Kurznachrichten Libyen – 14.04.2020

Libyen. Militärische Lage eskaliert – Libysche Stämme und Städte – Migranten – Coronakrise – Libysche Zentralbank (CBL) - Verschiedenes

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Militärische Lage

+ An allen Brennpunkten innerhalb Tripolis wird schwer gekämpft. Kämpfe auch an der Front in Abu Grain.

+ Nachdem die ‚Einheitsregierung‘ große militärische Nachschublieferungen an Material und Kämpfern aus der Türkei erhalten hat, ist es ihr am 13.04. gelungen, mit Unterstützung von türkischen Drohnen und sogar von türkischen Fregatten weite Teile der zuvor von der LNA eroberten Gebiete im Westen Libyens wieder zurückzuerobern, darunter Surman, Sabrata, Regdalin und Zalatan.
Der Angriff auf LNA-Stellungen im Westen soll den Druck auf die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ bei Abu Grain (im Südosten von Misrata) vermindern, wo bei den Kämpfen am Vortag 83 Milizenkämpfer der ‚Einheitsregierung‘ getötet und 102 verwundet worden sein sollen.

+ Wie die LibyaReview berichtet, bestand die erste Handlung nach dem Einmarsch in Surman in der Befreiung der Gefangenen, darunter auch viele Extremisten des dschihadistischen Bengasi-Schura-Rates. Man hörte einen Milizionär der ‚Einheitsregierung‘ sagen, es werde gekämpft, bis „wir Haftar den Kopf abgeschlagen“ haben.

+ In Sabrata aufgenommene Bilder zeigen den dschihadistischen Extremisten Wissam bin Hamid, der zum Mudschahedin-Schura-Rat gehört, inmitten der Milizen der ‚Einheitsregierung‘.
Wie Al-Marsad berichtet, kämpften die mit der LNA verbündeten Militäreinheiten in Sabrata 2017 gegen den IS, der in Sabrata Fuß gefasst hatte, und wurde dafür von Sarradsch gelobt. Seit gestern haben wieder radikale Dschihadisten, die mit Schleusern, Schmugglern und al-Kaida nahen Gruppen zusammenarbeiteten, in Sabrata Fuß gefasst und werden von Sarradsch gelobt, weil sie die Militäreinheit, die den IS 2017 aus Sabrata vertrieben hat, besiegten. Diese Banden, die seit gestern in Sabrata wieder das Sagen haben, brannten als erstes Verwaltungsgebäude und die Polizeistation nieder. Die Einsatzzentrale des Kommandanten, der 2017 den IS besiegte, Abdul Dschalil, wurde jetzt von türkischen Drohnen bombardiert in dem Versuch, Dschalil zu töten.

Der berüchtigte Dschihadist Faradsch Schakku wurde vor einem Gebäude in Sabrata fotografiert, bevor es in Brand gesetzt wurde – zur Freude des Klerikers Sadiq al-Gharyani, der auf seinem Fernsehsender diese Tat feierte. Auch der verrufene und international sanktionierte Spritschmuggler Abdul Rahman Milad ist plötzlich wieder im Spiel, er posiert im Kreise anderer Radikaler für ein Foto. Al-Bidscha, der nicht nur international sanktioniert ist, sondern sogar auf Anordnung des Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ Fathi Bashagha von der Staatsanwaltschaft gesucht wurde, taucht plötzlich in Sabrata auf, ebenso wie der Schleuser Mohammed Kachlaf. In Sabrata feiert das Who is Who der libyschen Kriminellen und politisch Radikalen seine Freiheit.
Diese gesamte Region um Sabrata droht erneut zum Ausgangspunkt von Schmugglern und Menschenhändlern zu werden.
https://almarsad.co/en/2020/04/14/report-sarraj-welcomes-the-liberation-of-sabratha-and-surman-by-the-same-gangs-he-fought-in-2017/

+ Wie von einem türkischen Reporter bestätigt, wurde Sabrata und Umgebung nicht nur von türkischen Drohnen, sondern auch von einer türkischen Fregatte aus bombardiert.
Die LNA hat zwei türkische Schiffe vor Sorman und Sabrata unter Beschuss genommen. Die italienische Marine eilte dem türkischen Schiff zu Hilfe.
https://www.unionesarda.it/articolo/news/mondo/2020/04/13/libia-colpi-d-artiglieria-a-250-metri-da-una-nave-militare-italia-137-1008079.html

+ Die LNA berichtet von Massenexekutionen durch Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in Sabrata und Sorman. Es wird geplündert und Häuser werden in Brand gesetzt, Zivilisten verhaftet.
https://libyareview.com/?p=1790
Bravo, ‚Einheitsregierung‘, gut gemacht! Das ist es also, was Städte zu erwarten haben, die von Milizen der ‚Einheitsregierung‘ „befreit“ werden: Außer Rand und Band geratene Kriminelle und al-Kaida-Dschihadisten!

