Kurznachrichten Libyen – 03.04.2020

Libyen. Militärische Lage – Coronakrise – Libysche Nationalarmee – ‚Einheitsregierung‘ – Terrorismus – Europäische Union - Verschiedenes

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Militärische Lage

+ Aktuelle Karte der militärischen Lage in Libyen:
https://twitter.com/LNA2019M/status/1245788364869111811/photo/1

+ Am 1. April wurde von einem türkischen Kriegsschiff an der Küste vor Sabrata (55 km westlich von Tripolis) eine RIM-66E-05-Sam-Rakete abgefeuert. Die Missile wurde von der LNA-Luftverteidigung abgeschossen und schlug ohne Schaden anzurichten nahe von al-Adschaylat ein.
Generalmajor Faradsch al-Mahdawi, Stabschef der Marine, sagte, dass die LNA-Streitkräfte auf alle Eventualitäten vorbereitet sind und dass die Marine den Befehl hat, jedes türkische Kriegsschiff anzugreifen, das sich auf die libysche Küste zubewegt.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1245285663685193729
Es wird spekuliert, ob der Raketenabschuss als ein Protest auf die EU-Operation Irini vor der libyschen Küste oder als eine Rache für den Beschuss des Air College gewertet werden soll. Am Vortag hatte die LNA Luftangriffe gegen das Air Collage (Militärbasis) in Misrata geflogen. Dort werden Drohnen und Militärgüter gelagert und dort befindet sich auch das Einsatzzentrum des türkischen Militärs. Es sollen zwanzig türkische Militärs bei dem Angriff ums Leben gekommen sein.
https://addresslibya.net/archives/55388

Der EU-Operation Irini wird vorgeworfen, gegen das türkische Kriegsschiff, das eine Rakete auf Libyen abfeuerte, nichts unternommen zu haben. Auch von Seiten der UN-Sondermission für Libyen erfolgte keinerlei Reaktion.

+ Am 1.4. war das Hauptquartier der ‚Einheitsregierung‘ im Süden von Tripolis (nahe Husain-Friedhof) Ziel der LNA-Angriffe.

+ Die LNA-Truppen sind in Tripolis in den Gebieten al-Hadba, Ain Zara und Abu Salim vorgerückt. Die LNA kontrolliert nun die Kreuzung nach Rushbush Abu Salim in Tripolis.

+ Beim Vormarsch der LNA im Gebiet von Aziziya (Llad Talis und Rashfana) kam es am 2.4. zu heftigen Kämpfen.

+ Am 2.4. wird ein Angriff der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ auf die LNA im Gebiet von al-Waska gemeldet. Die LNA-Luftverteidigung schoss daraufhin ein Flugzeug der ‚Einheitsregierung‘ ab. Beide Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

+ Milizen der ‚Einheitsregierung‘ schießen mit Mörsergranaten auf Wohngebiete nahe der al-Kahili-Moschee im Gebiet von Ain-Zara.

+ LNA-Luftangriffe auf Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in Abu Grein und im Wadi Zamzam (südlich von Misrata) dauern an.

+ Nach zielgenauem LNA-Beschuss explodierte am 3.4. ein türkisches bzw. Milizen-Munitionslager (Militärcamp 77) in Tripolis.

+ Die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ führen einen Luftangriff auf Zuwara aus.

+ Am 2.3. erfolgte ein Angriff der ‚Einheitsregierung‘ mit türkischen Drohnen auf drei mit Diesel beladene Lastwagen nahe der Stadt Bani Walid

+ Am 2.4. wurde der Milizenführer der ‚Einheitsregierung‘ Ibrahim Rufaida bei Kämpfen südlich von Tripolis schwer verletzt und mit einem Privatjet in die Türkei ausgeflogen.

