der libyschen Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollte.
https://almarsad.co/en/2020/02/22/hassan-al-saghir-offering-libya-missions-property-in-new-york-for-rent-contravenes-libyan-law/

+ Am 20. Februar ist der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Sarradsch, zu Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in Istanbul eingetroffen.

+ Der türkische Präsident Erdogan hat von der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis gefordert, 1,5 Milliarden US-$ innerhalb einer Woche auf türkische Banken zu überweisen. Der Geldtransfer soll über libysche Bankkonten in Großbritannien, Frankreich und Italien abgewickelt werden.

USA

+ Der Vorsitzende des libyschen Institute for Advanced Studies (LIAS), Dr. Aref Ali Nayed, traf sich im Weißen Haus in Washington mit dem US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsteam, um die Ergebnisse des Stammestreffens in Tarhuna und die Anwesenheit syrischer Söldner in Libyen zu besprechen.

+ Der US-amerikanische Botschafter Richard Norland traf sich am 19. Februar mit dem Chef der NOC, Mustafa Sanella, in Tripolis. Gesprächsthema war auch die Schließung der Ölanlagen durch die libyschen Stämme. Norland habe noch einmal zur Wiederöffnung der Anlagen und zur Wiederaufnahme der Genfer-Gespräche aufgerufen.

UNO

+ Die politischen Gespräche zwischen den verschiedenen politischen Akteuren in Libyen sollen am 26. Februar in Genf fortgesetzt werden.

+ In Genf wurden die Gespräche über einen Waffenstillstand zwischen militärischen Vertretern der LNA und der ‚Einheitsregierung‘ wieder aufgenommen.

+ Die LNA teilte auf Twitter mit: Sollte der Genf-Dialog nicht zu Sicherheit und Frieden führen und sollten die Söldner nicht dahin zurückkehren, woher sie gekommen sind, dann werden die Streitkräfte ihre nationale und verfassungsmäßige Pflicht erfüllen und die Bürger ebenso wie die libysche Souveränität zu schützen wissen.

EU

+ Der Europarat forderte die italienische Regierung dazu auf, jede Unterstützung für die Küstenwache der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis einzustellen und die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten.

+ Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des libyschen Parlaments, Youssef al-Agouri, begrüßte die europäische Entscheidung über die Überwachung des Schiffsverkehrs im östlichen Mittelmeer, um das Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats durchzusetzen.

Russland

+ Der russische Außenminister Lawrow sagte, dass die außerlibyschen Akteure keine konkurrierenden Initiativen entwickeln, sondern die Maßnahmen untereinander abstimmen sollten, damit eine stabile libysche Regelung gefunden werden könne.

Algerien

+ Der algerische Präsident Abdelmadschid Tebboune sagte, er sei unvoreingenommen und stehe allen Parteien in Libyen gleich nahe.

Moslembrüder

+ Der Vorsitzende des Verteidigungs- und Nationalen Sicherheitskomitees des ehemaligen Nationalkongresses, Abdel Moneim El-Yossir, sieht große Gefahren für die libysche Jugend durch die Übernahme dschihadistischen Gedankenguts.
„Seit 2005 schafft es die Moslembruderschaft, im libyschen Staat Fuß zu fassen. Nachdem die geheime terroristische Moslembruderschaft in den 90er Jahren damit gescheitert war, das Regime zu stürzen, versuchte sie es mit Täuschung. Der Arabischen Frühling bot ihr die günstige Gelegenheit, arabische Regierungen zu stürzen. Dies war der erste Schritt, der Rest der Region sollte folgen.“ Und weiter: „Sie nutzten die Schwäche der nationalen politischen Kräfte und das fast vollständige Fehlen von entsprechenden Organisationen. Außerdem wurden die Sicherheits- und Militäreinrichtungen des Staates komplett zerstört. Die meisten Milizen wurden erst nach Beendigung der Kämpfe 2011 aufgebaut.“
https://almarsad.co/en/2020/02/21/yossir-muslim-brotherhood-delivered-extremist-ideology-to-libyan-youth/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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