+ Die ‚Einheitsregierung‘ hat mit einer türkischen Drohne am 13.04. erneut ein ziviles Ziel in Bani Walid angegriffen. Bei dem Beschuss eines Krankenwagens kamen drei Ärzte und zwei Fahrer ums Leben. Wie nicht anders zu erwarten, wird dieses Kriegsverbrechen von der UN-Sondermission für Libyen nicht verurteilt.
Ebenfalls am 13.04. bombardierten Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in Bani Walid einen Tanklastwagen.

+ Am 10.04. sollen erneut 300 syrische Söldner von der Türkei nach Libyen gekommen sein, um die ‚Einheitsregierung‘ im Kampf gegen die LNA zu unterstützen. Insgesamt habe sich damit die Zahl der in Libyen angekommenen syrischen Kämpfer auf über 5000 erhöht.
Die Türkei bietet den Söldnern zwei- bis drei Monatsverträge bei einem monatlichen Sold von 2000 US-$.

+ Wie das griechische Nachrichtenportal Kathimerini berichtet, wird ein Frachtschiff, das von einem türkischen Hafen ausgelaufen ist, vom griechischen Geheimdienst überwacht. Es wird verdächtigt, Waffen für die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis geladen zu haben.

Libysche Stämme und Städte

+ Der Hohe Rat der libyschen Stämme verurteilt die Belagerung der Stadt Tarhuna, mit der die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmittel und medizinischen Gütern verhindert wird. Die ‚Einheitsregierung‘ habe ebenfalls die Telekommunikation und den Strom gekappt. Scharf verurteilt wurde auch das Schweigen der ‚internationalen Gemeinschaft‘ und der UNO zu diesen Vorgängen.
Das Parlament, die Regierung in Tobruk und die LNA wurden zur Hilfe aufgefordert.
https://libyareview.com/?p=1769

Migranten

+ ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis stellt die Arbeit der libyschen Küstenwache ein und gefährdet damit das Leben von Migranten. Wie die italienische Zeitung Avvenire erklärt, haben in den letzten Tagen zehn Boote von der libyschen Küste bei Tripolis abgelegt, um sich auf den Weg über das Mittelmeer nach Italien zu machen. Die ‚Einheitsregierung‘ ‚erpresse‘ nun die EU und fordere weitere Gelder und Hilfsmittel, um aus in Seenot geratene Migranten zu retten.
In nur einer Woche, vom 5. bis 11. April 2020, verließen über tausend Menschen auf mehr als 20 Booten die libysche Küste, so der Notdienst für Migranten in Seenot. Zwei Boote wurden von dem NGO-Rettungsschiff Alan Kurdi gerettet, während das Schicksal der anderen Boote nicht geklärt ist. Die NGO Sea Watch berichtete, dass am 11.04. noch 250 Migranten auf vier Booten im Mittelmeer getrieben sind, von denen ein Boot kenterte.
Die EU-Frontex-Mission hat am 13.04. eine Flugzeugsuche nach den verschollenen Booten gestartet.
Die italienische Regierung hat die Grenzen für alle Schiffe aus Angst vor Covid-19 geschlossen. Die Migranten der Alan Kurdi sollen von einem anderen Schiff übernommen werden.

Coronakrise

+ Das National Center for Disease Control hat die Zahl der bestätigten Covid-19-Fälle am 13.04. in Libyen mit 25 angegeben; acht Personen sind gesundet und eine Person verstorben.

+ Dr. Salwa El-Daghili, Dekanin der Juristischen Fakultät der Universität Bengasi, weist auf die rechtlichen Grundlagen zur Bekämpfung der Covid-19-Erkrankung hin. In dem diesbezüglichen Gesetz Nr. 106/1973 zur Seuchenbekämpfung heißt es in Artikel 1: „Gesundheit und medizinische Versorgung ist ein staatlich garantiertes Recht der Bürger. Das Gesundheitsministerium entwickelt die Gesundheits- und medizinischen Dienste, erhöht ihr Niveau und steigert ihre Effizienz, um den Bedürfnissen der Bürger gerecht zu werden und mit dem wissenschaftlichen Fortschritt in diesen Bereichen im Einklang mit dem Entwicklungsplan des Landes Schritt zu halten. Das Ministerium stellt den Gesundheitseinrichtungen auch seinen Bedarf an technischem Personal und Ausrüstung zur Verfügung.“
In Bezug auf die Bürger heißt es: „Wenn eine Person an einer meldepflichtigen Infektionskrankheit erkrankt ist oder es vermutet, hat sie dies den zuständigen Gesundheits- oder Verwaltungsbehörden innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnisnahme oder begründetem Verdacht zu melden“.
https://almarsad.co/en/2020/04/11/coronavirus-and-libyan-law-a-legal-essay-by-dr-salwa-el-daghili/