+ Am 1.4. beziffert die LNA die Verluste, die sie den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in den letzten Stunden beigebracht hat: 44 Verletzte (davon 29 syrische Söldner).
Insgesamt sollen bei den Kämpfen in Libyen 50 türkische Militärs getötet worden sein.
In den letzten 24 Stunden seien auch fünf türkische Drohnen abgeschossen worden. Seit dem Beginn des Marsches auf Tripolis im April letzten Jahres seien insgesamt über 23 türkische Drohnen abgeschossen worden.
Die Bayraktar-TB2-Drohnen werden von der Bayraktar-Holding hergestellt, die Selçuk Bayraktar, dem Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, gehört. Nach Angaben des Herstellers hat die Bayraktar TB2-Drohne „den Vorteil der Nachtaufklärung und die Fähigkeit, Überwachungs-, Erkundungs- und sofortige Zerstörungsmissionen von Zielen durchzuführen, da sie mit Hochpräzisionsraketen ausgerüstet werden kann, um gepanzerte Fahrzeuge, militärische Befestigungen und Marineziele zu zerstören“. Der Preis für eine Drohne beträgt etwa 5 Millionen US-$. Trotz dieser immensen Kosten bestellt die ‚Einheitsregierung‘ weiterhin Drohnen bei der türkischen Bayraktar Holding.
https://almarsad.co/en/2020/03/31/lna-downs-another-turkish-bayraktar-drone-loaded-at-mitiga-airbase/

Coronakrise

+ Das National Centre for Disease Control (NCDC) erklärte am 1.4., dass sich die Gesamtzahl der bestätigten Fälle auf 10 erhöht habe. Es wurden diesmal nicht die Orte des Auftretens genannt. Diese mangelnde Transparenz führte zu wütenden Protesten der Bürger. In Tunesien werden sogar die Stadtviertel benannt und die Menschen aufgefordert, sich dort besonders vorsichtig zu verhalten. Über die Gründe für die Zurückhaltung des NCDC sind heiße Spekulationen entbrannt. Sie reichen von politischem Druck, der von Milizen auf den NCDC ausgeübt werde, bis zur bewussten Verschleierung, damit sich das Virus ungebremst ausbreiten könne. Auch wurden syrische Söldner als Virusträger beschuldigt oder das Vorhandensein des Virus ganz geleugnet. Bisher galt das NCDC als neutrale Institution im Umgang mit dem Coronavirus. Doch nun wird die WHO aufgefordert, einzugreifen und die gebotene Transparenz durchzusetzen.
https://almarsad.co/en/2020/04/01/ncdc-covers-up-locations-of-coronavirus-cases-raising-anger-among-citizens/

+ Aus Misrata wird der erste Cov-19-Todesfall in Libyen gemeldet.

+ Die ehemalige Gesundheitsministerin der libyschen Übergangsregierung Dr. Fatima Al-Hamroush warnte davor, mehr als 300 Millionen US-$ zur Bekämpfung des Coronavirus an Mohammed Haitham Issa, dem Unterstaatssekretär des Gesundheitsministeriums, zu übergeben. Sie bezeichnete Haitham Issa als kriminell und korrupt. Diesbezügliche Dokumente seien unter anderen dem Generalstaatsanwalt vorgelegt worden.

+ Die libysche Investmentbehörde (LIA) beobachte die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft des Landes. Es sei mit Verlusten in der Wirtschaft und bei den Portfolios zu rechnen. Ein Plan, wie der Coronakrise begegnet werden könne, sei in Arbeit.

+ Im Fessan installieren Jugendliche vor den Obst- und Gemüsemärkten Handwaschstationen für die Kunden.

Libysche Nationarmee

+ Die LNA wirft den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ vor, wegen der Coronakrise in Westlibyen angelegte Mehl- und Vorratsspeicher zu zerstören, um die Bevölkerung auszuhungern. Es sei auch ein Angriff auf einen LKW erfolgt, der Weizen transportierte. Dies seien Kriegsverbrechen.

Einheitsregierung‘ (Tripolis)

+ Aus nicht bekannten Gründen wurden über 200 syrische Söldner von der ‚Einheitsregierung‘ verhaftet. Welcher Art die Probleme mit den syrischen Söldnern waren, ist nicht bekannt.

+ Der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Fayez as-Sarradsch hat die libysche Zentralbank (CBL) aufgefordert, eine Sitzung einzuberufen, um die „einseitigen Entscheidungsfindungen, die einseitige Kontrolle der Geldpolitik und den einseitigen Standpunkt“ zu beenden. Damit erreichen die Auseinandersetzungen zwischen as-Sarradsch und dem Leiter der CBL einen neuen Höhepunkt.