+ Das Außenministerium (Tobruk) erklärte, dass es sich für die Rückführung der im Ausland gestrandeten Libyer einsetzen werde, vorausgesetzt sie wollten zurückkehren und sie sind nicht vor dem 1. Januar 2020 aus Libyen ausgereist. Die Daten von im Ausland gestrandeten libyschen Staatsbürgern sollen bis spätestens 20. April 2020 elektronisch über die Website des Ministeriums registriert werden. Nach ihrer Rückkehr müssen die Einreisenden eine 14-tägige Quarantäne einhalten. Premierminister al-Thani erklärte, die Regierung werde sich dafür einsetzen, den im Ausland gestrandeten Personen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen und für ihre Grundversorgung aufzukommen.
https://libyareview.com/?p=1758

+ China hat Libyen Hilfe bei der Bekämpfung von Covid-19 zugesagt.

Libysche Zentralbank

+ Der zwischen dem Chef der ‚Einheitsregierung‘ as-Sarradsch und dem Leiter der Libyschen Zentralbank Sadiq al-Kabir ausgebrochene Streit scheint den Einfluss der Moslembruderschaft innerhalb der Zentralbank zu stärken. Al-Kabir ist auch ein einflussreiches Mitglied des Präsidialrats, der von Sarradsch geführt und von der Moslembruderschaft dominiert wird. Kabir stellte sich gegen das demokratisch gewählte Parlament, das ihn 2017 absetzte und durch Mohammed Abdulsalam al-Shoukri ersetzte. Da sich Kabir weigerte zurückzutreten, spaltete sich die Zentralbank auf, eine Zentrale sitzt nun in Tripolis und eine andere im Osten Libyens.
Die Streitigkeiten zwischen Sarradsch und Kabir brachen aus, als Sarradsch die Wiedervereinigung der beiden Zentralbanken forderte. Innerhalb der Bank hätten sich zwei Lager gebildet, wobei Kabir von der Moslembruderschaft unterstützt werde.
Sarradsch sagte in einer Fernsehansprache, der Streit sei eskaliert, nachdem Kabir sich geweigert habe, einen Nothaushalt zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise zu verabschieden. Sarradsch seien jedoch durch die Moslembruderschaft die Hände gebunden.
Aus dem Osten Libyens kommt die Anschuldigung, die Zentralbank in Tripolis sei nur mehr eine Filiale der Moslembruderschaft und der Sprecher der LNA Achmed al-Mismari sagte, die Moslembruderschaft habe ihre Leute in hohe Positionen gehievt, um „ihre Gruppen und Milizen finanzieren“ zu können.

+ Nachdem der Leiter der Libyschen Zentralbank, al Kabir, die Entscheidungen getroffen hat, Banken im Süden und Osten Libyens zu schließen, forderte der Präsident des Parlaments Aqila Saleh den libyschen Generalstaatsanwalt auf, mit rechtlichen Schritten gegen al-Kabir vorzugehen.

Verschiedenes

+ Die Blockade des Man-Made-Rivers, der wichtige Städte mit Wasser versorgt, und dessen Ventile in Schwerif (Fessan) durch eine unbekannte Gruppe geschlossen wurden, ist Dank der Bemühungen von Stammesführern im Fessan, der Intervention wichtiger libyscher Persönlichkeiten und der UN-Sondermission für Libyen bis auf weiteres aufgehoben, so dass das Wasser vorerst wieder fließt.
Ein Mitglied des Ältestenrats des Stammes der Mgarha sagte, die internationale Gemeinschaft müsse nun ihr Versprechen halten und den Aufenthaltsort von Dr. Ali Gaddafi ausfindig machen. Ali Gaddafi, ein naher Verwandter des gewählten Bürgermeisters von Schwerif, war von einer nicht bekannten Gruppe entführt worden.
https://libyareview.com/?p=1762

Der Rat der libyschen Stämme verurteilt ebenso wie die UN-Sondermission für Libyen die Abschaltung des Great-Man-Rivers.

+ Laut GECOL (General Electricity Company of Libya) kommt es in den westlichen und südlichen Regionen Libyens zu einem totalen Stromausfall aufgrund der Schließung eines Gasleitungsventils im Gebiet Sidi al-Sayeh. Techniker der GECOL bemühen sich, das Netz zu reparieren.
Eine nicht identifizierte bewaffnete Gruppe hatte am 9.4. das Ventil zugedreht.

+ Am Grenzübergang von Tunesien nach Libyen in Ras Adschir sitzen 300 Libyer fest. Sie fordern die tunesischen und die libyschen Behörden auf, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Es gehen ihnen Wasser und Essen aus.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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