+ Muhammad al-Dharrat, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der ‚Einheitsregierung‘ von Fayez as-Sarradsch, forderte, dass Gemeinden im Osten und Süden des Landes, die unter Kontrolle der Übergangsregierung in Tobruk stehen, keine Gelder zur Bekämpfung von Corv-19 zugewiesen werden.
https://almarsad.co/en/2020/04/01/al-dharrat-wants-to-withhold-coronavirus-budget-from-municipalities-that-support-the-lna/

+ Der ehemalige Führer der dschihadistischen LIFG (Libyan Islamic Fighting Group) mit engen Verbindungen zu den islamistischen Schura-Räten und Ansar as-Scharia, Sami as-Saadi, sagte, es sei Pflicht der Muslime, sowohl im medizinischen Bereich gegen die Corona-Pandemie zu kämpfen als auch im militärisch gegen die andere Pandemie namens „Haftar“, dem Befehlshaber der LNA.

Terrorismus

+ Zwei Öltanklaster wurden auf ihrem Weg nach Sabrata und Sorman in Brand geschossen.

Europäische Union

+ Am 1. April startete die neue EU-Operation Irini zur Überwachung des Uno-Waffenembargos gegen Libyen. Die Mission, die als Ersatz für die Operation Sophia beschlossen wurde, ist auf ein Jahr angelegt und wird aus der Luft, per Satellit und auf dem Meer durchgeführt. Geleitet wird der Einsatz von Italien und steht unter dem Befehl von Konteradmiral Fabio Agostini. Es soll die Inspektion von Schiffen, die in Verdacht stehen, Waffen zu transportieren, durchgeführt werden. Dies betrifft vor allen Schiffe aus der Türkei, die wiederholt militärische Güter, Waffen und syrische Söldner nach Libyen brachten. Waffenlieferungen über Land sollen durch Satelliten und Luftaufklärung erfasst werden. Das Einsatzgebiet von Irini liegt im östlichen Mittelmeer und damit abseits der Haupt-Flüchtlingsrouten von Libyen nach Italien.

Nachdem der Außenminister der ‚Einheitsregierung‘ (Tripolis) sich mit der EU-Entscheidung bezüglich der Operation Irini sehr unzufrieden zeigte, telefonierte der Hohe EU-Vertreter Josep Borrell mit dem Außenminister der ‚Einheitsregierung‘ Mohamed Siala. Er rief dazu auf, „die Kämpfe unverzüglich einzustellen“. Der Berlin-Prozess werde unter Führung der UN weiterhin unterstützt.

Die LNA hat die EU-Mission Irini begrüßt. Allerdings wird befürchtet, dass die Türkei jetzt mehr auf den Luft- als auf den Seeweg bei Waffenlieferungen setzt.

Verschiedenes

+ Die UN gab am 2.4. bekannt, die meisten ihrer humanitären Projekte in Libyen auszusetzen.

+ Trump stimmt mit Erdogan darin überein, dass es wichtig sei, den Waffenstillstand in Libyen und Syrien einzuhalten und an einer friedlichen Lösung für die beiden Länder zu arbeiten. Beide wollen bei der Ausrottung des Coronavirus und der Stärkung der Weltwirtschaft eng zusammenzuarbeiten.

+ Der stellvertretende Generalsekretär der Arabischen Liga, Hossam Zaki, führte mit der amtierenden Leiterin der UN-Sondermission für Libyen Stephanie Williams per Videokonferenz Vorbereitungsgespräche für die kommende Folgekonferenz der Berliner Libyen-Gespräche.

+ Die französische Botschaft in Griechenland hat in einer Erklärung bekräftigt, dass die im vergangenen Jahr zwischen der Türkei und der libyschen Regierung unterzeichnete Vereinbarung über die Seegrenzen im Mittelmeer ungültig ist, da sie gegen das internationale Seerecht verstoße.

+ Amnesty International begrüßte die Zusage des US-Afrika-Kommandos (AFRICOM), mit der Offenlegung über zivile Opfer von militärischen Operationen in Somalia, Libyen und anderen Teilen Afrikas zu beginnen, als längst überfälligen Schritt. Die Wahrheit müsse ans Licht kommen. Es bedürfe der Transparenz, der Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung. Daran habe es dem US-Militär bisher gemangelt.
https://addresslibya.net/archives/55404

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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